Sonate g-Moll für Violine und Klavier (1917)
Werkverzeichnisnummer: 532
1. Allegro vivo
2. Intermède. Fantastique et léger
3. Finale. Très animé
1915, mitten im Ersten Weltkrieg, begann Claude Debussy einen Zyklus von „Sechs Sonaten für verschiedene Instrumente“, der jedoch nur bis zur dritten, der Violinsonate, gedieh. Ihr Zweck war die Verherrlichung der „Musique française“ in Abgrenzung von der Musik der deutschen Spätromantik. Das selbstbewusste Claude Debussy. Musicien français, das auf der Erstausgabe der Sonaten zu lesen steht, verlieh dem Selbstverständnis des national gesinnten Komponisten Ausdruck. Im Sinne eines guten Patrioten wollte er die „Austro-Boches“ im Ersten Weltkrieg „auf dem letzten Loch pfeifen“ sehen, als Musiker wollte er die vergessenen Qualitäten der französischen Musik wieder zum Leben erwecken. „Nichts kann entschuldigen, dass wir die Tradition der Werke eines Rameau vergessen haben, die in der Fülle ihrer genialen Einfälle fast einzigartig ist“, schrieb Debussy damals.
Aus der Rückbesinnung auf die vorklassische Musik Frankreichs erklären sich die Formen der drei Sonaten (Cellosonate, Sonate für Flöte, Viola und Harfe, Violinsonate). Keine von ihnen weist die Viersätzigkeit und die Sonatenhauptsatzform der deutschen Tradition auf. Sie haben vielmehr freie Formen, die poetische Titel tragen oder auf Gattungen des Barock anspielen (Prélude). Ihr Satz ist von Klarheit, ihr Stil von Eleganz und poetischem Zauber geprägt – Eigenarten, die Debussy als typisch französisch empfand.
Man hat die Violinsonate gelegentlich für mangelnde Einheitlichkeit und Frische kritisiert, angeblich eine Folge von Debussys rapide fortschreitender Krebserkrankung, der er die Vollendung des Werkes im Frühjahr 1917 förmlich abringen musste. Andere Kommentatoren dagegen hoben die geniale Lösung des Balanceproblems zwischen Violine und Klavier hervor. Mit Recht meinte der englische Kammermusikmäzen und Geiger Walter Wilson Cobbett, Debussys Violinsonate sei die einzige der frühen Moderne, die dem Vergleich mit den klassischen Violinsonaten standhalte, und auch der französische Kammermusikexperte Harry Halbreich rückte das Werk aufgrund seiner genialen Klangqualitäten in eine Reihe mit den Sonaten von Mozart und Brahms.
An die Violinsonaten von Brahms erinnert in der Tat die Intimität des Dialogs – was Debussy angesichts seiner germanophoben Einstellung wohl kaum bewusst war. Der Beginn des ersten Satzes, eine Violinkantilene im Dreiertakt über ruhigen Klavierakkorden, gemahnt an die erste Brahms-Sonate. Freilich entsteht daraus ein eher mediterran-nervöser Dialog, der immer wieder wie musikalische Prosa, wie gesprochenes Wort wirkt. Melodische Gesten leuchten bruchstückhaft auf: eine spanisch gefärbte Fauxbourdon-Reihe, eine ungarische anmutende Violinrhapsodie. Das immer wiederkehrende Hauptthema mit seinen fallenden Terzen bildet das Band dieses ungezwungenen Satzes, der soweit wie nur möglich von der großen Geste einer Virtuosensonate entfernt ist.
Ein fantastischer Tanz (Fantasque et léger) fungiert als Intermezzo (Intermède). Nach kurzer einleitender Violinkadenz lösen Klavier und Violine einander mit lässig schlendernden Gesten ab, wie Spaziergänger auf einem Pariser Boulevard. Ein ruhigeres Seitenthema bringt eine sentimentale Note ins Spiel.
Auch das Finale gewinnt erst aus rhapsodischem Beginn heraus Kontur. Debussy nannte diesen Satz „ein einfaches Spiel über ein Thema, das sich um sich selbst wickelt wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt.“ Der Vergleich beschreibt anschaulich das Poetische dieses Satzes, der dem freien Dialog eine übermütige Pointe gibt.
Debussy selbst spielte im Mai 1917 in der Salle Gaveau in Paris die Uraufführung – sein letztes öffentliches Konzert, das er mit dem jungen Geiger Gaston Poulet zusammen bestritt. Neun Monate später erlag er seinem Krebsleiden.