Suite für Bläsersextett "Mládi" ("Jugend") | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Leos Janácek

Suite für Bläsersextett "Mládi" ("Jugend")

„Mladi“ („Jugend“), Suite für Flöte, Oboe, Klarinette, Bassklarinette, Horn und Fagott

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1041

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Andante sostenuto

3. Allegro

4. Con moto

Erläuterungen

Der mährische Komponist Leos Janacek gilt seit dem internationalen Durchbruch seiner Opern in den 20er Jahren als einer der größten Musikdramatiker unseres Jahrhunderts. Werke wie Katya Kabanova, Jenufa, Das schlaue Füchslein oder Die Sache Makropolos haben sich auch in Deutschland auf den Bühnen etabliert, während seine Instrumentalwerke noch immer eher selten gespielt werden, insbesondere die Spätwerke, die er als über 70jähriger komponiert hat.

Zum 70. Geburtstag im Juli 1924 schenkte sich Janacek selbst ein Werk mit dem beziehungsreichen Titel Mládi – „Jugend“. Es war eine Suite für sechs Bläser, zu der der alte Meister durch ein Konzert der Pariser Société moderne des instruments à vent in Salzburg inspiriert worden war.
Den Titel „Jugend“ hat man wohl den Vorbereitungen auf seinen runden Geburtstag zu verdanken. Janacek versorgte seinen Biographen Max Brod und den Herausgeber einer Festschrift zu seinem 70. mit Material aus seinem Leben. Das Stöbern durch die Aufzeichnungen seiner Jugend mag so manche Erinnerung in ihm wachgerufen haben, die er in den Sätzen der Suite verarbeitete.

Klanglich erweiterte er das übliche Bläserquintett (Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott) um einen Spieler für die Baßklarinette, daneben kommt aber auch die Piccolo-Flöte zum Einsatz. Sie ist gleichsam der Keim des Ganzen, denn im dritten Satz griff Janacek auf einen kurzen Marsch für Piccolo und Glocken oder Tambourin zurück, den er im März 1924, vier Monate vor dem Sextett, für seinen Kopisten Vaclav Sedlacek komponiert hatte. Schon dieses Stück war eine Jugenderinnerung, Marsch der Blaukehlchen genannt. „Blaukehlchen“ hießen die Eleven der Augustiner-Klosterschule in Brünn, die Janacek als Kind besucht hatte. Noch eine zweite Gattung „Blaukehlchen“ sind mit dem Marsch gemeint: die preußischen Truppen, die nach dem Sieg über die Österreicher bei Königgrätz 1866 in Brünn einmarschierten. Der Marsch der Blaukehlchen wie auch der dritte Satz des Sextetts ist aus dieser doppelten Erinnerung gespeist. Für die anderen Sätze ist kein Programm überliefert, doch darf man auch hinter ihnen ähnlich konkrete Erinnerungen vermuten.

Der erste Satz beginnt mit dem Motto Mládi, zláte Mládi (Jugend, goldne Jugend). Janacek soll die Sprechmelodie dieses volkstümlichen Rufs auf die Instrumente übertragen haben. Das Motto fungiert als quirliges Rondothema, zwischen dessen Reprisen mehr oder weniger melancholische Episoden eingelegt werden.

Der langsame Satz beruht auf einem typisch slawischen Trauer-thema in des-Moll. Es wird in vier Variationen vorgestellt.

Der dritte Satz fungiert als Scherzo, mit einem burschikosen, stufenweise aufsteigenden Hauptthema in as-Moll und dem erwähnten Marsch der Blaukehlchen als Trio. Das Finale entwickelt zunächst ein kraftvolles, schnelles Marschthema bis zu triumphaler Vitalität, bevor in einer langsameren Episode das Thema der Jugend aus dem ersten Satz wiederaufgenommen wird.
Die Uraufführung des Sextetts durch sechs Professoren des Brünner Konservatoriums am 21. Oktober 1924 war ein Desaster. Der überheiße Konzertsaal machte sauberes Intonieren fast unmöglich, und der Klarinettist mußte sich mit einer beschädigten Klappe herumschlagen. Janacek sprang unmittelbar nach der Aufführung auf die Bühne und ließ das Publikum wissen, daß dies nicht sein Werk gewesen sei, weil der Klarinettist nur so getan habe, als ob er spielte. Erst die Prager Erstaufführung einen Monat später verhalf dem Werk zum verdienten Erfolg.

