Klavierquartett | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Aaron Copland

Klavierquartett

Quartett für Violine, Viola, Violoncello und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 475

Satzbezeichnungen

1. Adagio serio

2. Allegro giusto

3. Non troppo lento

Erläuterungen

Im Jahr 1950, in dem Aaron Copland sein Klavierquartett komponierte, erlebten die USA den Aufstieg eines unbedeutenden republikanischen Senators zum Großinquistor der Nation: Joseph McCarthy. Im Februar 1950 teilte er den schockierten Amerikanern mit, das State Department sei von nicht weniger als 205 Kommunisten unterwandert. Die Mitteilung traf ein Amerika, das der Kommunistenhysterie willig zuneigte. „Wheeling, West Virginia, erlebte jene Art von Komische-Oper-Terror, der in Hunderten von Städten vor sich ging. In Wheeling begann der Tumult, als ein Polizist seine Entdeckung verkündete, Bonbonmaschinen verkauften Candys mit kleinen Geographielektionen für Kinder. Allein die Winzigkeit der Lektionen war schon verdächtig; doch am beunruhigendsten war die Tatsache, daß einige der Geographie-Lektionen die sowjetische Hammer-und-Sichel-Flagge und die Mitteilung trugen, die UdSSR hätten 211 Millionen Einwohner und seien das größte Land der Welt. City Manager Robert L. Plummer wetterte: ‚Das ist eine zu fürchterliche Sache, um sie unseren Kinder zu erzählen!‘ Die Bonbon-Kunden wurden ab sofort sorgfältig vor jeder Information über die Sowjetunion bewahrt.“ (Eric Goldman)Auf einer weniger tragikomischen Ebene bewegten sich die unbegründeten Anschuldigungen, mit denen McCarthy in den folgenden vier Jahren Tausende von Amerikanern vor die Öffentlichkeit zerrte. Politiker, Regierungsbeamte, selbst hoch dekorierte Offiziere, vor allem aber Intellektuelle gerieten in seine Schußlinie. Liberaler Lebensstil während des Studiums reichte als Begründung für eine Kommunismus-Anklage aus; die Hexenjagd wurde so unerträglich, daß Albert Einstein seine Kollegen zum passiven Widerstand nach Ghandis Vorbild aufrief. Das politische Klima in den USA glich dem einer faschistischen Gesellschaft, in der „man Preise aussetzte für möglichst zweideutig vorgetragene Berichte, die letztlich auf eine Bedrohung der nationalen Sicherheit hinausliefen.“ (Walter Lippmann)

Angriffsflächen bot dem Senator vor allem die internationale Aufklärungsarbeit der USA durch den Radiosender Voice of America und die sogenannten Amerikahäuser. Nicht nur wurden deren Bücherregale, z. B. im Frankfurter Amerikahaus, von angeblich linker Literatur gesäubert; auch die musikalischen Botschafter der USA, die über VOA in die ganze Welt gesendet wurden, kamen auf die schwarze Liste. Der New Yorker Komponist Aaron Copland, schon damals berühmt durch seine Ballettmusik Appalachian Spring, hatte in den 40er Jahren im Regierungsauftrag engagiert für internationale Zusammenarbeit geworben. 1953 hielten McCarthy und seine Gefolgschaft ihr „Copland Colloquium“, in dem sie dafür plädierten, seine Musik auf die schwarze Liste zu setzen. Copland, damals Professor an Harvard, wurde vor dem Exodus nur durch den unerwarteten Sturz McCarthys bewahrt, der sich vor den Augen der Nation in einer 36tägigen, vom Fernsehen live übertragenen Untersuchung 1954 abspielte. Die Bloßlegung seiner schamlosen und brutalen Rhetorik ließ McCarthys Gedankengebäude einer kommunistischen Weltverschwörung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, freilich ohne all jene zu rehabilitieren, die ihm zum Opfer gefallen waren.

Coplands Klavierquartett wirkt aus der Retrospektive wie ein Symbol für die Unabhängigkeit der Intellektuellen im faschistischen Amerika jener Jahre. Copland verwendete hier zum ersten Mal dezidiert zwölftönige Techniken. Alle drei Sätze beruhen auf einer Elftonreihe, die im Adagio serio zu Beginn im Fugato vorgestellt wird. Ihre Wirkung ist jedoch – im Gegensatz zur Musik Schönbergs – tonal, weil sie Chromatik vermeidet und stattdessen auf ab- und aufsteigenden Ganztönen beruht. Der zweite Satz ist ein Scherzo in der Form eines Sonatenrondos. Der langsame Finalsatz wird von choralartigen Streicherthemen und Glockenklängen im Klavier geprägt.

Der New Yorker Copland, neben Samuel Barber der populärste moderne Komponist der USA, öffnete sich in seinem Stil bewußt dem breiten Publikum, wie besonders seine großen Ballette über nationale Themen beweisen (Appalachian Spring, Rodeo etc.). Andererseits scheute der jüdische Linksintellektuelle nicht vor Kompositionstechniken zurück, die dem konservativen amerikanischen Publikum provokant erscheinen mußten. Schon 1927 brüskierte er die Abonennten des Boston Symphony Orchestra durch ein Klavierkonzert im Jazzstil.

