"Il Cor Armato" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Claudio Monteverdi

"Il Cor Armato"

„Il Cor Armato“ – szenische Übung nach Claudio Monteverdi

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3053

Satzbezeichnungen

1. Altri canti di Marte (Marino)

2. Su, su, su, pastorelli vezzosi

3. Gira il nemico insidioso Amore (Strozzi)

5. Ardo, avvampo

6. Hor, che’l ciel e la terra (Petrarca)

7. Lamento della Nonfa (Rinuccini)

8. Non partir, ritrosetta

9. Vago augeletto (Petrarca)

Erläuterungen

IL COR ARMATO 2002

Alarm auf den Schanzen der Herzensfestung! Amor rückt an, bewaffnet mit Pfeilen, die jeden Liebenden tödlich treffen können. Drei junge Männer verschanzen sich. Nach allen Regeln barocker Fortifikationskunst leisten sie erbitterten Widerstand – umsonst. Amor, der blinde Bogenschütze, überwindet jeden Panzer auf dem Weg zum verwundbaren Herzen.

Kein Komponist des 17. Jahrhunderts hätte diese Szene so plastisch in Musik übersetzen können wie Claudio Monteverdi. Der greise Kapellmeister des Markusdoms in Venedig fasste die drastische Belagerungsszene, die der Dichter Giulio Strozzi erfand, um den Ansturm der Liebe in einer Metapher zu umschreiben, in eine plastische Gruppe: Unter dem Klang von Militärsignalen geraten drei junge Sänger in eine Aufregung, die zugleich diejenige alarmierter Soldaten wie frisch Verliebter ist. Bis zu Georges Delnons szenischer Lösung dieses Madrigals, Gira il nemico insidioso Amore, ist es nur ein Schritt: Hier die Männer, verschanzt hinter Stühlen, dort die Frauen, der scheinbare Feind, dem man sich doch allzu bald ergeben wird für einen kurzen Moment des Glücks, auf den erneut der Krieg der Liebe folgt.
Krieg und Liebe sind die Pole, zwischen denen Monteverdi sein achtes und letztes Madrigalbuch ansiedelte. Madrigali guerreri et amorosi – Kriegs- und Liebesmadrigale – nannte er den 1638 in Venedig publizierten Band. Die beiden Hälften von Titel und Sammlung gehören untrennbar zusammen: Die Liebe als Krieg ist ihr Thema. Die Frage, wie diese barocke Metapher mit wenig Aufwand auf eine moderne Bühne zu bringen sei, führte Delnon auf einen Weg, den Monteverdi selbst im Aufbau des Buchs vorzeichnete. Eine Gemeinschaft von Frauen und Männern singt, und im Gesang findet sie ihr Leben – zunächst. La Vita è canto, das Leben ist Gesang, wie es in Marinos Madrigal Altri canti di Marte heißt. „Andere sollen vom Kriegsgott Mars singen, wir singen von der Liebe, von den Wunden des Herzens!“ Bald erkennen die Sänger, wie gefährlich es ist, dieses Thema anzuschlagen. Mars und Amor haben sich gegen sie verbündet, durch die Macht des Gesangs ergreift die Liebe von ihnen Besitz, und sie durchleben sie wie die Feldzüge eines Krieges: Belagerung, Kapitulation, Brand, kurzes Glück, neuer Ausbruch der Kämpfe. Wer von Liebe singt, singt immer vom Krieg – das müssen die jungen Darsteller in Il Cor armato erst neugierig, dann voll Lust, schließlich voller Schmerz erfahren.
MADRIGALE 1638

Warum hat Monteverdi noch 1638 Madrigale veröffentlicht – zu einer Zeit, als die Cantata für Solostimmen schon unaufhaltsam auf dem Vormarsch war? Warum gab er seinem weltlichen Opus ultimum ein so monumentales Programm?

Dem bereits weit ins barocke Übermaß fortgeschrittenen Zeitalter bewies der 70jährige Komponist mit dieser Sammlung, dass er noch immer klarer als jeder seiner Nachahmer erkannte, welche Möglichkeiten zur Darstellung menschlicher Affekte der Sologesang dem Barock eröffnet hatte. Dabei dachte er nicht so sehr an die Oper, die sich seit den höfischen Anfängen in Florenz und Mantua, seit seinem Orfeo und seiner Arianna immer mehr ins Wunderbare und Monumentale gesteigert hatte. In Rom spielte man in den 1630er Jahren Fünf-Stunden-Opern als hydraulische Spektakel vor 3000 Zuschauern, in Venedig im ersten kommerziellen Opernhaus der Welt wilde Tragikomödien für die spottlustigen Venezianer. Derweil dachte der berühmteste Musiker der Lagunenstadt an etwas anderes: an eine letzt-gültige Aussage über die Macht des Gesangs, wie sie aus dem Madrigal der Renaissance erwachsen war, um in der Figur des Solosängers den barock bewegten Menschen zu finden und ihn auf die Bühne zu stellen.
Mit Madrigali guerreri et amorosi, dem Titel dieses Madrigalvermächtnisses, verhieß Monteverdi wieder einmal Neues. Neu daran war natürlich nicht die „verliebte“, sondern die „kriegerische“ Art zu singen, deren Erfindung er im Vorwort für sich reklamierte. Die Schmerzen der Herzen in klagenden Klängen zu besingen, war für Madrigalisten eine Selbstverständlichkeit. Die Farben des Krieges aber, das Blutrot von Angriff und Zorn, das Grün hoffnungsfroher Gegenwehr, das Grau der Ermattung und das Schwarz der einsamen Nächte in Töne zu fassen, war neu. Es gestattete Monteverdi in bislang ungekanntem Maße, dem Liebesgesang der Madrigale eine imaginäre Szene hinzuzufügen, ohne einen Maschinisten zu bemühen. Als er diese Gesänge in den Saloni des reichen Venedig während der 1620er zum ersten Mal aufführte, schuf er sich seine Szene durch die Musik selbst.

