"Höfische Masques" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

John Adson

"Höfische Masques"

„Höfische Masques“

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Beginnen wir im London des frühen 17. Jahrhunderts, vor ziemlich genau 400 Jahren: 1621 widmete der Londoner Zinkenist John Adson dem Duke of Buckingham eine Sammlung von Courtly Masquing Ayres, composed to 5 and 6 parts for Violins, Consorts, and Cornets, zu Deutsch: „Tänze für die höfischen Masques, komponiert zu fünf oder sechs Stimmen für Violinen, Consort oder Zinken.“ Diese wunderbar edle und leichtfüßige Musik aus dem London der Stuart-Könige war für ein typisches „Consort“ aus Streich-, Zupf- und Blasinstrumenten bestimmt. Dorothee Oberlinger, Vittorio Ghielmi und Johanna Seitz führen sie in einer Besetzung mit Flöte, Gambe und Harfe auf.

Seit die Stuarts an der Macht waren, also seit 1605, regierte am Königshof die neue Gattung der Masque. Diese „Maskenspiele“ wurden in prachtvollster Inszenierung mit Tanz und Musik aufgeführt, wobei oft die Höflinge und Hofdamen selbst die Darsteller waren. Unter den letzten nahm der Duke of Buckingham eine Sonderstellung ein. Nicht umsonst nannte ihn Adson „a right, honorable and iudicious Favorer of all good Arts and Learning“, einen „aufrechten, ehrbaren und verständigen Förderer aller schönen Künste und Wissenschaften“. Doch Buckingham war weit mehr als das.

The Favorite – ein sportlicher Schönling

„Buckingham“? Richtig, das war doch der Schönling aus den Drei Musketieren von Alexandre Dumas, jener Engländer, der die französische Königin Anne d’Autriche bezirzt und durch eine Intrige des Kardinals Richelieu zu Fall kommt, verführt von der kaltblütigen Lady Winter. In der Tat wurde George Villiers, 1st Duke of Buckingham, 1623 von einem religiösen Fanatiker namens Robert Fenton in Portsmouth erstochen – ganz so wie im Roman. Zuvor hatte er beste Verbindungen nach Frankreich aufgebaut, allerdings nicht um mit der Königin zu flirten, sondern um für den englischen Thronfolger Charles eine Braut zu suchen. Die Französinnen werden ihn mit Wohlgefallen empfangen haben, hatte ihn James I. doch zu seinem Favoriten gemacht, weil er so extrem gut aussah. George Villiers war schöner, sportlicher und gebildeter als alle anderen Höflinge in London, und dazu ein perfekter Tänzer. Der Bischof von Gloucester erklärte ihn kurzerhand zum „bestgebauten Mann Englands: Seine Glieder sind so wohl geformt, seine Konversation ist so angenehm, und er hat ein so sanftes Wesen“. Woher der Kirchenmann wohl das Erstere wusste?

Der sagenhafte Aufstieg dieses Kleinadligen aus Leicestershire an die Spitze der Macht zog unweigerlich Neider auf sich. Buckingham verfügte über die glänzendste Sammlung italienischer Kunst in London und über die stets neueste Musik, er beschäftigte den Caravaggio-Freund Orazio Gentileschi als Hofmaler und Musiker wie John Adson für sein Consort. Da er überdies eine besondere Vorliebe für Irland hegte, wo er Ehren, Titel und Plantagen anhäufte, stärkte er den irischen Einfluss bei Hofe beträchtlich. All dies beeinflusste die englische Musik des 17. Jahrhunderts nachhaltiger, als es den Zeitgenossen bewusst gewesen sein mochte. Denn die spätere Vorliebe der Engländer für irische Tänze hatte hier ihren Ursprung.

John Coperario in Whitehall

Im Februar 1613, eineinhalb Jahre, bevor das Auge des Königs den jungen George Villiers bei einer Jagd erspähte, verheiratete James I. seine Tochter Elizabeth in der Chapel Royal in Whitehall mit dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. Damals war der spätere „Winterkönig“ noch weit davon entfernt, sein Land und seine Ehre für die Krone Böhmens aufs Spiel zu setzen. Noch lagen der Beginn des Dreißigjährigen Krieges und die Schlacht am weißen Berg in weiter Ferne. Es herrschte Frieden in Europa, und die Londoner freuten sich auf das erste „Royal Weding“ seit den Tagen Heinrichs VIII., also seit nahezu einem Jahrhundert. Natürlich ließ James I. auch zu dieser Gelegenheit eine aufwändige Masque mit dem Titel Gray’s Inn aufführen, wozu John Coperario die Musik schrieb. Aus dieser Masque stammt das Lied Cupararee or Gray’s Inn. Tenorblockflöte, Soprangambe und Harfe verleihen diesem Satz die typische „Elizabethan Melancholy“, die auch im Zeitalter von Elisabeths Nachfolger James noch keineswegs überwunden war.

