Concertino für Klavier und Kammerensemble (1926)
Werkverzeichnisnummer: 1040
1. Moderato
2. Più mosso
3. Con moto
4. Allegro
2005
Der in Mähren geborene Janacek, der jahrzehntelang praktisch unbekannt als Kompositionslehrer in Brno (Brünn) lebte, gilt seit dem internationalen Durchbruch seiner Opern ab 1916 als einer der größten Musikdramatiker unseres Jahrhunderts. Werke wie Katya Kabanova, Jenufa, Das schlaue Füchslein und Die Sache Makropolos gehören zum Repertoire. Weniger bekannt ist, daß sie in Janaceks später Kammermusik – der Suite Mládi (Jugend), den beiden Streichquartetten und dem Concertino – unmittelbare Gegenstücke haben. Als das Concertino für Klavier und Kammerensemble 1926 zum ersten Mal in Prag gespielt wurde, schrieb der Kritiker und spätere Janacek-Biograph Jaroslav Vogel: „Der ewig junge alte Mann aus Brno hat uns letzten Samstag mit einem Werk überrascht, das – wieder einmal – eine Offenbarung war. Der Titel: Concertino – für Klavier, 2 Violinen, Viola, Klarinette, Horn und Fagott. Wie man sehen kann, ist die Besetzung purer Janacek, eine Tatsache, die in der Musik selbst noch deutlicher wird … Nicht eine Sinfonie mit Klavier, sondern eine Suite, die den Titel Natur tragen könnte. Es ist klar, daß das Concertino zur Welt des Schlauen Füchsleins gehört, wie das (erste) Quartett zu Katya Kabanova“.
Der hier angedeutete Bezug zur Tierwelt des Schlauen Füchsleins wird durch Äußerungen Janaceks über sein Concertino bestätigt. 1927 hat er in einem Artikel für die Zeitschrift Pult und Taktstock den eigenartigen Aufbau des Werkes mit autobiographischen Tiererlebnissen in Verbindung gebracht. Im ersten Satz (Moderato) wird das Soloklavier mit einem ständig wiederholten Motiv des Horns konfrontiert. Janacek erinnerte dies an einen Frühlingstag, an dem er einen Igel von seinem Lager in einer alten Linde ferngehalten hatte, und das verstörte Tier sich vergeblich abmühte, trotzdem dorthin zu gelangen. Das Es-Klarinettensolo des 2. Satzes (Piu mosso) erschien ihm wie das Kreischen eines Eichhörnchens, das Kinder eingesperrt hatten und das sich im Käfig tanzend um sich selbst drehte. Im 3. Satz (Con moto) dachte der Komponist an die dummen Augen von Eulen und anderen „kritischen Nachtvögeln“, die mit einem einschüchternden Blick in die Saiten des Klaviers starren. Im 4. Satz (Allegro) „scheint sich alles um einen Groschen zu zanken wie im Märchen“. Auch ohne dieses Programm wörtlich zu nehmen, verdeutlicht es auf poetische Weise die Besonderheit jedes Satzes: das merkwürdig „verhinderte“ Hornsolo des Kopfsatzes, die tanzende Klarinette des zweiten, die Begleitakkorde des dritten, die wirken, als stünden die Instrumente starr um das Klavier herum, und den Schlagabtausch des Finales. Andererseits entspricht die Satzfolge durchaus den Konventionen eines viersätzigen Konzerts: 1. Satz in Sonatenform, Scherzo, Adagio mit großer Klavierkadenz und tänzerisches Finale. Die Wahrheit liegt wohl auf halbem Wege zwischen Jugenderinnerung und selbständigem Klavierkonzert. An den tschechischen Pianisten Jan Herman, dessen Spiel ihn zu dem Werk angeregt hatte, schrieb der Komponist: „ Das ganze Ding kommt aus der jugendlichen Stimmung meines Sextetts Jugend. Ich habe den Eindruck, es ist wie ein Echo jener Zeit, als ich mich mit dem Klavier abmühte“ – ein dezenter Hinweis auf die Virtuosität des Klavierparts.
