Sonate h-Moll für Flöte und obligates Cembalo (Klavier), BWV 1030
Werkverzeichnisnummer: 103
1. Andante
2. Largo e dolce
3. Presto
Die h-Moll-Sonate ist Über ihre Entstehungsgeschichte sind wir nicht genau informiert. Früher datierte man die Sonate in Bachs Köthener Zeit 1717-23. Da er als Hofkapellmeister des Fürsten von Anhalt-Köthen damals eine Reihe bedeutender Instrumentalwerke schrieb, glaubte man dies auch auf andere Werkgruppen, etwa die Orchestersuiten oder die Flötensonaten, ausdehnen zu können. Dies ist jedoch aus mehreren Gründen nicht haltbar. Zum einen stammen alle Quellen der Flötensonaten Bachs aus seiner Leipziger Zeit. Zum anderen sind die wenigen Partien, die er in Köthen für Flauto traverso (die barocke Querflöte) geschrieben hat, technisch so anspruchslos, daß man sie mit den Anforderungen der h-Moll-Sonate nicht vergleichen kann.
Ab 1723, in seiner Leipziger Zeit dagegen hatte es Bach mit einer ganzen Reihe fähiger Flötisten zu tun. Dies belegen die hochvirtuosen Flötenpartien in seinen Choralkantaten von 1724/25, seinen Passionen von 1724, 1727 und 1731 und seinen weltlichen Kantaten aus den 1730er Jahren. Manche Flötisten aus Bachs Umkreis sind namentlich bekannt. Eigenhändige Zeugnisse des Thomaskantors für Studenten, die seine Kirchenmusik auf dem Flauto traverso verschönern halfen, seine verbürgte Freundschaft mit dem Dresdner Soloflötisten Gabriel Buffardin und der Umstand, daß mindestens ein Bachsohn, Carl Philipp Emanuel, auch ein ambitionierter Flötist war, mögen zur Charakterisierung dieses Umfelds genügen. Welchem dieser potentiellen Adressaten die h-Moll- Sonate zugedacht war, ist leider nicht bekannt.
Die autographe Reinschrift der Sonate, eine der schönsten aus Bachs Feder, stammt aus den späten 1730er Jahren. Ihr ging eine frühere, nur im Cembalopart erhaltene Fassung in g-Moll voraus. Auch diese kann kaum vor 1730 komponiert worden sein, wie bestimmte stilistische Merkmale und die Quellenlage beweisen.
Der erste Satz enthält Rhythmen und Ornamente, die für den sogenannten “galanten Stil” typisch sind und in Bachs Werk erst ab 1729 begegnen. Dies war auch das Jahr, in dem er die Leitung seines Leipziger Collegium musicum übernahm, wo nachweislich Kammermusik für Flöte gespielt wurde. Auf dieses “Bachische Collegium musicum” deutet im Zusammenhang mit BWV 1030 noch ein weiteres Indiz: Das Kopfmotiv des ersten Satzes der h-Moll-Sonate hat Bach aus einer g-Moll-Orchestersuite seines Vetters Johann Bernhard entliehen; es bildet dort das Fugenthema der Ouvertüre. Um 1730 kopierte er diese Suite für sein Collegium musicum und fand dabei offenbar Gefallen an dem besagten Thema, das er in seiner Flötensonate aufgriff.
Mit der kunstvollen Verarbeitung dieses Motivs, das Frans Brüggen einmal eine “idée fixe” Bachs nannte, sind wir schon mitten im komplizierten satztechnischen und formalen Gefüge der Sonate. Zunächst zur Satztechnik: Die h-Moll-Sonate ist mit obligatem Cembalo (bzw. Klavier) geschrieben, d.h. das Tasteninstrument begnügt sich nicht mit der akkordischen Ausfüllung eines für die linke Hand notierten Basses (Basso continuo), sondern ist in der rechten Hand ebenfalls ausgeschrieben und dort gleichberechtigt mit der Flöte geführt.
In den drei Sätzen der h-Moll-Sonate hat Bach alle satztechnischen Varianten dieser Technik ausgenutzt:
1. Satz – freie Vierstimmigkeit wechselnd mit einem Triosatz, in dem die Flöte und die rechte Hand des Klaviers einander wie in einer Triosonate imitieren;
2. Satz – Flötensolo mit reicher akkordischer Begleitung;
3. Satz – zunächst eine dreistimmige Fuge, dann ein Triosonatensatz, allerdings mit akkordischen Abschnitten.
Auch die Formen der drei Sätze wirken wie ein Kompendium spätbarocker Kompositionskunst. Der erste Satz vereinigt die Ritornellform eines Konzertsatzes mit den imitatorischen Abschnitten einer Triosonate. Die Tempobezeichnung Andante weist, wie in Italien üblich, auf ein zügiges Tempo etwas unterhalb des Allegro hin. Der Mittelsatz imitiert ein Siciliano, einen Arien- und Melodietypus der italienischen Oper. Der erste Teil des Finales ist eine dreistimmige Fuge im Alla breve-Takt die zweite Hälfte eine hochvirtuose Giga. So hat Bach in weniger als 20 Minuten Musik alle Hauptformen seiner Zeit zusammengefaßt: Concerto und Sonata im ersten, Opernarie, Fuge und Suite im zweiten und dritten Satz.