All‘ombra di sospetto, RV 678, Cantata a voce sola con flauto
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Antonio Vivaldi, der komponierende Priester und Violinprofessor am Ospedale della Pietà in Venedig, hat nur relativ wenige Solokantaten für Singstimme und Instrumente verfasst, obwohl er bekanntlich mehr als 40 Opern komponierte. Während er aber seine Bühnenwerke für die kleineren Theater Venedigs und für die Provinz wie Verona oder Vicenza schrieb, fanden sich für seine Kantaten nur Abnehmer bei Hofe. Als ihn 1718 der Landgraf Philipp von Hessen-Darmstadt, ein katholisches Mitglied der ansonsten lutherischen Landgrafenfamilie aus Südhessen, zum Hofkapellmeister in Mantua berief, hatte Vivaldi für zwei Jahre Gelegenheit, Kantaten für die Hofsänger zu schreiben. Da ihm in Mantua zum ersten Mal auch ein Traversflötist zur Verfügung stand, könnte die Kantate All’ombra di sospetto theoretisch vor 1720 in Mantua entstanden sein. Dem widerspricht aber ihr dezidiert „galanter“ Stil, dessen Elemente erst um 1725 aufkamen. Tatsächlich findet sich die Handschrift dieser Kantate denn auch nicht in den ehemals Mantuaner Beständen, sondern in einer Sammlung des Dresdner Hofes.
Die Hofmusiker Augusts des Starken waren eifrige Sammler Vivaldischer Noten, seit einige von ihnen den sächsischen Kurprinzen 1716 nach Venedig begleitet und dort Vivaldi selbst getroffen hatten. In Dresden findet sich noch heute eine Sammlung mit 11 Vivaldi-Kantaten, darunter als einziges Stück mit obligater Traverse die hier aufgeführte Cantata. Die Handschrift dieses Stücks wurde offenbar von Vivaldis Vater geschrieben, könnte also direkt bei den Vivaldis bestellt worden sein – als Auftragswerk für einen Kastraten des Hofes und den Soloflötisten Pierre Gabriel Buffardin.
Dass es sich vom Text her um eine Liebesklage handelt, wird in der Musik hinter den weichen Wendungen des galanten Stils verborgen. Das schöne Flötensolo der ersten Arie ist ein Larghetto voller Rokoko-Verzierungen. Sie werden vom Sopran aufgegriffen, um die „finti vezzi“ zu beschrieben, jene „geheuchelten Liebkosungen“, mit denen seine Schöne den Liebhaber bei der Stange hält, ohne ihn zu lieben. Endlich hat der Verliebte genug von soviel Grausamkeit: In der zweiten Arie entlarvt er die Zärtlichkeit seiner Geliebten endgültig als Heuchelei. In einem munteren Allegro spotten Traversflöte und Sopran gemeinsam über die „mentiti contenti“, die „verlogenen Befriedigungen“, die seine grausame Schöne gewährt.