Elegie Des-Dur für Violine und Violoncello mit Klavierbegleitung Opus 23
Werkverzeichnisnummer:
Adagio – Poco più mosso – Tempo I
Kein zweiter Musiker Tschechiens betrat die Bühnen der Spätromantik so spektakulär wie Josef Suk. Der geniale Geiger, Großvater des heutzutage weltbekannten Geigers Josef Suk, absolvierte bereits mit 17 Jahren das Prager Konservatorium und wurde danach zweiter Geiger im Tschechischen Quartett, mit dem er bis 1933 mehr als 4000 Konzerte gab. Im Studium bei Antonín Dvořák lernte ihn sein Lehrer schätzen – während Suk sich in Dvořáks Tochter Ottilie verliebte. Die Beiden wurden ein Paar, doch die Eintracht zwischen der Tochter, dem berühmten Vater und dem begabten Schwiegersohn wurde schon nach wenigen Jahren jäh zerstört: 1904 starb Dvořák, ein Jahr später Ottilie. Der Witwer Josef Suk stand plötzlich alleine da und wandte sich unter dem Eindruck dieser Ereignisse sinfonischen Werken zu, unter denen man seine Sinfonie Asrael (1905/06) in ihrer Wirkung mit der Musik Gustav Mahlers verglichen hat. Die Kammermusik dagegen blieb eine Domäne seines frühen Schaffens – ganz im Geiste seines Schwiegervaters.
Wer jemals südlich von Prag den Vyšehrad hat aufragen sehen, jenen steilen Festungsberg am rechten Ufer der Moldau, wo in grauer Vorzeit schon Libussa regierte und 1070 König Vratislav II. seine Residenz aufschlug, der kann verstehen, dass die Tschechen ähnliche Mythen damit verbinden wie die Deutschen mit dem Kyffhäuser: Von hier aus sollen sich dereinst, wenn die Nation in höchster Not schwebt, die verborgenen Helden zum Kampf aufmachen. Bedrich Smetana hat dieser Vision in seinem Zyklus Mein Vaterland heroische Töne verliehen. Eine ganz andere Huldigung an den Vyšehrad schuf Josef Suk mit seiner Elegie Opus 23.
Das einsätzige, durchweg langsame und feierliche Stück wurde als Vorspiel zu einem Tableau vivant komponiert, einem „lebenden Bild“, wie man es auf den Bühnen um 1900 liebte. Schauspieler arrangierten sich in festgefrorenen Posen, um den Sonnenuntergang am Vyšehrad darzustellen. Diese Aufführung am 31. Mai 1902 war Teil der Feiern zum ersten Todestag des Dichters Julius Zeyer. Vyšehrad war der Name seines berühmtesten Werkes, einer nationalepischen Dichtung aus fünf Teilen, in denen die slawische Geschichte Tschechiens von Libussa bis Lumír besungen wurde. Im Lustgarten der Königin Anna zu Prag war eine Bühne aufgebaut worden, auf der man dem Vyšehrad und dem Dichter die Ehre erwies. Dazu schrieb Suk seine Elegie für Solovioline und Solocello mit Streichorchester, Harfe und Harmonium. Später hat Suk die extravagante Besetzung für Klavier arrangiert, so dass man die Elegie auch als normales Adagio für Klaviertrio aufführen kann. Im schwärmerischen Duktus dieses Stückes wird der Sonnuntergang hinter den Hügeln an der Moldau beinahe schon sichtbar.