Sonate g-Moll, BWV 1001 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Sebastian Bach

Sonate g-Moll, BWV 1001

Sonate Nr. 1 g-Moll für Violine solo (Marimbaphon solo), BWV 1001

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 91

Satzbezeichnungen

1. Adagio

2. Fuga. Allegro

3. Siciliana

4. Presto

Erläuterungen

JOHANN SEBASTIAN BACH hat die Violine nach dem Zeugnis seiner Söhne bis ins hohe Alter „rein und durchdringend“ gespielt. Seine Tätigkeit als Weimarer Konzertmeister (1714-1717) und die Bekanntschaft mit virtuosen Geigern wie dem Dresdner Konzertmeister Pisendel und dem Prinzen Johann Ernst von Sachsen-Weimar weckten sein Interesse an der Geigenliteratur, die er um weit mehr Werke bereichert hat, als heute erhalten sind. Die bedeutendsten sind zweifellos die Sei solo a violino senza Baßo accompagnato – so der Originaltitel der je 3 Sonaten und Partiten für Violine solo, BWV 1001-1006. Schon ein berühmter Geiger der Zeit meinte, daß „er nichts vollkommneres, um ein guter Geiger zu werden, gesehen hätte u. nichts besseres den Lehrbegierigen anrathen könnte, als obengenannte Violinsoli ohne Baß.“ Bach brachte sie um 1720 in Köthen in ihre endgültige Form. Die darin geforderte Fertigkeit des polyphonen Spiels hat ihre Wurzeln in der spezifisch deutschen Geigenkunst von Meistern wie Biber, Westhoff und eben Pisendel. Deren Stücke, die reichverzierten Adagios eines Corelli und seine eigenen Clavierfugen waren Bachs Vorbilder. Es ist überliefert, daß er seine Solosonaten später regelmäßig auf dem Cembalo spielte. Von der g-Moll-Fuge hat sich sogar ein Arrangement für Orgel erhalten.

2001:

Wenn der kleine Johann Sebastian Bach in Eisenach die Geige seines Vaters Ambrosius einpackte, um mit ihm musizieren zu gehen, mag er vielleicht davon geträumt haben, selbst einmal ein virtuoser Geiger in der deutschen Tradition des Instruments zu werden. Mit dem Tod des Vaters, der sein Geigenlehrer war, und mit der Übersiedlung zu seinem Orgelspielenden Bruder Christoph nach Ohrdruf verschoben sich die Akzente in der Musikausbildung Johann Sebastian Bachs. Statt ein deutscher Vivaldi zu werden, entwickelte er sich zum inkommensurablen Orgel- und Cembalovirtuosen, der freilich sein erstes Instrument nie ganz vergaß. Bach hat die Geige zeitlebens „rein und durchdringend“ gespielt, wie seine Söhne berichteten. Er verdankte ihr seine erste Anstellung als Kammerlakai und Violinist 1703 in Weimar, seinen ersten großen Karrieresprung, den Aufstieg zum Konzertmeister der Weimarer Hofkapelle 1714, und die Kontrolle über seine diversen Orchester, die er in Weimar, Köthen und Leipzig für gewöhnlich vom Konzertmeisterpult aus leitete.

Dass Bach ein passionierter Geiger war, kann man allein an seinem Nachlassverzeichnis ablesen. Es registriert neben zwei Violinen in schlechtem Zustand ein Instrument des berühmten Geigenbauers Jacobus Stainer. Es war also eine echte Stainer-Geige, auf der Bach einen Zyklus von Stücken erprobt und entworfen hat, der bis heute als Nonplusultra solistischer Geigenmusik gilt: die Sonaten und „Partiten“ für Violine solo. Bach hat sie in seinen Weimarer Konzertmeisterjahren ab 1714 als hohe Schule des polyphonen Geigenspiels „senza Basso accompagnato“ entworfen. Abgeschlossen und in die Fassung letzter Hand gebracht hat er sie im Sommer 1720 im böhmischen Karlsbad, als er die wunderbare, kalligraphische Reinschrift des Zyklus anfertigte. Diese vielleicht schönste aller Bachschen Notenhandschriften ist auf Bögen aus einer böhmischen Papiermühle notiert, die Bach nur dieses eine Mal verwendet hat. Es bedurfte der sommerlichen Ruhe eines Kuraufenthaltes im Gefolge des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, um sein Meisterwerk der Geigenlitaretur zur Vollendung zu bringen. Zweifellos haben Bach und der Köthener Konzertmeister Spieß aus dem Manuskript auch selbst gespielt – vor adligen Kurgästen, die angesichts der polyphonen Künste dieser Sonaten und Partiten ihren Ohren nicht getraut haben dürften.

