Streichsextett A-Dur, op. 48 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Dvorák

Streichsextett A-Dur, op. 48

Sextett A-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli, op. 48

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 593

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato
2. Dumka. Poco allegretto
3. Furiant. Presto
4. Finale: Tema con variazoni. Allegretto grazioso, quasi Andantino

Erläuterungen

So wichtig für Dvořák die Kammermusik mit Klavier auch war – sein ureigenstes Metier, das Genre, in dem er sich ganz zuhause fühlte, blieb die reine Streicherkammermusik. Seine vierzehn Streichquartette, die Zypressen, seine insgesamt vier Streichquintette und das Sextett legen davon beredtes Zeugnis ab. Vielleicht hing dies mit seiner eigenartigen Genese als Komponist und Musiker zusammen.

Der Sohn eines Metzgers und Gastwirts im kleinen Nelahozeves in Mittelböhmen musste seine Zeit mit anderem zubringen als mit Musizieren. Für den Vater musste er die Viehherden über die Weide treiben, während er das Geigenspielen eher nebenher lernte – wie es eben in böhmischen Dörfern der Brauch war, wo die Dorfschullehrer für Musikunterricht mehr Gehalt bezogen als für gewöhnliche Schulstunden. Bald versüßte ihm sein „Schutzengel, die Musik” die „Leiden seines jungen Lebens“.

Dvořáks musikalischen Anfänge in der Dorfschule und Dorfkirche, die Jahre in der Orgelschule Prag mit den ersten Gehversuchen in einer 20 Mann starken Tanzkapelle – all dies schwingt in seiner Streichermusik noch nach, in den scheinbar so naiven Themen, den mitreißenden Tanzrhythmen und selig singenden Melodien. In den abgeklärten späten Streicherwerken hören wir immer noch den Dvořák, der in einer Prager Irrenanstalt zum ersten Mal Streichsextette spielte. Dvořák vertraute stets darauf, der liebe Gott werde ihm „schon auch einige Melodien zuflüstern“. Doch dieser göttliche Funke hat ihn lange genug mitten in der Härte des Lebens angeweht.

Die Wende im ärmlichen Dasein des weithin unbekannten Prager Orchesterbratschers und Organisten Dvořák kam ausgerechnet aus der Hauptstadt Wien: 1875 gewann der immerhin schon 34-Jährige das österreichische Staatsstipendium, was er auch und vor allem der wohlwollenden Fürsprache von Johannes Brahms zu verdanken hatte, der als Juror fungierte. Der Hamburger in Wien ging noch einen Schritt weiter: 1878
empfahl er den acht Jahre jüngeren tschechischen Kollegen seinem Verleger Fritz Simrock. Es waren folgenschwere Zeilen, die Brahms an seinen Verlegerfreund richtete:

„Bei Gelegenheit des Staatsstipendiums freue ich mich schon mehrere Jahre über Sachen von Anton Dvořák (sprich Dvorschak) aus Prag. Dies Jahr nun schickte er unter anderen ein Heft (10) Duette für zwei Soprane mit Pianoforte, das mir gar zu hübsch und praktisch für den Verlag vorkommt … Ich veranlasste ihn, Ihnen die Lieder zu schicken! Wenn Sie sie durchspielen, werden Sie sich, wie ich, darüber freuen und als Verleger über das Pikante besonders freuen … Dvořák hat alles mögliche geschrieben, Opern (böhmische), Symphonien, Quartette, Klaviersachen. Jedenfalls ist er ein sehr talentvoller Mensch. Nebenbei arm! Und bitte ich das zu bedenken! Die Duette werden Ihnen einleuchten und können ein ‚guter Artikel’ werden.“

Bei den erwähnten Liedern handelte es sich um die Klänge aus Mähren, volkstümliche Duette für Singstimmen und Klavier, die Simrock sofort in seinen Verlag aufnahm, freilich ohne dem armen Dvořák dafür ein Honorar zu zahlen. Die Duette verkauften sich überraschend gut, so dass Simrock sofort nachlegte: Auf seine Anregung schrieb Dvořák noch im selben Jahr 1878 den ersten Band seiner Slawischen Tänze. Dieses Werk wiederum brachte eine Lawine ins Rollen. Klaus Döge hat in seiner Dvořák-Biographie die Ereignisse folgendermaßen geschildert: „Simrock nahm die Duette in seinen Verlag und gab in einem der ersten Briefe an Dvořák die Slawischen Tänze in Auftrag. Nach deren Erscheinen schrieb der renommierte Musikkritiker Louis Ehlert am 15. November 1878 in der Berliner National-Zeitung jene begeisterte Besprechung, die – wie Ehlert gegenüber Dvořák äußerte – einen förmlichen Sturm auf die Musikalienhandlungen auslöste und dem bis dahin außerhalb seiner Heimat unbekannten Prager Komponisten ‚im Laufe eines Tages einen Namen’ machte.“ Mit den Slawischen Tänzen war Dvořák über Nacht ein gemachter Mann.

