Quartett „In Memory of my Feelings“ für zwei Violinen, Viola und Violoncello
Werkverzeichnisnummer: 617
1. Adagio -Moderata (attaca)
2. Scherzo (attaca)
3. Lento – Allegro – Adagio (attaca)
4. Andante – vivo
„Der Titel dieses Quartetts In Memory of My Feelings (Zur Erinnerung an meine Gefühle) wurde dem Titel eines Gedichts von Frank O’Hara entnommen. (Titel sind nicht Gegenstand des Copyright, sie sind Freiwild – die Maler Jasper Johns und Willem de Kooning haben O’Haras Titel ebenfalls übernommen.) Es ist ein großartiger Satz für einen Titel – stark und doch mehrdeutig, hinweisend auf einen Gefühlsreichtum, der zurückhaltend und enthüllend zugleich ist -, großartig besonders für die Musik, könnte man doch sagen, daß Gefühl und Erinnerung das Gewebe des musikalischen Stoffes ausmachen. Über die Dimension der Erinnerung – also die Zeit – ist leichter zu reden als über die andere: die Beziehung des Gefühls zur Musik ist etwas, das die meisten von uns intuitiv annehmen, doch sobald wir versuchen, die Mechanik dieser Beziehung zu klären, geraten die Worte aufs Glatteis und werden die Konzepte unerträglich relativ.
Ich denke, ich kann sagen, daß von all meinen Stücken dieses das „persönlichste“ ist, was immer das bedeutet. Mag sein, daß „enthüllend“ ein besseres Wort wäre, doch wie auch immer: ich kann nicht wirklich sagen, warum das so ist – was im Speziellen, musikalisch gesehen, diesen Eindruck hervorruft. (Nach der Uraufführung des Quartetts kam eine völlig Fremde zu mir und begann mir, ausgehend von der Musik, die sie gerade gehört hatte, zu erzählen, wie mein Verhältnis zu meinen Eltern sei.) Es mag sein, daß mit der Zeit Stilfragen für mich weniger wichtig geworden sind. In unserer kulturell vielwertigen Musiklandschaft sind sprachliche Bewertungen und Assoziationen unvermeidbar – hoch/niedrig, gut/schlecht, Pop/Klassik und die feinen Gespenster musikalischer Kriegskunst, die darin enthalten sind, gehören, ob wir wollen oder nicht, zur modernen (postmodernen-) Hörerfahrung. In vielen meiner früheren Stücke spielte ich mit Anspielungen auf Jazz, Broadway, Rock, Film und Fernsehen in einer bewußten Weise – mit einem Augenzwinkern zum Publikum.
Aber man kann sich auch hinter solchem offensichtlichen Spiel verstecken oder in einem Sprache-über-Sprache-über-Sprache-Wirrwarr verlieren. Die sehr reale Sorge um öffentliche Verständigung kann den kleinen, individuellen Funken verdunkeln, der Kommunikation ursprünglich nötig macht. Deshalb entschied ich mich in diesem Stück, mein Unter- bzw. Unbewußtes die Musik, ihr formales Sich-Entfalten leiten zu lassen. Ich wollte, daß das Stück in mir die stärksten Emotionen hervorruft, ohne daß sich die klingende Musik einmischt oder zuviel Aufmerksamkeit beansprucht. Es zog mich hin zu dem musikalisch Simplen, aber psychologisch Komplexen: der einfachen Melodie mit ihrer aufregenden Resonanz. Ich vermied angestrengte thematische Arbeit und versuchte mehr wie ein Romanautor denn wie ein Architekt zu denken.
So war ich nicht wenig überrascht darüber, daß mich mein somnambuler bzw. surrealistischer Ansatz zu einer hochklassischen viersätzigen Form führte: Introduktion/Allegro in Sonatenform – Scherzo – Adagio – Rondo. Was soll ich dazu sagen? Es passierte halt. Die Anlage jedes Satzes ist weit davon entfernt, konventionell zu sein, obschon mit zahllosen Nebenbemerkungen und Abweichungen. Die Grenzen zwischen den Sätzen sind ziemlich aufgeweicht, und der dritte Satz beginnt und endet mit einem Blick in jene chaotische Masse aus Musik und Gedanke, aus dem dieses Quartett entstand. Das kleine Andante-Thema, das den letzten Satz eröffnet, scheint zu sagen: ‚Das war meine Geschichte; ich hoffe, sie hat Ihnen gefallen.‘ Mir hat sie gefallen!“