Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello C-Dur, KV 157
Werkverzeichnisnummer:
1. Allegro
2. Andante
3. Presto
Bis der jugendliche Mozart auf seinen Quartett-Erstling von 1770 ein zweites Streichquartett folgen ließ, vergingen zweieinhalb Jahre. Inzwischen war er 16 Jahre alt geworden und hatte den italienischen Stil in all seinen Facetten gemeistert: Er hatte sich in zwei Mailänder Opern und einem Oratorium für Padua bewährt (Lucio Silla, Ascanio in Alba, Betulia liberata). Er hatte die Aufnahmeprüfung in die ehrwürdige Accademia filarmonica zu Bologna glänzend bestanden und war vom Papst zum „Ritter vom goldenen Sporn erster Klasse“ ernannt worden. Dies waren die glänzenden Voraussetzungen für seine neuerliche Beschäftigung mit dem Streichquartett.
Man schrieb den Oktober 1772. Wieder einmal reisten Vater und Sohn Mozart nach Italien, und wieder begann Wolfgang an einer tristen Reisestation mit der Komposition eines Streichquartetts. Wegen starken Regens in den Alpen mussten Vater und Sohn am 28. Oktober 1772 im „traurigen Bozen“ nächtigen. Der Vater berichtete seiner Frau: „Der Wolfg: befindet sich auch wohl; er schreibt eben für die lange Weile ein quatro.“ Auf dieses neue Quartett sollten in den nächsten vier Monaten noch fünf weitere folgen. Mozart nutzte seine dritte Italienreise, um seinen ersten Zyklus von sechs Quartetten zu schreiben – unter italienischen Titeln durchnummeriert von Quartetto I bis Quartetto VI. Ludwig Ritter von Koechel gab ihnen im Koechel-Verzeichnis die Nummern KV 155 bis 160.
Wann genau die einzelnen Quartette dieser Serie entstanden sind, ist unbekannt. Anfang Februar hat Mozart nachweislich wieder an dem Zyklus gearbeitet, doch boten sich in den Monaten dazwischen genügend Möglichkeiten, das Bozener Quartett durch weitere Werke zu ergänzen. Schon auf der einwöchigen Reise von Bozen nach Mailand gab es einige beschauliche Reisestationen: Rovereto, wo man Freunde traf, Verona, wo man in die Oper ging, Brescia, wo man bei einem musikliebenden Grafen zu Gast war. In Mailand trafen die Mozarts am 4. November ein, just am Festtag des Stadtheiligen Karl Borromäus. Für die neue Oper waren noch kaum Vorkehrungen getroffen, weil die meisten Sänger noch nicht vor Ort waren. Bis Ende November konnte Mozart nicht viel mehr schreiben als die Ouvertüre, drei Chöre, eine Arie für den ersten Kastraten und wenige Arien für die Nebenrollen. Also hatte er fast den ganzen Monat Zeit, an den Quartetten weiter zu arbeiten. Der Dezember war ausschließlich der Oper „Lucio Silla“ gewidmet bis zur umjubelten Premiere am zweiten Weihnachtsfeiertag. Danach konnte er sich wieder anderen Dingen zuwenden: Für den Starkastraten der Oper Rauzzini schrieb er den lateinischen Motetto „Exsultate, jubilate“ und am 6. Februar ein weiteres Streichquartett, wie der Vater nach Salzburg berichtete. Inzwischen hatte der junge Komponist seinen 17. Geburtstag gefeiert und die zweite Mailänder Karnevalsoper gehört, die hoch dramatische „Andromeda“ von Paisiello. Dieses Stück hat wie Mozarts eigener „Lucio Silla¡ auf die neuen Quartette hörbar abgefärbt. Die düsteren Moll-Adagios in drei Quartetten spiegeln die entsprechenden Moll-Szenen in den beiden Opern wider, während die ersten Allegro-Sätze das Ideal des „singenden Allegro“ verkörpern, wie die schnellen Arien im „Lucio Silla“.
Mozarts Vorbilder in der Gattung Streichquartett waren hier noch nicht die Werke von Joseph Haydn, sondern die dreisätzigen Quartette italienischer Meister, die er in der Sammlung des Grafen Ximenes in Padua hatte studieren können: Werke von Boccherini, Guglielmi, Ferrandini, Stratico und Galuppi, aber auch von seinem böhmischen Freund Josef Myslivecek. Dessen italienische Quartette Opus 3 waren vielleicht die entscheidenden Vorbilder für den jungen Mozart.
Quartett C-Dur, KV 157
Das erste Allegro des Quartetto III beginnt mit einem besonders schwungvollen Hauptthema, das die beiden Geigen in tiefer Lage leise einführen, um es danach im vollen Glanz erstrahlen zu lassen. Alles an diesem Satz ist Gesang: die prachtvolle Überleitung, das Seitenthema mit seinem pikanten Staccato und die schöne Schlussgruppe. Letztere nahm Mozart zum Ausgangspunkt für die kurze Durchführung vor der klassisch schönen Reprise. Als der Wiener Verleger Artaria 1792, wenige Monate nach Mozarts Tod, Einzelsätze aus den frühen Streichquartetten zu drei neuen Quartetten zusammensetzte, eröffnete er diesen Zyklus mit dem ersten Allegro aus KV 157. Noch 20 Jahre nach seiner Entstehung klang dieser Satz für die Zeitgenossen frisch und modern.
Im Andante denkt man unwillkürlich an Giunia, die tragische Heldin von Mozarts Oper „Lucio Silla“. Sie tritt mit einer ähnlich schmerzlichen c-Moll-Cavatina auf, wie sie Mozart hier dem Streichquartett anvertraut hat. Über dem Klanggrund von zweiter Geige und Bratsche stimmt die erste Geige ihre Klagearie im 3/8-Takt, mit schmerzlichen chromatischen Nebennoten angereichert. Wenn sich die Melodie nach Dur wendet, tritt die zweite Geige in der Unteroktav hinzu, was dem Ganzen einen fast orchestralen Klang verleiht. Im zweiten Teil nehmen die tragischen Akzente noch zu, die Harmonien und der Quartett-Klang scheinen Wendungen Franz Schuberts vorweg zu nehmen. Ein italienischer Komponist hätte aus diesem wundervollen Satz den Höhepunkt einer großen Oper geformt.
Presto steht über dem Finale, ein Rondeau, dessen tänzerisches Thema vier Mal erklingt. Dazwischen hört man drei Couplets in G-Dur, c-Moll und C-Dur – alle gleichermaßen agil und gut gelaunt. Der Satz schließt mit einem rauschenden Crescendo im Tremolo. Unüberhörbar hat sich Mozart hier an den knappen, rasend schnellen Finalsätzen der italienischen Opernouvertüren orientiert, die damals noch dreisätzig waren.