2003
LEOS JANACEK
Concertino (1925)
Der in Mähren geborene Leos Janacek, der jahrzehntelang praktisch unbekannt als Kompositionslehrer in Brno (Brünn) lebte, gilt seit dem Durchbruch seiner Opern 1916 als einer der größten Musikdramatiker unseres Jahrhunderts. Werke wie Katya Kabanova, Jenufa oder Das schlaue Füchslein gehören zum Repertoire unserer Bühnen. Weniger bekannt ist, dass sie Gegenstücke in Janaceks später Kammermusik haben: in der Suite Mládi (Jugend), den beiden Streichquartetten und dem Concertino für Klavier und Kammerensemble. Als letzteres 1926 in Prag uraufgeführt wurde, schrieb der Kritiker und spätere Janacek-Biograph Jaroslav Vogel: „Der ewig junge alte Mann aus Brno hat uns letzten Samstag mit einem Werk überrascht, das – wieder einmal – eine Offenbarung war. Der Titel: Concertino – für Klavier, 2 Violinen, Viola, Klarinette, Horn und Fagott. Wie man sehen kann, ist die Besetzung purer Janacek, eine Tatsache, die in der Musik selbst noch deutlicher wird … Nicht eine Sinfonie mit Klavier, sondern eine Suite, die den Titel Natur tragen könnte. Es ist klar, dass das Concertino zur Welt des Schlauen Füchsleins gehört, wie das (erste) Quartett zu Katya Kabanova.“
Der hier angedeutete Bezug zur Tierwelt des Schlauen Füchsleins wird durch Äußerungen Janaceks über sein Concertino bestätigt. 1927 hat er in einem Artikel für die Zeitschrift Pult und Taktstock den eigenartigen Aufbau des Werkes mit Erlebnissen aus seiner Kindheit in Verbindung gebracht. Im einleitenden Moderato wird das Soloklavier mit einem ständig wiederholten Motiv des Horns konfrontiert. Janacek erinnerte sich an einen Frühlingstag, an dem er einen Igel von seinem Lager in einer alten Linde ferngehalten hatte. Das verstörte Tier hatte sich vergeblich bemüht, wieder hineinzukommen. Das Es-Klarinetten-Solo des 2. Satzes (Più mosso) erschien ihm wie das Kreischen eines Eichhörnchens, das Kinder eingesperrt hatten und das sich im Käfig tanzend um sich selbst drehte. Im 3. Satz (Con moto) dachte der Komponist an die dummen Augen von Eulen und anderen „kritischen Nachtvögeln“, die mit einem einschüchternden Blick in die Saiten des Klaviers starren. Im 4. Satz (Allegro) „scheint sich alles um einen Groschen zu zanken wie im Märchen“. Auch ohne dieses Programm wörtlich zu nehmen, verdeutlicht es auf poetische Weise die Besonderheit jedes Satzes: das merkwürdig „verhinderte“ Hornsolo des Kopfsatzes, die tanzende Klarinette des zweiten, die Begleitakkorde des dritten, die wirken, als stünden die Instrumente starr um das Klavier herum, und den Schlagabtausch des Finales. Andererseits entspricht die Satzfolge durchaus den Konventionen eines viersätzigen Konzerts: Kopfsatz in Sonatenform, Scherzo, Adagio mit großer Klavierkadenz und tänzerisches Finale. Die Wahrheit liegt wohl auf halbem Wege zwischen Jugenderinnerung und selbständigem Klavierkonzert. An den tschechischen Pianisten Jan Herman, dessen Spiel ihn zu dem Werk angeregt hatte, schrieb der Komponist: „Das ganze Ding kommt aus der jugendlichen Stimmung meines Sextetts ‚Jugend‘. Ich habe den Eindruck, es ist wie ein Echo jener Zeit, als ich mich mit dem Klavier abmühte“ – ein dezenter Hinweis darauf, wie mühsam die scheinbare Leichtigkeit dieses Concertino für die Interpreten zu erringen ist.
Karl Böhmer