Die Sonata prima in g-Moll beschreibt in wünschenswerter Klarheit Bachs Absichten hinter dem gesamten Zyklus. Es ging ihm um eine Synthese zwischen dem italienischen Violinstil der Corelli-Schule und der deutsch-österreichischen Tradition polyphonen Geigenspiels, wie wir sie heute hauptsächlich mit Biber und Schmelzer verbinden. Das reich verzierte Adagio, mit dem die Sonate beginnt, ist von den ersten Sätzen der Corellisonaten Opus 5 inspiriert, wobei Bach die Verzierungen, die man bei Corelli zu improvisieren hätte, bis auf den kleinsten Vorschlag minutiös ausschrieb. Aus den Nuancen der auf- und absteigenden Läufe, der Triller und Doppelschläge, vor allem aber aus den dissonanzenreichen Vorhalten entsteht eine so affektreiche Klangrede, wie sie wohl nur Bachs Vortragsstil zu Tage fördern konnten. Hätte er, wie die Italiener, nur die nackten Grundtöne dieses Adagios notiert, wir wüssten nicht mehr, wie großartig er auf seiner Stainergeige Verzierungen zu den Grundharmonien eines Adagio improvisieren konnte.

Die g-Moll-Fuge, die Bach auch für Orgel und Laute arrangiert hat, beruht auf einem Thementypus italienischer Provenienz. Als junger Organist hatte Bach Fugen aus Triosonaten von Albinoni, Corelli und Legrenzi für Cembalo bzw. Orgel bearbeitet. Ihre Themen lieferten ihm das Modell für seine g-Moll-Fuge, die sich auch sonst – in den virtuosen Zwischenspielen, im konzerthaften Duktus und dem klaren Kontrapunkt – italienisch gibt. Deutsch daran sind die zahllosen Doppelgriffe, mit denen der Geiger auf seinen vier Saiten die Vollstimmigkeit der Orgel nachzuahmen trachtet.

Die Siciliana des dritten Satzes verweist ebenfalls auf den italienischen Stil. Es ist eine jener pastoral schwingenden, im 6/8- oder 12/8-Takt notierten Arien, die zuerst von dem Sizilianer Alessandro Scarlatti in die Oper eingeführt und von dort auf die Instrumentalmusik übertragen wurden. In Italien geschah dies um 1700, in Deutschland 10 bis 15 Jahre später. Bachs Siciliana aus der g-Moll-Sonate zählt zu den frühesten deutschen Beispielen dieses Typus und ist das früheste aus Bachs Feder – es sollten ihr in Bachs Concerti und Sonaten, Passionen und Kantaten noch mehr als 40 Sätze dieses Typus folgen. Bei Bachs erstem Versuch in dem Genre bleibt von der schlichten Oberstimmenmelodik italienischer Prägung nicht viel übrig. Mehrstimmigkeit und das Spiel mit nachschlagenden Figuren durchkreuzen die simple Absicht der Italiener und formen daraus einen typisch deutschen Barocksatz für Violine solo.

Im Finale ließ der Geiger Bach seiner Geläufigkeit freien Lauf: Dreiklangsbrechungen im Wechsel mit Laufkaskaden beschwören den Violinstil einer neuen italienischen Geigergeneration – der Vivaldi und Veracini – herauf.

2004 Marimbaphon
Als Johann Sebastian Bach im Sommer 1720 im böhmischen Karlsbad die kalligraphisch geschwungenen Notenbalken seiner ersten Solosonate für Violine zu Papier brachte, hätte er sich nie träumen lassen, dass diese Musik einmal von so etwas wie einem afrikanischen Schlagzeug gespielt werden würde.

Nichts anderes ist das Marimbaphon: eine technisch perfektionierte Variante jenes ost- und südafrikanischen Xylophons, das man Marimba nennt. Die Konzertvariante dieses Instruments wurde in den 1920er Jahren in Chicago entwickelt und hat seitdem die Percussionisten aus aller Welt in ihren Bann gezogen. Man kann darauf in höchst virtuoser Manier klassische Instrumentalsoli ebenso spielen wie aufregende Moderne oder Jazz.

In unserem Fall ist es eine Bearbeitung der Sonata prima in g-Moll aus Bachs Sei Solo à Violino, die auf dem Marimbaphon erklingt. Im ersten Satz hat man es mit einem von Bach selbst minutiös verzierten Adagio im Stil Corellischer Violinsonaten zu tun. An zweiter Stelle steht eine Fuge über ein ebenfalls höchst italienisches Thema, das Bach nach allen Regeln der Kunst durchführte. Das Passagenwerk der Zwischenspiele dagegen könnte manchem Violinkonzert Vivaldis Konkurrenz machen. Die Siciliana des dritten Satzes ist Bachs früheste Auseinandersetzung mit jenem Typus melancholischer Melodien im Sechser- oder Zwölfertakt, die der Sizilianer Alessandro Scarlatti um 1690 in der italienischen Musik populär gemacht hatte. Das Presto-Finale rauscht als eine einzige. ununterbrochene Kaskade aus Dreiklangsbrechungen und Läufen am Hörer vorüber.

Eine Musikerin, die selbst am Design und der Bauart moderner Marimbas verbessernd mitwirkte, ist die Japanerin Keiko Abe. Mit 12 Jahren wechselte sie vom Klavier zum Marimbaphon, spielte in Japan mehr als ein Dutzend Soloalben auf diesem Instrument ein und erhielt sogar ihre eigene TV-Show. In suggestiven Soli wie Frogs (Frösche) gelang ihr der Ausgleich zwischen fernöstlicher Naturdarstellung in der Musik und avantgardistischen Techniken.