Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 30
Werkverzeichnisnummer: 968
1. Sehr lebhaft
2. Sehr langsame Achtel
3. Deutsche Tänze. Im flotten Ländlertempo
4. Arioso. Sehr langsam und mit großer Ruhe – (attacca)
5. Sehr lebhaft ( wie im
1. Satz)
Zu den umstrittensten Leistungen Paul Hindemiths gehören die Revisionen, die er in der Nachkriegszeit von einigen seiner in den 20er Jahren geschaffenen Frühwerke anfertigte. Im Zuge der Hinwendung zu einer klassizistischen, an den großen Meistern orientierten Ästhetik, die sich in seinem Schaffen in den 30er Jahren vollzogen hatte, empfand der Komponist nach dem Kriege viele seiner experimentellen Frühwerke als unbefriedigend. Die berühmtesten, die er daraufhin eingehenden Revisionen unterzog, waren die Oper Cardillac und das Klarinettenquintett.
Die heutige Aufführungspraxis bevorzugt in der Regel die Frühfassungen, wie ja überhaupt der frühe Hindemith den späten an Beliebtheit übertrifft. In diesem Sinne spielt auch das Ensemble Villa Musica die Urfassung des Klarinettenquintetts, die es – sehr erfolgreich – auf CD eingespielt hat. Der experimentelle Zug ist indieser Fassung offenkundiger als in der späten. Die fünf Sätze entsprechen ungefähr einer Bartókschen Bogenform, indem der erste und letzte, sowie der zweite und vierte aufeinander bezogen sind. Der letzte Satz entspricht dem ersten Note für Note, allerdings von hinten nach vorne gelesen, also krebsgängig (s. die Illustrationen auf der nächsten Seite). Beide Sätze haben den Charakter eines Perpetuum mobile im barocken Rhythmus einer Giga. Der zweite und vierte Satz sind Adagios, wobei das größere Gewicht auf dem zweiten liegt. Es handelt sich um einen fast hymnisch zu nennenden Gesang, der sich nach einem Fugato zu größter Intensität steigert, um ruhig auszuklingen. Der angebliche “Bürgerschreck” Hindemith steht hier der Romantik (z. B. Mendelssohn) erstaunlich nahe. Der vierte Satz ist dagegen nur ein kurzes Intermezzo vor dem Finale. Das im Titel angezeigte Arioso fällt der Violine I zu, die anderen Streicher skandieren im Pizzicato. Der erstaunlichste Satz des Werkes ist der zentrale Scherzosatz, Deutsche Tänze überschrieben. Der Hindemith-Biograph Giselher Schubert nannte ihn einen “der abenteuerlichsten Sätze, die Hindemith jemals komponiert hat”. Wie der Widmungsträger des Quintetts, der Klarinettist Werner Reinhart, dem Solisten unserer Aufführung, Ulf Rodenhäuser, erzählte, hat Hindemith diesen rasanten Satz buchstäblich auf der Schiene geschrieben, nämlich während der Bahnfahrt zum Ort der Uraufführung, Donaueschingen.
1995
Klarinettenquintett, op. 30 (Urfassung von 1923)
Unter den Revisionen, die Hindemith in der Nachkriegszeit vielen seiner Frühwerke angedeihen ließ, sind die Neufassungen der Oper Cardillac und des Klarinettenquintetts berühmt-berüchtigt. Mit unerbittlicher Strenge merzte der alte Meister all jene Elemente aus, die gerade das Charakteristische dieser hochexpressiven Werke ausgemacht hatten. Im Klarinettenquintett war dies vor allem der gegen eine Neukomposition ausgetauschte zweite Satz, neben glättenden Eingriffen in die anderen Sätze. Erst in dieser revidierten Form wurde das Quintett 1954 als Opus 30 im Druck veröffentlicht.
Wie schon in seiner Einspielung des Quintetts greift Ulf Rodenhäuser auch in unserem Konzert auf die ungedruckte Urfassung zurück, die Hindemith 1923 gleich in Stimmen (!) komponiert hatte. Ihre fünf Sätze entsprechen ungefähr einer Bartókschen Bogenform, indem der erste und letzte, sowie der zweite und vierte aufeinander bezogen sind. Der letzte Satz ist eine krebsförmige Spiegelung des ersten, also Note für Note von hinten nach vorne gelesen. Beide Sätze werden von scharfen Streicherakzenten und weiträumigen Triolenpassagen der Klarinette bestimmt. Der zweite und vierte Satz sind langsame Sätze, wobei das größere Gewicht auf dem zweiten liegt. Es handelt sich um einen fast hymnisch zu nennenden Gesang, der sich nach einem Fugato zu größter Intensität steigert, um ruhig auszuklingen. Der Musikkritiker Paul Bekker rechnete diesen “in immer breiterer Entfaltung aufquellenden Gesang” zum “Zartesten und Innigsten …, was in neuerer Zeit nicht nur von Hindemith, sondern überhaupt geschrieben worden ist”. Der vierte Satz ist dagegen nur ein kurzes Intermezzo vor dem Finale; das im Titel angezeigte Arioso fällt der Violine I zu, die anderen Streicher skandieren im Pizzicato, während die Klarinette “nur mit langgehaltenen tiefen Klängen wie aus der Ferne rufend hineinstößt” (Bekker). Der erstaunlichste Satz des Werkes ist der zentrale Scherzosatz mit dem Titel Deutsche Tänze (1954 zu Schneller Ländler geändert). Paul Bekker nannte ihn einen “Walzer mit Jodelrthemen für die grelle Es-Klarinette”, der Hindemith-Biograph Giselher Schubert einen “der abenteuerlichsten Sätze, die Hindemith jemals komponiert hat”. Wie der Klarinettist der Uraufführung, der seinerzeit berühmte Felix Dreisbach, einmal Ulf Rodenhäuser erzählte, hat Hindemith diesen rasanten Satz buchstäblich auf der Schiene geschrieben, nämlich während der Bahnfahrt zur Uraufführung in Salzburg. (kb)