Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 54,2; Hob. III: 57
Werkverzeichnisnummer: 872
1. Vivace
2. Adagio, attacca:
3. Menuetto. Allegretto – Trio
4. Adagio – Presto – Adagio
Joseph Haydns Streichquartettschaffen, so umfangreich es auf den ersten Blick auch erscheinen mag, ist heute doch leicht überschaubar dank der Gliederung in gedruckte Werkserien, deren Opuszahlen gewissermaßen zur zweiten Identität für die Quartette geworden sind. Zu Haydns Zeit kümmerten sich die Verleger in Paris oder Offenbach gewöhnlich nicht um die Opusnummern, unter denen die selben Quartette in Wien oder Paris erschienen waren. Deshalb gibt es etwa für die Quartette op. 54 in den Originaldrucken di e unterschiedlichsten Opuszahlen, und erst in den Nachdrucken des 19. Jahrhunderts setzte sich eine Art internationaler Kanon mit der heute bekannten Zählung durch. Letztere ist auch deshalb von Nutzen, weil sich an ihr die stilistische Entwicklung der Quartette Haydns in klare Stationen unterteilen läßt. So ist etwa Opus 20 der große experimentelle Zyklus vor der Entdeckung des “klassischen Stils”, den Haydn in Opus 33 etablierte. Opus 50 zeigt die stärkste monothematische Arbeit, Opus 64 den Einfluß Mozarts, op. 71 eine zunehmende Tendenz zum Sinfonischen usw.
Opus 54 nimmt in dieser Entwicklung eine Außenseiterrolle ein. Zum einen besteht der Zyklus nur aus drei, nicht aus sechs Quartetten, zum anderen sind die Formen der drei Quartette so ungewöhnlich, daß man sie als Experimente verstehen muß. Das Quartett C-dur, op. 54, 2, beginnt mit einemVivace in der üblichen Sonatenform, jedoch mit einem völlig neuen Verständnis von deren harmonischen Möglichkeiten. Das erste Thema, das die Grundtonart eigentlich breit ausführen sollte, wird sogleich nach G, As und a versetzt , von Generalpausen wirkungsvoll unterbrochen. Diese harmonischen Überraschungen reißen im Verlauf des Satzes nicht ab. Langsamer Satz und Menuett bilden in dem Quartett eine Einheit: das c-Moll-Adagio endet auf einem Halbschluß, an den sich attaca das Menuett – wiederum mit c-Moll- Trio – anschließt. Am seltsamsten ist das Finale gebaut. Es beginnt mit einer langsamen Einleitung, die es gewissermaßen versäumt, dem Rondo Platz zu machen: sie wird breit ausgesponnen, bevor endlich scheinbar doch das Rondo-Presto einsetzt; am Ende kehrt freilich das Adagio wieder. Das Quartett entstand im Auftrag des Wiener Geigers und “Großhandlungsgremialisten” Johann Tost, der auch Haydns op. 55 und 64 sowie die beiden letzten Streichquintette Mozarts in Auftrag gab. Wie in all diesen Werken wird auch hier die erste Geige virtuos hervorgehoben: mit Trillerfiguren, Laufwerk und – im Adagio – im Stil alla zingarese.