Quintett f-Moll für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello
Werkverzeichnisnummer: 654
1. Molto moderato quasi lento – Allegro
2. Lento, con molto sentimento
3. Allegro non troppo ma con fuoco
César Franck schrieb sein monumentales Klavierquintett in f-Moll 1878/79, in den Jahren des Aufbruchs der französischen Musik zu neuen Ufern. Nach der militärischen und politischen Katastrophe von 1871 verlieh die Morgenröte der Zweiten Republik auch dem Musikleben neue Impulse. Parallel zu den impressionistischen Malern suchten junge Komponisten nach neuen, typisch französischen Ausdrucksformen gerade in der Kammermusik, die bis dahin in Paris kaum beachtet wurde. Camille Saint-Saëns lieferte ihnen mit seinem Klavierquartett von 1875 ein eindrucksvolles Vorbild und verschaffte ihnen in der “Societé Nationale de Musique” Auftrittsmöglichkeiten, gerade mit Kammermusik. Auch seinen älteren Kollegen César Franck inspirierte er zu einem großen Werk für Klavier und Streicher: zum f-Moll-Quintett.
“Père Franck”, wie ihn seine Orgelschüler am Pariser Conservatoire bewundernd nannten, zeigte sich hier als Vorreiter der jungen Generation, die in seiner chromatisch changierenden Harmonik und eigenartigen Formenwelt den Beginn einer neuen Epoche französischer Musik erkannte. Er löste die Harmonik durch ständiges Alterieren in eine “impressionistische” Richtung auf und führte Komponisten wie Gabriel Fauré, Vincent d’Indy und Paul Dukas an eine eigenständige Form- und Farbenwelt der französischen “neuen Musik” heran. Gleichzeitig war er tief von der Musik Richard Wagners beeinflusst. Dies macht den eigenartigen, zwiespältigen Reiz seiner großen Spätwerke aus: der d-Moll-Sinfonie, der A-Dur-Violinsonate und des Klavierquintetts. Für Debussy war Francks Quintett “die wahre Musik”, für Saint-Saens dagegen, dem das Werk gewidmet werden sollte, eine einzige Geschmacklosigkeit. Bei der Uraufführung am 17. Januar 1880 in Paris übernahm er zwar heroisch den Klavierpart, ließ ihn aber anschließend demonstrativ auf dem Flügel liegen und schlug die Widmung des Werkes brüsk aus.
Als erstes französische Klavierquintett des 19. Jahrhunderts ist dieses Werk eine Weiterentwicklung des Brahmsschen Klavierquintetts unter den Auspizien eines spätromantischen Monumentalstils, der mehrere weitläufige Satzgebilde zu einer ausgedehnten zyklischen Einheit zusammenfasst. Denn obwohl das Werk kein Scherzo enthält, erreicht es in den verbleibenden drei Sätzen doch die Ausmaße einer veritablen Sinfonie.
Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung. Auf die pathetische Eingangsgeste der Streicher, “dramatico” vorzutragen, antwortet das Klavier mit einer sentimentalen Kantilene. Die beiden Elemente werden allmählich einander angenähert, das Tempo gesteigert, bis daraus das kraftvoll punktierte Allegro-Thema hervorgeht. In seinen chromatischen Steigerungswellen ist es ein typisches Franck-Thema, in seinem trotzig-unheimlichen Gestus das genaue Gegenteil des weichen, kantablen Seitenthemas. In dessen elegischer Violinmelodie verbirgt sich die zyklische Keimzelle des gesamten Quintetts, die “idée fixe”, die in den beiden folgenden Sätzen wiederkehrt. In der Durchführung des Kopfsatzes wird dieses Thema dem dramatico-Motiv aus der Einleitung gegenübergestellt.
Im scharfen Kontrast zum dramatischen Eingangssatz verharrt das a-Moll-Lento fast völlig in einer träumerisch nebulösen Stimmung. Über ruhiger Triolenbegleitung des Klaviers spielt die erste Violine ein naives, mit Pausen durchsetztes Thema, das sich langsam entfaltet. Dabei tritt die typische, mit alterierten Akkorden arbeitende Harmonik Francks stark in den Vordergrund. Das Seitenthema aus dem Kopfsatz wird hier als weiches, träumerisches Motiv wieder aufgegriffen, im Sinne der zyklischen Verklammerung aller Sätze.
Das Finale ist wieder im großen Stil des ersten Satzes angelegt. Es beginnt statt mit dem Thema mit einer fremdartigen Einleitung: Über chromatischen Tremolowellen der Bratsche wird das Hauptthema allmählich herangelockt. Erst nach einer längeren Steigerung erreicht der Satz seine Grundtonart F-Dur und das galoppartige, aufstrebende Thema. Ihm treten ein elegisches, fallendes Motiv und ein kantables Seitenthema gegenüber. Nach dramatischen Gegensätzen kehrt zu Beginn der Coda das zweite Thema des ersten Satzes wieder.
In allen drei Sätzen wird der Hörer unschwer Anleihen bei der Klangwelt der Orgel erkennen können. Wie sein österreichischer Altersgenosse Anton Bruckner war Franck primär Organist, der auch in Sinfonik und Kammermusik “organistisch” empfunden hat. So erinnert die Gegenüberstellung von Klavier und Streichern im Hauptthema des ersten Satzes an die verschiedenen “Werke” einer Orgel. Häufig entsteht der Eindruck regelrechter “Registrierungen” im Klangstil jener Cavallé-Coll-Orgeln, auf denen Franck in Paris seine berühmten Orgelkonzerte gab. Auch das “Schwellwerk” dieser riesigen Instrumente hat im f-Moll-Quintett seine Spuren hinterlassen: im ständigen An- und Abschwellen der Lautstärke.
Karl Böhmer