Trio fis-Moll für Klavier, Violine und Violoncello, Hob. XV:26
Werkverzeichnisnummer: 917
1. Allegro
2. Adagio cantabile
3. Tempo di Menuetto
Als der Wiener Landschaftsmaler Albert Christoph Dies den alten Haydn aufsuchte und ihn in langen „Interviews“ zu seinem Leben und seiner Kunst befragte, tischte ihm der Meister so manche überraschende Anekdote auf. Die junge DIes dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als ihm Haydn ein kleines Bändchen aus Londoner Tagen in die Hand drückte: die Abschrift englischer Briefe, offenbar von einer Frau an den Komponisten gerichtet und von liebender Zuneigung förmlich überquellend. Lächelnd klärte Haydn das Geheimnis auf: „Briefe einer englischen Witwe in London, die mich liebte; aber sie war, ob sie gleich schon 60 Jahre zählte, noch eine schöne und liebenswürdige Frau, die ich, wenn ich damals ledig gewesen wäre, sehr leicht geheiratet hätte.“
In Wahrheit zählte Rebecca Schroeter, die Witwe des wichtigsten Londoner Pianisten nach Johann Christian Bach, ganze 40 Jahre, als sie Haydn 1791 kennen lernte. Von ihrem ersten Gatten zur fähigen Pianisten ausgebildet, nahm sie bei dem berühmten Gast vom Kontinent vertiefenden Unterricht. Die Folge war eine rasch aufkeimende Liebe, die sich in eben jenen 21 Briefen niederschlug. „Mein liebster Haydn, ich fühle für Sie die tiefste und zärtlichste Zuneigung, deren das menschliche Herz fähig ist“ etc. etc. Wäre Haydn nicht schon verheiratet gewesen und hätte zuhause in Esterháza außer seiner Ehefrau nicht auch noch eine Geliebte mit gewissen Versorgungsansprüchen auf ihn gewartet, er hätte es auf eine dauerhafte Bindung zu der schönen Londonerin ankommen lassen.
Die Liaison, von der man nicht weiß, wie weit sie tatsächlich ging, reichte noch bis in seinen zweiten Londoner Aufenthalt 1794/95 hinein. Ihre wertvollste Frucht sind die drei Klaviertrios Nr. 24 bis 26, die zu Haydns schönsten zählen. Sie erschienen im Oktober 1795 im Druck, erst knapp zwei Monate, nachdem Haydn das Land endgültig verlassen hatte. Vielleicht wagte er erst nach seinem endgültigen Abschied von London eine offene Widmung an „Madame Schroeter“, deren Begeisterung für den Gast den Londonern kaum verborgen geblieben sein dürfte. Es war ein gleichermaßen edles wie unsentimentales „Adieu“ an die Geliebte: drei Trios von nobelstem Zuschnitt, deren Klavierpart genau auf die pianistischen Fähigkeiten der Rebecca Schroeter zugeschnitten war. Ob die beiden diese Werke auch im Unterricht oder bei ihren privaten „Mußestunden“ miteinander durchgegangen sind, wissen wir nicht. Indizien zur Datierung verraten, dass Haydn an der Trias zwischen Januar und Mai 1795 gearbeitet hat.
Bis heute stehen das erste und dritte Trio dieser Serie im Schatten des zweiten, des berühmten „Zigeunertrios“ in G-Dur. Während Letzteres zum Standardrepertoire aller Klaviertrios weltweit gehört, ist es um die beiden Schwesterwerke relativ still geblieben – unverdientermaßen. Die ersten Sätze der Trios in D und fis gehören zu Haydns großartigsten Kammermusiksätzen in Sonatenform. Das Adagio des fis-Moll-Trios gefiel dem Komponisten und seinem Publikum so gut, dass er es für Orchester bearbeitete und in seine Sinfonie Nr. 102 mit dem Beinamen „The Miracle“ aufnahm.
Von Haydns großen Werken in Moll wird oft behauptet, sie ließen das düstere Tongeschlecht allzu rasch hinter sich, um sich wieder hellem Dur zuzuwenden – getreu jenem Bonmot von E. T. A. Hoffmann, nach dem Haydns Musik nur den Himmel, nicht aber die Hölle kenne. Für das große fis-Moll-Klaviertrio trifft dies nicht zu. Seine Ecksätze verharren mit so trostloser Resignation in der bizarren Grundtonart, wie man es bei Haydn nur selten findet. Das grüblerische Hauptthema des Kopfsatzes kehrt immer wieder zur klagenden Sekund cis-d zurück. In der Durchführung entsteht daraus eine enharmonische Verwechslung, die nach es-Moll führt, also in dunkelste harmonische Regionen. Ein zweites Moment von Melancholie in diesem Satz ist der stockende trochäische Rhythmus, mit dem die Streicher die Klavierpassagen begleiten. Selbst das zweite Thema, eine zuversichtliche Tanzmelodie im Rhythmus einer Gavotte, verkehrt sich in der Reprise in unlustiges Moll. Von Mozartscher Dramatik und an dessen g-Moll-Klavierquartett erinnernd, wirkt die Coda dieses Satzes.
Das Adagio in Fis-Dur wird manchen Hörern eher in seiner F-Dur-Fassung aus der Sinfonie Nr. 102 vertraut sein. Während man früher glaubte, die sinfonische Version sei die Urfassung, weiß man heute, dass Haydn den Satz zuerst für Klaviertrio geschrieben hat. Die wundervolle Melodie in der rechten Hand des Klaviers setzt dreimal zu seligem Gesang an: in Fis-Dur, in A-Dur und wieder Fis-Dur. Jedes Mal wird sie von unruhigen Triolen in wildes Fahrwasser abgedrängt, wo sie gleichsam im Strudel der Tonwiederholungen unterzugehen droht. In der Sinfonie hat Haydn diese Molleinschübe von Paukenschlägen begleiten lassen.
“Tempo di Menuetto” steht ein wenig altertümlich über dem Finale, das in barocker Manier vom punktierten Rhythmus Gebrauch macht. Es ist ein merkwürdig um sich selbst kreisender Tanzsatz, lichtlos selbst in seinem Fis-Dur-Trio. Die Coda bringt das Werk auf misanthropische Weise zu Ende. Rebecca Schroeter dürfte dieses traurige Trio sicher als „Adieu“ ihres geliebten Haydn verstanden haben. Vielleicht hat er ihr ja wirklich einige Tränen nachgeweint.