Serenata per Violoncello e Pianoforte B-Dur, op 34
Werkverzeichnisnummer:
Andantino – Vivace molto
Seit den Tagen des legendären Padre Martini, des größten Musiktheoretikers im mittleren 18. Jahrhundert, genoss die Accademia filarmonica in Bologna einen geradezu sagenhaften Ruf. Viele große Sänger des Settecento, aber auch Komponisten wie Mozart oder Myslivecek waren Mitglieder. Hundert Jahre später war ihr Einfluss auf das Musikleben zwar weitaus geringer, aber noch immer war es eine Auszeichnung, wenn man in den erlauchten Kreis aufgenommen wurde. Dies widerfuhr 1881 dem erst fünfzehnjährigen Ferruccio Busoni, dem begnadeten Wunderkind des Klaviers aus Empoli bei Florenz. In den musikalischen Kreisen der Bologneser schloss der neue Accademico filarmonico rasch Freundschaft mit einem großen Cellisten aus dem Veneto: Francesco Serato (1843-1919). 23 Jahre älter als Busoni, wurde er dem jungen Genie bald zum väterlichen Freund. Busoni bedankte sich dafür 1883 mit seiner Serenata für Violoncello und Klavier, die beide Musiker zusammen aus der Taufe hoben, bevor sie bei Ricordi im Druck erschien. Sie ist ein kleines, aber sehr feines Zeugnis für die große Cellokunst des Francesco Serato. Als Professor am Liceo musicale in Bologna bildete er ganze Generationen italienischer Virtuosen aus. Als Cellist im Trio Bolognese und im Quartetto Bolognese war er wesentlich an der Etablierung der Kammermusik in Italien beteiligt, was vor 1900 ein durchaus anstrengendes Unterfangen war.
Dass Serato aus dem Veneto stammte, ist für das Verständnis der Serenata wesentlich. Denn Busoni hat hier seinem „carissimo amico“ eine venezianische Nachtszene auf den Leib geschrieben. Man hat es mit einer echten Serenata zu tun, dem Ständchen eines Liebhabers im nächtlichen Venedig. Das Cello beginnt ohne jede Begleitung mit einer Melodie, die sich aus der Tiefe ins hohe Register aufschwingt und den Rhythmus einer Barcarole, eines Gondelliedes, zart andeutet. Das Klavier übernimmt das Thema in g-Moll und hüllt es in den typischen Wellenschlag des Sechsachteltakts, wie er für die Barcarole typisch ist. Leicht kann man sich die Szene dazu ausmalen: Ein junger Mann (Cello) erprobt das Ständchen, das er seiner Liebsten bringen möchte, und steigt in die Gondel. Der Gondoliere (Klavier) taucht das Ruder kräftig in die Wellen, in Form eines quicklebendigen Sechzehntelmotivs, das die ganze Szene in mannigfaltigen Verwandlungen durchzieht. Endlich ist man vor dem Palazzo der Angebeteten angekommen, noch sind die Fenster verschlossen. Nun stimmt der junge Mann die eigentliche Melodie der Barcarole an, ein wunderschönes B-Dur-Cantabile, bei dem jedes Frauenherz höher schlagen würde. Dazu lässt der Gondoliere weiter seine Ruderschläge hören. Bald regt sich im Palazzo Leben, ein Lichtspalt am Fenster lässt das Gesicht der Schönen erahnen. Der junge Mann verfällt in plötzliche Aufregung (Presto-Triolen). Eine neue Melodie im Zweivierteltakt lässt die Schöne erstmals auch musikalisch Gestalt annehmen. Ihr Thema ist ein ganz, hoher sanfter Tanz in F-Dur im Klavier, während das Cello erregte Triller beisteuert. Nun wird der Liebhaber verwegener: Der Gondoliere soll näher heranrudern, denn er möchte zum Balkon hinaufsteigen. Gesagt, getan: eine kurze Aufregung in beiden Instrumenten, und der junge Mann ist oben angekommen. Die Schöne tritt heraus. Ein langer hoher Triller des Cellos lässt den ersten Kuss der Liebsten auf den Lippen erahnen. Ekstatisch übernimmt das Cello die Melodie der jungen Frau (Cantabile, con anima), bevor der Liebende nach einem zweiten langen Triller den Rückweg antritt. Der Gondoliere stößt sich vom Kai ab, die Gondel gleitet wieder sanft auf den Wellen, und noch einmal lässt das Cello die Barcarole ertönen. Die Schöne winkt vom Palazzo herüber, der nach und nach im Dunkel des nächtlichen Venedig verschwindet. Die Serenade schließt äußerst bewegt (Vivace molto), aber leise, mit einem hohen B im Cello.