Dessen Tochter Elizabeth, die Braut von 1613, wurde übrigens zur Übermutter der heutigen englischen Monarchie: Es war ihr Enkel aus dem Hause Hannover, der 1714 als George I. den englischen Thron bestieg. Elizabeth II. stammt in der 10. und zugleich 11. Generation direkt von jener Elizabeth ab, für deren Hochzeit Coperario die schöne Melodie schrieb.

Aus Irland

Nicht alle Engländer waren so begeistert von Irland wie der Duke of Buckingham. Die tragische Geschichte der Kolonialisierung und konsequenten Ausbeutung der „grünen Insel“ durch die Engländer findet in vielen irischen Liedern und Harfenmelodien ihren Widerhall. Mehr als 200 von ihnen hat Turlough O’Carolan verfasst, der berühmteste „Gaelic Harpist“ (gälische Harfenspieler). Ein halbes Jahrhundert lang, zwischen 1690 und 1738, reiste der Musiker quer durch seine Heimat , wofür er auf die Hilfe eines Reisebegleiters angewiesen war. Denn er war blind, seit er mit 18 Jahren an den Pocken erkrankt war. Verschiedene Denkmäler in Irland erinnern noch heute an ihn. Unsere Harfenistin Johanna Seitz setzt ihm ein klingendes Denkmal in Form des wunderschönen Tunes Lord Galway’s Lamentation.

Wie nachhaltig die „Irish Tunes“ auch am englischen Königshof wirkten, bekam Henry Purcell 1691 auf unsanfte Art zu spüren. Queen Mary war von einer seiner kunstvollen Geburtstagsoden dermaßen gelangweilt, dass sie kurzerhand eine Sängerin bat, sie solle doch lieber ihr irisches Lieblingslied anstimmen: Cold and Raw. Purcell verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und fügte im folgenden Jahr in seine Geburtstagsode „for Her Majesty“ einen Satz über dieselbe irische Melodie ein. Das Lied ist unter verschiedenen Titeln überliefert, etwa auch als „Stingo“. So hat es John Playford in seinem English Dancing Master 1651 drucken lassen.

Cremonea ist eine weitere Melodie des legendären Harfenisten Carolan. Hinter dem Titel verbirgt sich eine Anspielung auf die Schlacht von Cremona zu Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges. Am 1. Februar 1702 verspielte Prinz Eugen damals die Eroberung von Cremona in einem blutigen Häuserkampf gegen die Franzosen. Er scheiterte am Widerstand eines irischen Generalleutnants namens Daniel O’Mahony, der die Franzosen so geschickt führte, dass er als „der Tapfere von Cremona“ in die Geschichte einging und von Ludwig XIV. persönlich ausgezeichnet wurde. Die weiche „Voice Flute“ und der Dudelsack verleihen dieser langsamen, reich verzierten Melodie einen besonderen Charme.

Aus Schottland

Ungleich munterer wirken die „Reels“ im Programm, schottische Tänze von unwiderstehlicher Vitalität: Miss McLeod’s Reel wurde zuerst 1805 gedruckt und verbreitete sich dann rasch unter den „Fiddlers“ bis hin nach Amerika. 1931 landeten die Skillet Lickers damit einen ihrer größten Erfolge auf dem Weg zu dem, was wir heute „Country Music“ nennen. Ursprünglich handelt es sich um einen „Cake Dance“: Für den besten Tänzer zu diesem „Tune“ gab es am Ende des Wettbewerbs einen Kuchen als Belohnung!

Der Reel of Tulloch ist ein Klassiker des schottischen „Highland Dancing“ und wird auch „König der Melodien“ genannt. Er gehört zum festen Repertoire der schottischen Dudelsackbläser auf den „Great Highland Bagpipes“. Sehr viel quirliger klingt er auf der hohen Blockflöte zusammen mit einer irischen Trommel, dem „bhodrán“. Dazu kann man sich gut eine der vielen Anekdoten vorstellen, die um diesen Tanz kreisen: Ein streitbarer Schotte namens MacGregor hatte seinen Rivalen im Kampf um die Tochter des Laird of Tulloch besiegt und tanzte danach diesen Freudentanz.

Irische Jig und der Duke of Norfolk

Der Tune Lilliburlero wurde schon um 1620 in Irland gesungen und gespielt, also zu jener Zeit, als der Duke of Buckingham dort seine irischen Besitzungen besuchte. Der Text hat keine Bedeutung, sondern besteht nur aus Unsinnslauten. Die eingängige Melodie dieser typisch irischen „Jig“ wurde von Henry Purcell für Cembalo arrangiert – vielleicht ein weiterer Tribut an Queen Mary und ihre Vorliebe für „Irish Tunes“.