Dass Antonín Dvořák sein einziges Streichsextett im selben Jahr komponiert hat wie seine Slawischen Tänze, hört man dem Werk an. 1878 ent-standen, eröffnet es die „böhmische Periode“ in der Kammermusik des Komponisten – in ebenso mitreißender wie hoch-romantischer Manier.

Dvořáks Kammermusik lässt sich in zwei große Stilperioden unterteilen. In der ersten, die bis 1875 reicht, experimentierte der noch kaum bekannte Komponist unter dem Einfluss Richard Wagners mit Chromatik und neuartigen Formen. Nach dem Gewinn des Österreichischen Staatsstipendiums 1875 wandte er sich dem Stilideal von Johannes Brahms zu, der sich fortan als eifriger Förderer und enger Freund des Komponisten vielfach bewähren sollte. Außerdem spielte die tschechische Volksmusik von nun an die für seine späteren Werke so bedeutsame Rolle.

Beide Einflüsse konsolidierten sich, als Dvořák 1878 auf Empfehlung von Brahms von dessen Verleger Fritz Simrock unter Vertrag genommen wurde. Brahms war als Juror des Österreichischen Staatsstipendiums von den Werken seines Prager Kollegen so nachhaltig angetan, dass er an seinen Verleger folgenden Brief schrieb:
„Bei Gelegenheit des Staatsstipendiums freue ich mich schon mehrere Jahre über Sachen von Anton Dvořák (sprich Dvorschak) aus Prag. Dies Jahr nun schickte er unter anderen ein Heft (10) Duette für zwei Soprane mit Pianoforte, das mir gar zu hübsch und praktisch für den Verlag vorkommt … Ich veranlasste ihn, Ihnen die Lieder zu schicken! Wenn Sie sie durchspielen, werden Sie sich, wie ich, darüber freuen und als Verleger über das Pikante besonders freuen … Dvořák hat alles mögliche geschrieben, Opern (böhmische), Symphonien, Quartette, Klaviersachen. Jedenfalls ist er ein sehr talentvoller Mensch. Nebenbei arm! Und bitte ich das zu bedenken! Die Duette werden Ihnen einleuchten und können ein ‚guter Artikel’ werden.“

Simrock nahm sich den Rat seines wichtigsten Komponisten zu Herzen. Die empfehlenden Zeilen des berühmten Brahms „setzten eine Lawine in Bewegung: Simrock nahm die Duette in seinen Verlag und gab in einem der ersten Briefe an Dvořák die Slawischen Tänze in Auftrag. Nach deren Erscheinen schrieb der renommierte Musikkritiker Louis Ehlert am 15. November 1878 in der Berliner National-Zeitung jene begeisterte Besprechung, die – wie Ehlert gegenüber Dvořák äußerte – einen förmlichen Sturm auf die Musikalienhandlungen auslöste und dem bis dahin außerhalb seiner Heimat unbekannten Prager Kompo-nisten ‚im Laufe eines Tages einen Namen’ machte.“ So hat der Dvořák-Biograph Klaus Döge die stürmischen Ereignisse beschrieben, die auf den Brief von Brahms folgten.

In denselben bewegten Monaten komponierte Dvořák sein Streichsextett, das ebenso betont „böhmisch“ ausfiel wie die beiden ersten Werke, die er bei Simrock herausbrachte – die eben beschriebenen Duette mit dem Titel Klänge aus Mähren und die erste Serie der Slawischen Tänze. Alle diese Werke leben vom urwüchsigen Charme tschechischer Volksmelodien, die Dvořák hier auch deshalb so prominent verarbeitete, weil er sich gerade damit einen festen Platz im europäischen Musikleben sicherte. Fortan galt er als der Inbegriff des „böhmischen Musikanten“ – ein Schlagwort, das er sich gerne auch selbst anheftete, obwohl es die Tiefen seiner Musik vernachlässigt und ihn allzu einseitig etikettiert.