LEOS JANACEK hat sich – wie sein Kollege Richard Strauss – am Ende eines erfüllten Lebens als Opernkomponist wieder der reinen Instrumentalmusik zugewendet und eine Gruppe höchst eigenwilliger Kammermusiken geschaffen, in denen die Bläser nicht zufällig eine prominente Rolle spielen. Er knüpfte damit an die große tschechische Bläsertradition an, wie sie für das 18. Jahrhundert eben umrissen wurde. Während sein Freund Dvorak diese Tradition mit der tschechischen Folklore verbunden hatte, knüpfte der aus Brno (Brünn) in der Slowakei stammende Janacek an die Volksmusik seiner Heimat an. Außerdem entwarf er die Themen seiner späten Werke nach dem Prinzip der sogenannten „Sprechmelodien“, wie er sie in seinen Opern entwickelt hatte: als deklamatorische, vom Wortakzent geprägte Motive. Diese Eigenart sowie ein gewisser Einfluß des französischen Impressionismus macht den eigenartigen Zauber jener Werke aus.

Die zeitgenössische Kritik pries an ihnen die ungebrochene Inspirationskraft des „ewig jungen alten Mannes aus Brno“. Dieses schöne Paradoxon trifft in besonderer Weise für das
Bläsersextett zu. Janacek nannte diese im Juli 1924, dem Monat seines 70. Geburtstags, geschriebene Suite Mládi, „Jugend“. Es handelt sich um eine verklärende Rückerinnerung an seine Jugendjahre, wobei der erste Satz im Sinne der beschriebenen Sprechmelodie gleich mit dem Ausruf Mládi, sláte Mládi („Jugend, goldne Jugend“) beginnt. Daran schließt sich ein übermütiges Rondo an, das von kindlicher Daseinsfreude erzählt.

Von den Schattenseiten der Kindheit erfährt man im zweiten Satz, einem Andante sostenuto. Es scheint auf die Schuljahre im Brünner Augustinerkloster hinzudeuten („eine fremde Schule, ein hartes Lager, noch härter das Brot, keine Liebkosungen“, so Janacek über diese Zeit), vielleicht aber auch auf den Tod des Vaters und den Einmarsch der Preußen 1866. Heiter wird es dann wieder im dritten Satz, den Janacek aus einem Gelegenheitswerk für seinen Kopisten Sedlacek entwickelte. Dieser sog. Marsch der Blaukehlchen (ursprünglich für Piccolo, Schellen und Tambourin) spielt auf den Spitznamen der blau uniformierten Chorknaben im Brünner Kloster an. Das Finale kehrt zu den Themen und der Ausgelassenheit des Kopfsatzes zurück.

2001:

Eine Jugend im Mähren des 19. Jahrhunderts können wir uns, mit Verlaub, wohl kaum noch vorstellen. Der junge Leos Janacek wurde im Kloster erzogen, eine raue, kalte Welt, wie er uns in seinem Bläsersextett Jugend verrät. Auch politisch war es eine harte Zeit: hier die Österreicher, dort die Preußen, die Russen am Horizont als ferne Hoffnung der Slawisch-Nationalen, zu denen auch Janacek gehörte. Die Schlacht von Königgrätz ließ 1866 wieder einmal die preußischen Waffen sprechen, wie schon anno 1742, als Friedrich II. die erwähnten Zeilen über Mähren schrieb. Doch von diesen Schattenseiten der Jugend ist nur am Rande des Bläsersextetts Mládi die Rede.

Wie Richard Strauss hat sich auch der alte Janacek am Ende eines erfüllten Opernlebens wieder der Instrumentalmusik zugewendet. Wir verdanken dieser Periode so grandiose Werke wie das zweite Streichquartett Intime Briefe und das Bläsersextett. In ihnen übertrug Janacek das Prinzip der sogenannten „Sprechmelodie“, wie er es in seinen Opern entwickelt hatte, auf die Instrumentalmusik: deklamatorische, vom Wortakzent geprägte Motive werden von den Instrumenten gespielt, als ob sie sprächen oder sängen. Das Bläsersextett beginnt gleich mit einer solchen „Sprechmelodie“: dem Ausruf „Mládi, sláte Mládi“ („Jugend, goldene Jugend“). So euphorisch erinnerte sich Janacek im Juli 1924, dem Monat seines 70. Geburtstags, an seine Kindheit. Es handelt sich um eine verklärende Rückerinnerung, die nicht nur die Erlebnisse, sondern auch die Vitalität der Jugend wieder aufleben lässt. Das Werk bestätigt, was die Zeitgenossen vom alten Janacek sagten: „der ewig junge alte Mann in Brno“.