Zum höfischen Repertoire jener Zeit gehörte auch ein Tune, der 1685 unter dem Titel The Duke of Norfolk in London erschien. 20 Jahre später druckte ihn Händels Verleger John Walsh unter dem Namen Paul’s Steeple. Der Grund für die Namensänderung ist leicht zu erraten: Henry Howard, der 6. Duke of Norfolk, wollte seinem katholischen Glauben nicht abschwören und ging dafür ins Exil nach Brügge, bevor ihn James II. rehabilitierte. Als er 1684 starb, wurde das populäre Lied unter seinem Namen gedruckt, was angesichts der antikatholischen Stimmung im England des frühen 18. Jahrhunderts nicht mehr möglich war.

Grounds und bizarre Variationen

Nach der Pause betreten unsere Musiker das Tanzparkett des späten 17. Jahrhunderts, das in England besonders fest gegründet war, nämlich auf sie so genannten „Grounds“. So nannten die Engländer Variationen über einen „Grundbass“, also eine ständig wiederkehrende Melodie in der Unterstimme. Die Italiener hätten je nach dem verwendeten Bass von Ciaccona oder Passacaglia gesprochen, doch war diese Technik damals im Süden schon veraltet. In England erreichte der Ground erst um 1680 den Höhepunkt seiner Popularität. Das wohl virtuoseste Beispiel eines Ground aus jener Zeit schuf der italienische Geiger Nicola Matteis. Kaum war der Neapolitaner nach London gekommen, schon wurde er von diversen Gönnern herumgereicht. So bekam ihn auch John Evelyn zu hören, der wichtigste Chronist des damaligen England, dessen berühmte Tagebücher mit denen von Samuel Pepys konkurrieren. Als er Nicola Matteis im November 1674 zum ersten Mal hörte, war er von diesem neuartigen Violinspiel völlig überwältigt. Ausnahmsweise sei diese Stelle auch im englischen Original zitiert:

I heard that stupendious Violin Signor Nichola (with other rare Musitians) whom certainly never mortal man Exceeded on that instrument, he had a stroak so sweete, & made it speake like the Voice of a man; & when he pleased, like a Consort of severall Instruments: he did wonders upon a Note: was an excellent Composer also. Nothing approch’d the violin in Nicholas‘ hand: he seem’d to be spiritato’d & plaied such ravishing things on a ground as astonishd us all.

Ich hörte jenen stupenden Geiger, Signor Nicola …, den sicher kein Sterblicher jemals auf diesem Instrument übertroffen hat. Er hatte einen so süßen Bogenstrich und ließ die Violine sprechen wie eine Menschenstimme. Und wenn es ihm gefiel, konnte er wie ein Consort aus mehreren Stimmen erscheinen und mit einer einzigen Note Wunder vollbringen. Er war auch ein ausgezeichneter Komponist. Nichts kam der Violine in Nicolas Händen gleich. Er schien ein Erleuchteter zu sein und spielte so erstaunliche Dinge über einem Grundbass, dass sie uns alle erstaunten.

Noch heute gerät man ins Staunen, wenn man Matteis’ Variationen über den Ciaccona-Bass hört, den er als „vecchia Sarabanda“ bezeichnet, als „alte Sarabande“. Der Titel „Diverse Bizarrie“, also „verschiedene Bizarrerien“, trifft genau den Charakter dieser hypervirtuosen Variationen, die Dorothee Oberlinger auf der Blockflöte spielt.

Ground von Purcell

Henry Purcell, der Organist der Chapel Royal und größte englische Barockmeister, hat so viele Grounds komponiert, dass sie wohl noch kein Musikhistoriker alle erfasst und gezählt hat. Dorothee Oberlinger hat sich einen besonders raffinierten Ground aus Purcells Semi-Opera Dioclesian herausgesucht, die 1690 in London uraufgeführt wurde. „Two in one upon a ground“ steht über diesem Satz, denn die beiden Oberstimmen sind im Kanon geführt, so dass zwei Stimmen aus einer einzigen hervorgehen. Dazu hat Purcell den absteigenden Passacaglia-Bass gewählt. Darüber entfalten die Blockflöten in hinreißender Manier die „sweet dissonances“ des „Orpheus britannicus“. Im Rahmen der Opernhandlung diente dieser melancholische Satz nicht als Ballettmusik, sondern als Zwischenaktmusik.

Ein weiterer Ground von Nicola Matteis beschließt das Programm. Damit schlagen die Musiker eine Brücke von London nach Wien, denn dort war Matteis ab 1714 für die Ballettmusiken am Hof Kaiser Karls VI. verantwortlich. Auch auf dem Festland begann man, sich für den „Humor“ der Schotten zu begeistern. Und daran wird auch der Brexit in Zukunft nichts ändern.