Das kriegerische Genus, das er in diesen Madrigalen Schritt für Schritt erprobte, gestattete dem Gesangsexperten Monteverdi eine Individualisierung der Solostimmen im vielstimmigen Madrigal wie nie zuvor in der Geschichte dieser Kunstform. Im 8. Buch singen mal drei, mal vier, mal sechs Stimmen in scheinbar traditioneller Madrigalmanier, jedoch schon getragen vom Basso continuo und eingebettet in die Aura des modernen Violinklangs. Plötzlich lösen sich Stimmenpaare aus dem Ensemble, suchen den Dialog untereinander und mit anderen Paaren. Ein Bass singt Solo, eine Sopranistin klagt vor dem Hintergrund eines Männerstimmenterzetts. Schon kurz nach 1600 hatte Monteverdi in seinem fünften Madrigalbuch mit solchen Dialogmonenten innerhalb eines Madrigals experimentiert. Nun, mehr als 30 Jahre später, zog er daraus die Quintessenz

Den Zeitgenossen müssen diese Einfälle wie Offenbarungen vorgekommen sein, ereigneten sie sich doch in Texten aus der ehrwürdigsten Kategorie italienischer Poesie – von Petrarca über Tasso bis hin zu Rinuccini und Marino. Weit davon entfernt, die poetischen Einfälle dieser großen Dichter in lyrischer Stilisierung sich selbst zu überlassen, hat sie Monteverdi ruckartig auf eine Bühne gestellt. Begabt mit dem größten Theatergenie der Epoche neben Bernini, hat er wie der Architekt des römischen Barock für die Begegnung von Liebenden – den gewalttätigen Übergriff, die erotische Ekstase und die Ruhe kurz vor dem Tod – Bilder gefunden, die man nie mehr vergisst.
KRIEGSZEITEN

Wenn Monteverdi in Giro il nemico insidioso, jenem Belagerungsmadrigal für drei Männerstimmen, Alarmsignale zitiert und die Verschanzung einer Festung fast szenisch greifbar beschreibt, so konnte er sich auf Anschauungsmodelle aus der jüngsten italienischen Geschichte berufen. Als Bürger von Mantua, als welcher er sich lebenslang fühlte, blieb er der tragischen Geschichte des Hauses Gonzaga auch in seiner venezianischen Zeit verbunden (nicht zuletzt deshalb, weil seine eigene Pension und Pfründen für seine Söhne auf dem Spiel standen). Ende der 1620er Jahre spitzten sich die Ereignisse dramatisch zu, als die Erbfolge im Herzogtum Mantua zur Diskussion stand. Die Belagerung von Casale und Monferrat – zwei Gonzagabesitzungen, um die Spanien und Frankreich sich in einen tödlichen Konflikt gestürzt hätten, wenn nicht der spätere Kardinal Mazarin mit dem Ruf Frieden! zwischen die feindlichen Heere getreten wäre -, diese in ganz Europa rasch berühmt gewordene Episode war nur das spektakulärste kriegerische Ereignis in den Jahren um 1630. Kunde vom Dreißigjährigen Krieg im Norden drang durch Monteverdis Beziehungen zu den Habsburgern Ferdinand II. und Ferdinand III. in sein Haus. Die Republik Venedig konnte es nicht vermeiden, in diesen europäischen Konflikt, der im Grunde ein Krieg zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon war, hineingezogen zu werden. Die Nähe der feindlichen Heere im Norden und Westen und neue Türkengefahr im Südosten des Mittelmeers ließen in der Serenissima Repubblica das Interesse an Kriegsgesängen sprunghaft ansteigen. Genau in diese Lücke des Zeitgeistes stieß Monteverdi mit seinen Madrigali guerrieri vor.

Wie eine Ironie des Schicksals mutet es an, dass er die Sammlung ausgerechnet Kaiser Ferdinand III. widmete, jenem Habsburger, der wie sein Vater Venedig in die ärgste kriegerische Bedrängnis gestürzt hatte. Doch solche Überlegungen waren dem Komponisten fremd. Wichtig war, dass mit dem Kaiser ein Herrschername auf dem Titelblatt der Sammlung prangte, der als Kriegsherr und als Liebender gleichermaßen einen europäischen Ruf genoss, der also die allegorische Zweiteilung des Zyklus‘ in seiner eigenen Person verkörperte. Der Krieg der Liebe ist später nie mehr so lebendig geschildert worden wie im Angesicht eines solchen Herrschers und seiner kriegerischen Zeit.

Karl Böhmer