Cellosonate Nr. 1 c-Moll, op. 32
Werkverzeichnisnummer:
Allegro
Andante tranquillo sostenuto
Allegro moderato
Am Silvestertag des Jahres 1872 vollendete Camille Saint-Saëns seine erste Cellosonate in c-Moll, „ein mächtiges Werk von Beethovenscher Dramatik“, wie es der französische Forscher Jean-Alexandre Ménétrier nannte. Der Grandseigneur der Pariser Konzertsäle erinnerte damit an seine im verlorenen Krieg gegen Preußen gefallenen Freunde und an die Verwüstungen, die im Zuge der so genannten „Communes“ über die französische Hauptstadt hereingebrochen waren. Dass die Sonate die Opuszahl vor dem ersten Cellokonzert Opus 33 trägt, ist kein Zufall: 1872/73 wurde Saint-Saëns von einer geradezu orgiastischen Begeisterung für das Cello erfasst und konnte die beiden Meisterwerke kurz hintereinander vollenden.
Das einleitende Allegro steht im sehr schnellen Dreiertakt und beginnt mit einem trotzigen Unisono-Thema. Es weckt sofort Assoziationen an Beethovens c-Moll-Klaviertrio Opus 1 Nr. 3 und an die c-Moll-Violinsonate Opus 30 Nr. 2. Der ganze Satz ist eine permanente Metamorphose des Mottothemas aus vier Noten, woran sich sofort nervöse Sechzehntel anschließen. Danach werfen die beiden Partner einander den barocken Rhythmus einer Sarabande in wuchtigen Akkorden zu. Das Klavier kehrt immer wieder zu den brodelnden, schnellen Passagen vom fünften Takt zurück, während das Cello darüber weite Melodie-Bögen spannt. Dazwischen erscheint das Vier-Ton-Motto in immer neuen Verwandlungen, mal als verträumter Walzer, mal als schöne Kantilene, in der Durchführung als schemenhaftes Piano über gespenstischem Oktaven-Tremolo des Klaviers. Nach einem letzten Wutausbruch des Pianisten, der an Mozarts c-Moll-Klavierkonzert KV 491 erinnert, beenden gemeißelte Fortissimo-Akkorde diesen dramatischen Satz.
Andante tranquillo sostenuto steht über dem langsamen Satz, also „ruhig gehend und ausgehalten“. Hier erscheint die Welt wie verwandelt: Über einem „gehenden“ Bass in der linken Hand des Klaviers setzt in Es-Dur ein liebliches Choralthema von rechter Hand und Cello ein. Danach übernimmt das Cello den gehenden Bass, und der Choral liegt im Klavier. Noch zweimal tauschen die Partner die Rollen, bis die lange Choralmelodie vollständig erklungen ist. Dass der Anfang des Chorals an das deutsche Lied „Der Mond ist aufgegangen“ erinnert, war dem Franzosen Saint-Saëns sicher nicht bewusst. Der Mittelteil des Satzes wendet sich wieder nach c-Moll, und zwar in Form rhapsodischer Melodiebögen des Cellos, die vom Klavier übernommen werden. Dieses larmoyante Duett mündet in eine fast unwirklich schöne Reprise der Choralmelodie: Sie wird in schillernde Klavierklänge in Des-Dur gehüllt und wandert anschließend durch die Tonarten. Mit der Grundtonart Es-Dur kehrt auch der gehende Bass im Cello zurück. Die Reprise des Chorals hat Saint-Saëns stark verändert und in einem orgelmäßigen Nachspiel ausklingen lassen. Dazu spielt der Cellist den gehenden Bass auf gezupften Saiten.
Im Finale erheischt zunächst ein ausgehaltenes G über vier Oktaven Aufmerksamkeit, bevor sich über brodelnder Klavierbegleitung ein gespenstischer Reigen zwielichtiger Tanzthemen in Gang setzt. Allegro moderato steht über diesem Danse macabre, der vom Tremolo des Cellos und von nervös flackernden Triolen des Klaviers bestimmt wird. Nur vorübergehend unterbrechen zwei süß singende Episoden den Geisterreigen. Zum Schluss wird die Aura der ständigen Triolen so bedrohlich, dass die Sonate im Fortissimo eines wie gehetzt klingenden c-Moll schließt.