Drei Stücke für zwei Klaviere, “En Blanc et Noir Trois”
Werkverzeichnisnummer: 523
1. Avec emportement
2. Lent-Sombre
3. Scherzando
Die drei anderen Werke unseres Programms sind in den Kriegsjahren 1915, 1940 und 41 entstanden; sie reagieren in jeweils eigener Weise auf diese äußere Situation. “Meiner Ansicht nach pfeifen die ‘Austro-Boches’ auf dem letzten Loch”, schrieb CLAUDE DEBUSSY im Juli 1915 an den Verleger Durand und fügte hinzu: “Die französische Seele wird stets klar und heroisch bleiben.” Im selben Sommer, den er in Pourville an der Küste der Manche verbrachte, komponierte er En blanc et noir, drei Stücke für zwei Klaviere, deren mittleres sich der gleichen chauvinistischen Schwarz-Weiß-Malerei befleißigt wie der zitierte Brief. Für die “Austro-Boches” wird hier Luthers Choral Ein feste Burg ins Feld geführt, um sich – wie Debussy schrieb – in ein “Caprice à la francaise zu verirren”, an dessen Ende “ein bescheidenes Glockenspiel wie eine Vorahnung der Marseillaise” erscheine. “Ich entschuldige mich für diesen Anachronismus, der mir allerdings in einer Epoche erlaubt erscheint, in der das Straßenpflaster und die Bäume der Wälder von diesem Gesang widerhallen.” Insofern sind die Stücke ein Beitrag zum Tagesgeschehen und ein Ausdruck des kämpferischen Nationalismus der Epoche. Sie sind aber auch Debussys vorletzter Klavierzyklus (vor den Etudes), der typische Zeichen seines Spätstiles trägt.
Rückbesinnung auf die einfache und klare Musik der französischen Klassik, auf Couperin und Rameau, ist eines seiner Merkmale. Die drei Stücke sollten “ihre Farbe, ihre Emotion aus dem einfachen Klavier beziehen, wie Grisaillemalereien von Velazquez”- daher ihr Titel: En blanc et noir. Ursprünglich sollten sie Caprices heißen, einerseits, um ihren barocken Charakter zu bezeichnen, andererseits, weil sie “fast so tragisch wie ein Caprice von Goya” seien. Jedem Stück wurde ein literarisches Motto aus der großen Vergangenheit Frankreichs beigefügt.Das erste Stück, Avec emportement, d. h. mit Wut zu spielen,“ist ein Musterbeispiel für den neuen, unsinfonischen Instrumentalstil, den Debussy gegen Ende seines Lebens immer deutlicher ausbildet.” (H. Strobel) Es ist dem Dirigenten Sergej Kussewitzky gewidmet und trägt ein Motto aus Roméo et Juliette von Gounod, durch welches Debussy vielleicht auf seine gesundheitliche Situation anspielte, die ihn hinderte, am “Totentanz” des Weltkrieges teilzunehmen:
Qui reste à sa place
Et ne danse pas
De quelque disgrace
Fait l’aveu tout bas.W
(er sitzen bleibt
und nicht tanzt,
legt einer Ungnade s
chäbiges Geständnis ab.)
Im zweiten Stück vertreiben Fanfaren und volkstümliche Lieder “die Atmosphäre der giftigen Dämpfe, die einen Augenblick lang Luthers Choral verbreitete, oder vielmehr das, was er repräsentiert, denn er ist trotzdem schön” (Debussy). Die Widmung an den im März 1915 gefallenen Neffen von Durand bestätigt, was der Komponist an anderer Stelle formulierte: “Ich denke an die Jugend Frankreichs, die von diesen Händlern der Kultur (den Deutschen) sinnlos niedergemetzelt wurde; für immer haben wir verloren, was sie zu unserem Ruhm hätte beitragen können. Was ich jetzt schreibe ist eine geheime Huldigung an sie.” Dem entspricht das Motto aus der Ballade gegen die Feinde Frankreichs von Villon:
Car digne n’est de posséder vertus –
Qui mal voudroit au Royaulme de France.
(Denn nicht würdig ist, Tugend zu besitzen,
der Böses will gegen das Königreich Frankreich.)
Durch seine “finstere Dramatik” (H. Halbreich) ist der Satz einer der bedeutendsten in Debussys gesamtem Klavierwerk.
Das dritte Stück vermischt groteske und chansonhafte Elemente und ist meinem Freund Igor Strawinsky zugeeignet. Sein Motto stammt aus einem Rondel des Charles d’Orléans: Yver, vous n’estes qu’un vilain. – Yver, du bist nur ein Bauer.