Im Streichsextett manifestiert sich das „Böhmische“ in vielen Facetten: mal melancholisch singend wie zu Beginn des ersten Satzes und in der Dumka, mal mitreißend tänzerisch wie im Scherzo. Mit der Besetzung verneigte sich Dvořák vor seinem Mentor Brahms, denn in der Gattung des Streichsextetts war es der Hamburger, der die Musterbeispiele vorgegeben hatte. Dvořák wählte ganz bewusst eine andere Tonart als Brahms in seinem B-Dur- und G-Dur-Sextett. Das leuchtende A-Dur wirkt wie ein Nachhall auf Schuberts „Forellenquintett“, wird aber immer wieder von Mollschatten getrübt.

Von den vier Sätzen gab der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher
folgende Beschreibung: „Der erste Satz beginnt mit einem etwas
melancholischen liedhaften Thema, das sich mit seiner Zeilenmelodik schlecht zur thematischen Arbeit eignet und Dvoráks Neigung zum Arbeiten mit farbig kontrastierenden Klangflächen entgegenkommt. In die breit strömende Entwicklung des Themas wird ein lebhafteres punktiertes Motiv eingeblendet, das später zum Seitensatz werden wird; dann kehrt das Hauptthema in pastos-orchestralem Satz, aber – wie den ganzen Satz hindurch – piano, zurück. Der Seitensatz beginnt in cis-Moll, verscheucht aber sofort die melancholischen Töne des Haupt-themas und leitet zu einer großen Steigerung, auf deren Höhepunkt in Cis-Dur ein neuer, schwärmerischer Gedanke erscheint …

Die beiden Mittelsätze sind die ersten Kammermusikstücke, die Dvořák programmatisch mit Tanznamen überschrieb: Dumka und Furiant. Die Dumka vertritt den langsamen Satz und besteht, dem Charakter des ukrainischen Tanzes entsprechend, aus dem mehrfachen Wechsel gegensätzlicher Teile; nur ist hier der normale Wechsel zwischen langsam-melancholischen und schnell-fröhlichen Teilen zurückgenommen in den Wechsel zwischen einem sanft-traurigen Hauptteil und einem ganz schwermütigen, langsameren 2. Teil (Adagio, quasi tempo di Marcia, fis-Moll), der übergeht in ein etwas leichteres Intermezzo (Andante Fis-Dur). Danach werden der d-Moll-Hauptteil und der verkürzte Trauermarsch, jetzt ebenfalls in d-Moll, wiederholt.

In äußerstem Gegensatz zu diesem schwermütigen Stück ist der Furiant ein veritables Scherzo, aber nicht, wie der Volkstanz-Typus nahelegen würde, ein stampfendes, sondern ein elegantes, in seiner Feinheit fast an Mendelssohn erinnerndes und formal ganz einfaches Stück, das sich nur am Schluss zu wilder Vitalität steigert. Das Trio ist lyrischer, aber ohne den Tanzcharakter aufzugeben.

Das Finale ist ein Variationensatz, der die Idee der Themenverwandlung aus dem 1. Satz mit einer weiträumigen Accellerando-Anlage verbindet. Es beginnt mit einem langsamen, fast trauermarschartigen Thema, das harmonisch labil ist (h-Moll/D-Dur) und erst in den letzten Takten zur Tonika A-Dur findet. In den folgenden fünf Variationen bleibt diese harmonische Labilität erhalten, aber das Thema wird erst bei schneller werdenden Tempi in ein tanznahes Scherzando verwandelt, dann in einem zweiten Anlauf noch einmal immer lebhafter und freundlicher … Erst die Presto-Coda lenkt schließlich zur Tonika
A-Dur.“ (Ludwig Finscher)

Das Sextett wurde im November 1879 in Berlin uraufgeführt, getragen von der Welle der Dvořák-Begeisterung, die ein Jahr zuvor Ehlerts besagte Kritik ausgelöst hatte. Simrock nahm es noch im selben Jahr als Opus 48 in seinen Verlag auf. Dvořáks Landsleute aber staunten über die internationale Karriere eines Komponisten, der Jahre lang als Bratschist im Orchester des Prager Interimstheaters gespielt hatte und der nun in Windeseile seinem viel berühmteren Landsmann Smetana den Rang ablief.

Karl Böhmer