Zwei Cabaret-Lieder für Vincent Hyspa | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Erik Satie

Zwei Cabaret-Lieder für Vincent Hyspa

Zwei Cabaret-Lieder für Vincent Hyspa

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Un diner à l’Élysée (1899)
2. Le veuf (1899)

Erläuterung

Eine der Geburtsstunden des Kabaretts im modernen Sinne schlug kurz vor 1900 in Paris: in jenen Cabaret-Theatern, die man damals Café-Concert oder Music-Hall nannte. Dort trug der gefeierte Chansonnier Vincent Hyspa seine ätzenden Lieder vor, die das Establishment der Dritten Republik gnadenlos aufs Korn nahmen. Oft schrieb ihm Erik Satie dazu die Musik. Der musikalische Poet des Montmartre, der in einer winzigen Kammer unweit des Moulin Rouge hauste, fand genau jene lakonischen, simplen, beißend ironischen Töne, die Hyspa für seine Texte brauchte.

Ein Musterbeispiel für diese Zusammenarbeit ist das Lied Un dîner à l’Élysée. Das groteske Abendessen im Élysée-Palast, das hier geschildert wird, hat tatsächlich stattgefunden: Im Mai 1899 lud der Président de la République, Émile Loubet, die führenden Maler Frankreichs, den Kulturminister und den Präsidenten der französischen Künstlervereinigung zu einem Diner in den Élysée-Palast ein. Dabei wurde – neben der „cuisine à l’huile“ im französischen Stil – auch Kaviar serviert, um dem Zaren zu imponieren. Loubet verfolgte nämlich eine gnadenlos prorussische Politik, die bis zur Anbiederung reichte: „Après la soupe, radis et caviar pour faire plaisir au Czar“, sang Vincent Hyspa, bevor Satie am Klavier die Klänge der Marseillaise im Stil einer Militärkapelle erschallen ließ. Tatsächlich wurde jenes festliche Abendessen von den Klängen einer Militärkapelle des 74. Regiments begleitet. Madame Loubet geht mitten im Diner des Gesprächsstoff aus. Die anwesenden Maler haben bereits während des Hauptgangs den Weinkeller des Präsidenten leer getrunken, so dass in einem Bistro an der Ecke Nachschub besorgt werden muss. Beim Café bekunden die ach so unabhängigen Künstler ihre tiefe Devotion gegen das Präsidentenpaar.

Das tägliche Unglück der kleinen Leute war ein anderes Lieblingsthema der Autoren Hyspa und Satie. In Le veuf lassen die Beiden einen armen Witwer zu Wort kommen, der lange Zeit eine junge Blonde Frau bewunderte, ihr aber nie direkt ins Auge blicken konnte, weil beide zu stark schielten:

Je passais tous mes jours à contempler sa grâce,
Mes yeux cherchaient les siens;
mais nous ne pouvions pas nous regarder en face:
Nous louchions tous les deux.

Ich verbrachte den ganzen Tag damit, ihre Grazie zu bewundern,
Meine Augen suchten die ihren;
Doch nie hätten wir uns direkt ins Gesicht sehen können:
Wir beide schielten.