Sonate f-Moll, BWV 1018 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Sebastian Bach

Sonate f-Moll, BWV 1018

Sonate Nr. 5 f-Moll für Violine und obligates Cembalo , BWV 1018

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 99

Satzbezeichnungen

1. [Lamento]

2. Allegro

3. Adagio

4. Vivace

Erläuterungen

Die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo, BWV 1014-1019

Die “Sei Sounate à Cembalo certato è Violino Solo”, wie sie in der frühesten authentischen Quelle genannt werden, sind Bachs bedeutendster Kammermusikzyklus, gewissermaßen sein kammermusikalisches Vermächtnis an die Nachwelt. Es waren die ersten Violinsonaten der Musikgeschichte, in denen das Tasteninstrument sich aus der Rolle der akkordischen Begleitung im Basso continuo löste und der Violine als gleichberechtigter Partner gegenübertrat. Die Fantasie, mit der Bach die satztechnischen Möglichkeiten dieser Konstellation auskostete, die formale Vollendung jeder einzelnen Sonate und ihre ganz spezifische Ausdruckswelt machen diese Stücke zu den ersten “klassischen” Duosonaten des Geigenrepertoires.

Im satztechnischen Verständnis der Bachzeit handelte es sich freilich um Triosonaten. Da über dem Bass, also der linken Hand des Cembalos, zwei Oberstimmen, die Violine und die rechte Hand, konzertieren, hat man es mit einer der Triosonate analogen Situation zu tun. Unter Bachs Händen multiplizierten sich freilich die Möglichkeiten dieser Konstellation – vom puren Cembalosolo über den strengen Triosatz bis hin zum veritablen Quartett- oder gar Quintettsatz.

Komponiert wurden die Sonaten vor 1725. Im Sommer dieses Jahres nämlich ließ Bach von seinem Neffen Johann Heinrich eine Stimmenabschrift anfertigen, die er eigenhändig um die letzten Sätze der noch unvollendeten sechsten Sonate ergänzte. Offenbar wollte Bach die Sonaten bei seinem Besuch in Dresden im September 1725 mit seinem dortigen Geigerfreund Johann Georg Pisendel spielen und möglicherweise auch im Dezember in Köthen, zusammen mit dem Köthener Konzertmeister Spieß und Fürst Leopold an der Gambe. Zu den Sonaten hat sich nämlich eine Gambenstimme erhalten, die den Cembalobass verstärkt. Komponiert wurden die Stücke sicher vor seinem Amtswechsel nach Leipzig, also vor Mai 1723 am Köthener Hof. Später hat Bach den Zyklus zweimal überarbeitet, wobei die sechste Sonate jeweils eine grundlegende Neufassung erfuhr. Die Fassung letzter Hand aus der 1740er Jahren ist in einer Abschrift seines Schwiegersohns Johann Christoph Altnickel erhalten.

SONATA V f-Moll, BWV 1018

Die f-Moll-Sonate ist die tiefgründigste der sechs Violinsonaten mit obligatem Cembalo, eine “Klangrede”, die nicht von ungefähr an einer Stelle Bachs “Kreuzstabkantate” zitiert (bzw. vorwegnimmt). Gleich der erste Satz ist in Form und Duktus einer Arie angelegt: Das lange Vorspiel des Cembalos besteht aus drei Stimmen, zwei Oberstimmen und Bass, die einander wie zwei Oboen und ein Fagott im Eingangsritornell einer Arie ständig ein ausdrucksstarkes Motiv zuspielen. Die Violine setzt danach in lang ausgehaltenen Tönen mit angebundenen ornamentalen Legatobögen ein – wie der Sopran in einer Bachschen Kantatenarie. Die drei übrigen Stimmen führen im Cembalo ihr kontrapunktisches Spiel mit dem Kopfmotiv unbeirrt fort. Erst allmählich nähert sich auch die Violine diesem Motiv an, das sie aufgreift und variiert. In dem Moment, in dem sie das Kopfmotiv umkehrt und in einer großen Steigerung nach oben führt, klingt deutlich eine Stelle aus der ersten Arie der Kantate BWV 56 an, “Ich will den Kreuzstab gerne tragen”. Die Analogie bezeichnet die Ausdrucksebene, auf der sich dieser Satz bewegt: Er ist ein Klagegesang, ein barockes Lamento. Tatsächlich hat Bachs Schüler Kirnberger für diesen Satz den Titel “Lamento” überliefert, der auf seinen Lehrer zurückgehen könnte. Die anderen Schüler Bachs, denen wir die wesentlichen Abschriften seiner sechs Cembalo-Violinsonaten verdanken – sein Neffe Johann Heinrich, sein Schwiegersohn Altnickol und sein Schüler Agricola –, geben den Satz allerdings ohne Überschrift wieder.

Als zweiter Satz folgt ein fugiertes Allegro indrei Stimmen, das trotz seiner robusten, an Corelli gemahnenden Themen den beinahe verzweifelten Duktus des ersten Satzes noch fortspinnt.

Der dritte Satz benutzt wiederum ein anderes satztechnisches Modell: eine Folge expressiver Mollakkorde, die von der Violine in Achtel-Doppelgriffen gespielt und vom Cembalo in freien Melismen ornamentiert werden. Wir haben es mit der Satztechnik der Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier I zu tun, die Bach hier kongenial auf die Besetzung Cembalo-Violine übertrug.

Der Finalsatz im schnellen Dreiertakt kehrt zur Fugatoschreibweise zurück, allerdings mit einem so bohrenden chromatischen Thema in Synkopen, dass sich weder harmonisch noch rhythmisch ein Ruhepunkt einstellen will. Die Sonate scheint in eben jener Verzweiflung zu schließen, in der sie begonnen hat.