Sonate Nr. 1 G-Dur für zwei Violinen, Violoncello und Kontrabass
Werkverzeichnisnummer: 1605
1. Moderato
2. Andantino
3. Allegro
GIOACCHINO ROSSINIS Beitrag zur Gattung des Divertimentos sind jene“sechs schrecklichen Sonaten, die ich auf dem Landgut meines Freundes Triossi nahe Ravenna komponierte, als ich noch im kindlichsten Alter war und so gut wie keinen Unterricht genossen hatte; das Ganze komponiert in drei Tagen und aufgeführt von meinem Mäzen Triossi, seinem Vetter Morini und dem Bruder des letzteren, die wie Hunde spielten, sowie mir selbst als zweitem Geiger, der ich mich bei Gott am wenigsten wie ein Hund aufführte.” Als der Operngrande Rossini sich dieser Geschichte aus seiner Jugend erinnerte, datierte er sie vorsichtshalber in die Sommerfrische des Jahres 1804, um sich möglichst jung und die Leistung eines Zwölfjährigen demenstprechend bewundernswert erscheinen zu lassen. In Wahrheit hat er die “sechs schrecklichen Sonaten”, die Alfredo Casella erst 1954 wiederentdeckte, im Alter von etwa 15 und sicher nicht in drei Tagen geschrieben, auf jeden Fall aber später umfangreich revidiert. Trotz dieser Manipulationen seiner eigenen Heiligenlegende und Rossinis scheinbarer Geringschätzung für seine “Jugendsünden” konnte er auf die Sonaten stolz sein. Es sind geniale Huldigungen an die Idole seiner Jugend: Haydn und Mozart.
Interessant ist Rossinis Hinweis auf die originale solistische Besetzung mit zwei Violinen, Cello und Kontrabaß. Sie knüpft unverkennbar an das klassische Divertimento an, ebenso die unbeschwerte Grazie der ersten Sätze, die volkstümlich-virtuose Manier der Finali und die solistische Führung aller Instrumente, besonders des Kontrabasses. Während sich die Sonata Nr. 1 völlig auf dieser Ebene kaprizöser Unterhaltung bewegt, weist die Sonata Nr. 6 durch den Titel La Tempesta (Der Sturm) tonmalerische Bezüge auf. Dies erinnert daran, daß auch die Divertimenti von Haydn und Mozart gelegentlich genrehafte Szenen darstellten (Der Geburtstag, Ein musikalischer Spaß). Sturmmusiken gehörten jedoch zu einer spezifisch italienischen Tradition der Orchestermusik, die von Antonio Vivaldi bis zu Giovanni Paisiellos Barbier von Sevilla reicht. Letzteren kannte Rossini – wie man weiß – besonders gut, und es mag Paisiellos Gewitter gewesen sein, das ihn zu dem Finale seiner D-Dur-Sonate inspirierte, einem “echten Rossini”. Die ersten beiden Sätze bereiten den Sturm wohl im Sinne einer ländlichen Szene vor, so, wie man es in Beethovens Pastorale findet – der erste Satz mit Hornquinten als “Erwachen heiterer Gefühle auf dem Lande”, der langsame Satz als “Ruhe vor dem Sturm”.