Klaviertrio Es-Dur, Hob. XV: 29 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Klaviertrio Es-Dur, Hob. XV: 29

Trio Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, Hob. XV: 29

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 907

Satzbezeichnungen

1. Poco Allegretto

2. Andantino et innocentemente

3. Finale. in the German Style. Presto

Erläuterungen

2002
JOSEPH HAYDN
Klaviertrio Nr. 29 Es-Dur

Joseph Haydn schrieb während seines zweiten England-Aufenthaltes 1794/95 insgesamt vier Dreiergruppen von Klaviertrios, die zuerst in Londoner Verlagen erschienen. Es waren die ersten Trios, die der Komponist ausdrücklich für die größeren und klangvolleren englischen Hammerflügel seiner Zeit entwarf. Entsprechend auffällig ist ihr Klang: „Die starke Betonung der klanglichen Möglichkeiten des Klaviers (Akkordspiel, Arpeggien, extreme Lagen) gibt ihnen ein unverwechselbares Kolorit, wie man es weder bei Mozart noch beim frühen Beethoven findet“ (Ludwig Finscher).

Im Falle der Trios Nr. 27-29 wurde Haydn außer durch die englischen Hammerflügel noch durch eine andere Sensation des Londoner Musiklebens inspiriert: durch Miss Theresa Jansen alias Mrs. Bartolozzi. Die englische Pianistin mit italienischem Ehemann war die Tochter eines aus Deutschland eingewanderten Tanzmeisters. Zusammen mit ihrem Bruder hatte sie bei Clementi studiert. Mit Klavier- und Tanzstunden verdiente sie in London mehr als 2.000 Pfund jährlich – nach damaliger Währung eine ungeheure Summe.

Haydn übersandte ihr zunächst anonym seine Sonate Jakobs Traum, woraus dann bald eine herzliche Freundschaft entstand, der wir auch die drei Trios von 1795 verdanken. Das dritte dieser Werke in Es-Dur (im Hobokenverzeichnis unter der Nummer Hob. XV:29 aufgeführt) ist weniger ein Tribut an die Virtuosität von Mrs. Bartolozzi als vielmehr an ihre Charakterisierungskunst. Alle drei Sätze sind Genrestücke: ein Marsch, ein Siciliano und ein Deutscher Tanz. In ihrer divertimentohaften Reihung appellieren sie an die bildhafte Fantasie der Spieler wie der Hörer.

Der einleitende Marsch im gemächlichen Allegretto-Tempo ist ein Variationen-Rondo, wie es Haydn auch als Einleitung für seine Trios Nr. 19, 23 und 30 verwendete. Dem folgenden Andantino in der entlegenen Tonart H-Dur fügte er die seltene Vortragsanweisung innocentemente – „unschuldig“ hinzu. Die kreisende Sicilianomelodie mit feiner chromatischer Umspielung der Quint wird diesem Charakter vollauf gerecht.

Der einzige Satz im schnellen Tempo und der längste des Werkes ist das Finale in the German Style. Haydn nannte es auch Allemande, womit er nicht etwa auf die altertümliche Allemande der barocken Cembalosuite, sondern auf den damals modischen „Deutschen Tanz“, den Vorläufer des Walzers, anspielte. Im rasend schnellen Presto assai kostet der Satz die ländlich-rustikale Aura des stampfenden Dreivierteltaktes weidlich aus, während sich die Form dank einer subtilen Synthese aus Sonatenform und Rondo auf über 300 Takte erstreckt. „Alles in allem bringt dieser Satz zwei ganz unwahrscheinliche Partner zusammen: volkstümlichen Tanzstil und erlesene Form“ (A. Peter Brown).

Im klangvollen Es-Dur-Trio Nr. 29, dem Abschluss der Trias von 1797, zollte Haydn weniger der Virtuosität der Teresa Bartolozzi seinen Tribut als vielmehr ihrer Charakterisierungskunst und ihrem ausdrucksvollen Spiel. Statt mit einem Allegro in Sonatenform beginnt es mit einer typischen Haydn-Überraschung: mit einem lange ausgehaltenen Es-Dur-Akkord. Darauf folgt ein gemächlich schlenderndes Thema, Poco Allegretto. Synkopen und punktierte Rhythmen ergeben eine Art galanten Marsch – wie der Nachmittagsspaziergang vornehmer Londoner durch einen Landschaftspark. Zarte gesangliche Episoden mischen sich ins Bild, ein zweites Thema in Moll trübt wie eine große, graue Wolke die Gainsborough-Stimmung. Doch dann kehrt, auf raffinierte Weise variiert, das Es-Dur-Thema wieder.

Da auf diesen halbschnellen Kopfsatz ein Andantino folgt, musste Haydn den nötigen Kontrast mit harmonischen Mitteln erzeugen. Der Beginn in H-Dur wirkt fremd, fast zu süß, wie ein Traumbild. Eine Siciliano-Melodie, wie sie so scheinbar naiv und „unverdorben“ nur der alte Haydn schreiben konnte, muss innocentemente, „unschuldig“, vorgetragen werden. In nur 48 Takten hat sie sich zu Ende gesungen, so dass sie attacca ins Finale übergeht.

In diesem Presto assai finden wir uns auf dem Tanzboden wieder, und zwar unverkennbar im Walzerrhythmus: Was Haydn hier mit dem Titel „Finale in the German Style“ bezeichnet hat, ist nichts anderes als ein „Deutscher Tanz“, der direkte Vorläufer des Wiener Walzers. In rasend schnellem Tempo kostet das Presto assai die ländlich-rustikale Aura des stampfenden Dreivierteltaktes weidlich aus, während sich der Satz dank einer subtilen Synthese aus Sonatenform und Rondo auf weit über 300 Takte ausdehnt. „Alles in allem bringt dieser Satz zwei ganz unwahrscheinliche Partner zusammen: volkstümlichen Tanzstil und erlesene Form“ (A. Peter Brown). Diese Synthese aus hohem und niederem Stil war eine der Spezialitäten Haydns, die man in London besonders schätzte. Die Pianisten an der Themse werden dieses Finale mit Begeisterung gespielt haben, denn längst schon hatte das Walzertanzen auch die Hauptstadt Englands erfasst. Dies wusste Mrs. Bartolozzi als Tochter eines deutschen Tanzmeisters am besten und konnte sich beim Spielen des Trios sogar die Tanzschritte „in the German style“ vorstellen.