An das erwähnte Thema „Mládi, sláte Mládi“ schließt sich im ersten Satz ein übermütiges Allegro in Rondoform an, das von kindlicher Daseinsfreude, vom Spiel mit Tieren und anderen Gefährten zeugt. Von den Schattenseiten der Kindheit erfährt man im zweiten Satz, einem Andante sostenuto. Es erzählt von den Schuljahren im Brünner Augustinerkloster („eine fremde Schule, ein hartes Lager, noch härter das Brot, keine Liebkosungen“, so Janacek über diese Zeit), vom Tod des Vaters und vom Einmarsch der Preußen 1866. Heiter wird es dann wieder im dritten Satz, den Janacek aus einem Gelegenheitswerk für seinen Kopisten Sedlacek entwickelte. Dieser sogenannte Marsch der Blaukehlchen (ursprünglich für Piccolo, Schellen und Tambourin) spielt auf den Spitznamen der blau uniformierten Chorknaben im Brünner Kloster an. Janacek hat sie hier gleichsam im Geiste vorüberziehen lassen. Das Finale kehrt zu den Themen und der Ausgelassenheit des Kopfsatzes zurück.

2005
LEOS JANACEK
Bläsersextett Jugend (Mládi)

Von seiner Jugend im Mähren des mittleren 19. Jahrhunderts berichtete Leos Janacek in seinem späten Bläsersextett mit dem Titel Mládi (Jugend). Es ist eine teils wehmütige, teils heitere Autobiographie in Tönen, die im Bläser-Repertoire einzigartig dasteht – durch die schiere Qualität der Musik und den Farbenreichtum der Bilder, die sie evoziert. Der junge Leos wurde im Kloster erzogen, eine raue, kalte Welt, wie uns das Sextett verrät. Auch politisch war es eine harte Zeit für die Tschechen, die im Kampf zwischen Österreich und Preußen die Russen als ferne Hoffnung am Horizont betrachteten. Die Schlacht von Königgrätz ließ 1866 wieder einmal die preußischen Waffen sprechen. Doch von diesen Schattenseiten der Jugend ist nur am Rande des Sextetts die Rede.

Wie in seinem zweiten Streichquartett Intime Briefe übertrug Janacek auch im Sextett das Prinzip der sogenannten „Sprechmelodie“, wie er es in seinen Opern entwickelt hatte, auf die Instrumentalmusik: deklamatorische, vom Wortakzent geprägte Motive werden von den Instrumenten gespielt, als ob sie sprächen. Das Bläsersextett beginnt gleich mit einer solchen „Sprechmelodie“: dem Ausruf „Mládi, sláte Mládi“ („Jugend, goldene Jugend“).
So euphorisch erinnerte sich Janacek im Juli 1924, dem Monat seines 70. Geburtstags, an seine Kindheit: eine verklärende Rückerinnerung, die nicht nur die Epsioden, sondern auch die Vitalität der Jugend wieder aufleben lässt. Das Werk bestätigt, was die Zeitgenossen vom alten Janacek sagten: „der ewig junge alte Mann in Brno“.

An das erwähnte Thema „Mládi, sláte Mládi“ schließt sich im ersten Satz ein übermütiges Allegro in Rondoform an, das von kindlicher Daseinsfreude, vom Spiel mit Tieren und anderen Gefährten zeugt. Von den Schattenseiten der Kindheit erfährt man im zweiten Satz, einem Andante sostenuto. Es erzählt von den Schuljahren im Brünner Augustinerkloster („eine fremde Schule, ein hartes Lager, noch härter das Brot, keine Liebkosungen“, so Janacek über diese Zeit), vom Tod des Vaters und vom Einmarsch der Preußen 1866. Heiter wird es dann wieder im dritten Satz, den Janacek aus einem Gelegenheitswerk für seinen Kopisten Sedlacek entwickelte. Dieser sogenannte Marsch der Blaukehlchen (ursprünglich für Piccolo, Schellen und Tambourin) spielt auf den Spitznamen der blau uniformierten Chorknaben im Brünner Kloster an. Janacek hat sie hier gleichsam im Geiste vorüberziehen lassen. Das Finale kehrt zu den Themen und der Ausgelassenheit des Kopfsatzes zurück. (Karl Böhmer)