Divertissement für Trio d'anches | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jean Françaix

Divertissement für Trio d'anches

Divertissement für Oboe, Klarinette und Fagott (1947)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 645

Satzbezeichnungen

1. Prélude. Moderato

2. Allegretto assai

3. Elégie. Grave

4. Scherzo

Erläuterungen

KAUM EIN KOMPONIST des 20. Jahrhunderts hat soviel Bläserkammermusik geschrieben wie Jean Francaix, für dessen Werke Leichtigkeit und Eleganz charakteristisch sind. Nach dem Sensationserfolg seines Klavierkonzerts von 1932 nahm der Mainzer Schott-Verlag den Komponisten „unter seine Fittiche“, wie er selbst sagte. „Ich konnte dank ihm ohne Rast komponieren, zum Vergnügen der einen, zum Mißvergnügen der anderen. Man hat mir den Stempel ‚leichtfertiger Komponist‘ aufgedrückt, während ich doch jede Note streng überwache, die aus meiner Feder kommt.“ Dies gilt zweifellos auch für sein Divertissement für drei Bläser von 1954, ein launiges Werk voller Virtuosität und rhythmischer Raffinessen, in dem sich Anklänge an die Musik des französischen Barock und der Wiener Klassik mit den frechen Dissonanzen und dem Flair der französischen Moderne verbinden. Wir hoffen natürlich zum Vergnügen, und nicht zum Mißvergnügen unserer Zuhörer!

2001:
Man könnte sagen, Jean Françaix sei eigens in die Welt gekommen, um zu beweisen, dass man mitten in den Strömungen der mehr oder weniger zerfurchten Musik des 20. Jahrhunderts auch die alte Tugend geistreicher Unterhaltung pflegen könne. Seine gleichermaßen virtuosen wie eleganten, klangschönen wie witzigen Kammermusiken haben Zuhörer auf der ganzen Welt erfreut, gleichgültig, was strengere Ästhetiker davon halten mochten.
Das Divertissement für drei Bläser aus dem Jahre 1947 ist ein typisches Françaix-Stück. Es lässt ganz jenen Geist heiterer Nonchalance erkennen, der auch aus der Autobiographie des Komponisten spricht:
„Die Tatsache, dass ich in Le Mans, der Stadt des 24-Stunden-Rennens, geboren wurde, dürfte den übersättigten Leser wohl kaum interessieren – allerhöchstens, dass Le Mans von einer prächtigen Kathedrale überragt wird, die mir als Anregung zu einem ‚fantastischen‘ Oratorium, der Apocalypse selon St. Jean, gedient hat. Mein Vater besaß die Ausgeglichenheit und den Eigensinn der Menschen im Norden Frankreichs. Meine Mutter hingegen hatte, obgleich in Le Mans geboren, ein feuriges Temperament und entstammte einer lothringischen Familie. Wie sich das gehört, habe ich von beiden etwas mitbekommen: Das Feuer wirft den Schein auf mein ansonsten ruhiges Gemüt.
Mein einziger ‚Leistungsnachweis‘ ist ein erster Preis bei einem Klavierwettbewerb am Pariser Konservatorium – was ja nicht gerade viel ist. Verschiedene Orden zieren meine Brust, doch ist auch dies in Frankreich nichts Außergewöhnliches. Meine Lehrerin, Nadia Boulanger, hat sich stets vergeblich bemüht, mir Harmonie und Kontrapunkt oder gar das Schreiben von Fugen beizubringen. Um aber ihren Ruf zu wahren, pflegte sie zu sagen, ich würde dies alles instinktiv beherrschen.
Doch will ich ehrlich sein: Beim Komponieren sind die schönen Theorien das allerletzte, woran ich denke. In erster Linie sind es nicht die ‚gedanklichen Autobahnen‘, denen mein Interesse gilt, sondern die ‚Waldwege‘. Den Freunden gerader Linien aber sei gesagt: Obgleich ich wohl in der Lage bin, meine Werke vorzutragen und zu dirigieren, bin ich doch seit meiner frühesten Jugend vom Komponieren wie besessen. Ein leeres Blatt, auf dem allmählich das Werk entsteht – welch ein Sinnenrausch! Seinem persönli- chen Gefängnis entfliehen zu können – welch Privileg! Und dies ganz ohne Risiko: Denn sollte sich die Botschaft einmal als wertlos erweisen, so werde ich nicht mehr auf dieser Welt sein. Gott wird mich trösten – wenn er gewillt ist, mich zu sich zu nehmen.“
Das Divertissement knüpft schon im Titel an die Divertimento-Kunst des 18. Jahrhunderts an, wie sie Mozarts Trio-Divertimenti, KV 439b, verkörpern: eine im besten Sinne unterhaltende Kammermusik, die Lebensfreude, Witz und zartes Sentiment ausstrahlt. Für die sentimentale Seite stehen im Françaix-Divertissement der erste Satz, ein Präludium fast nach der Manier der französischen Cembalomeister, und der dritte, eine Elegie. Die heiteren Seiten der Kunst beleuchten der zweite Satz, ein Allegretto, dessen Spiel mit der Zweierbindung sehr bald ironische Züge annimmt, und das abschließende Scherzo. Leggierissimo, also mit größter Leichtigkeit soll dieses Feuerwerk aus Läufen, Schleifern und Sprüngen abgebrannt werden – ein Vergnügen mehr für die Zuhörer als für die durchaus geforderten Musikanten.