Ebenso ungewöhnlich mutete im Amerika der Nachkriegszeit die Zwölftontechnik seines Klavierquartetts aus dem Jahre 1950 an. Alle drei Sätze beruhen auf einer Elftonreihe, die zu Beginn des Adagio serio im Fugato vorgestellt wird. Ihre Wirkung ist jedoch – im Gegensatz zur Musik Schönbergs – tonal, weil sie Chromatik vermeidet und stattdessen auf ab- und aufsteigenden Ganztönen beruht. Der zweite Satz ist ein Scherzo in der Form eines Sonatenrondos. Der langsame Finalsatz wird von choralartigen Streicherthemen und Glockenklängen im Klavier geprägt. Auch dieses Werk zählt – ähnlich Carters Cellosonate – zu den Beispielen für eine hermetische, Popularität nicht um jeden Preis suchende amerikanische Moderne.

2004
AARON COPLAND
Klavierquartett (1950)

Die Werke des Programms erklingen in umgekehrter chronologischer Reihenfolge, so dass das modernste am Anfang steht. Aaron Coplands Klavierquartett führt uns ins scheinbar idyllische New York des Jahres 1950, in Wahrheit schon damals ein Hexenkessel politischer wie gesellschaftlicher Spannungen. Der New Yorker Copland – sein Vater war Präsident der ältesten Synagoge in Brooklyn – war mitten in diese Verwerfungen hineingeboren worden, und davon zeugt auch sein spannungsgeladenes Klavierquartett. Die Dissonanzenfülle seines zwölftönigen Materials lässt noch kaum Gedanken an Weihnachten aufkommen, sondern kündet von einem der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte: von der McCarthy-Ära.

Die unbegründeten Anschuldigungen, mit denen Senator McCarthy von 1950 bis 1954 Tausende von Amerikanern vor die Öffentlichkeit zerrte, prägten jener Zeit des militanten Anti-Kommunismus den Stempel auf. Politiker, Regierungsbeamte, selbst hoch dekorierte Offiziere, vor allem aber Intellektuelle gerieten in seine Schusslinie. Liberaler Lebensstil während des Studiums reichte als Begründung für eine Kommunismus-Anklage aus; die Hexenjagd wurde so unerträglich, dass Albert Einstein seine Kollegen zum passiven Widerstand nach Ghandis Vorbild aufrief. Das politische Klima in den USA glich dem einer faschistischen Gesellschaft, in der „man Preise aussetzte für möglichst zweideutig vorgetragene Berichte, die letztlich auf eine Bedrohung der nationalen Sicherheit hinausliefen.“ (W. Lippmann)

Angriffsflächen bot dem Senator vor allem die internationale Aufklärungsarbeit der USA im Radiosender Voice of America und in den sogenannten Amerikahäusern. Nicht nur wurden deren Bücherregale, z.B. im Frankfurter Amerikahaus, von angeblich linker Literatur gesäubert; auch die musikalischen Botschafter der USA, die über VOA in die ganze Welt gesendet wurden, kamen auf die schwarze Liste. Copland war einer von ihnen.

Mitten im Krieg durch seine Ballettmusik Appalachian Spring berühmt geworden, hatte Copland in den 40er Jahren im Regierungsauftrag engagiert für internationale Zusammenarbeit geworben. 1953 hielten McCarthy und seine Gefolgschaft ihr „Copland Colloquium“, in dem sie dafür plädierten, seine Musik auf die schwarze Liste zu setzen. Copland, damals Professor an Harvard, wurde vor dem Exodus nur durch den unerwarteten Sturz McCarthys bewahrt, der sich vor den Augen der Nation in einer 36tägigen, vom Fernsehen live übertragenen Untersuchung 1954 abspielte. Die Bloßlegung seiner schamlosen und brutalen Rhetorik ließ McCarthys Gedankengebäude einer kommunistischen Weltverschwörung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, freilich ohne all jene zu rehabilitieren, die ihm zum Opfer gefallen waren.

Coplands Klavierquartett wirkt wie ein Symbol für die Unabhängigkeit der Intellektuellen im Amerika der 50er Jahre. Copland verwendete hier zum ersten Mal dezidiert zwölftönige Techniken. Alle drei Sätze beruhen auf einer Elftonreihe, deren Wirkung jedoch – im Gegensatz zur Musik Schönbergs – tonal ist, weil sie Chromatik vermeidet und auf ab- und aufsteigenden Ganztönen beruht. Im Adagio serio zu Beginn wird die Elftonreihe in einem Fugato vorgestellt. Der zweite Satz ist ein Scherzo in der Form eines Sonatenrondos. Das langsame Finale wird von choralartigen Streicherthemen und Glockenklängen im Klavier geprägt.