Streichtrio F-Dur, op. 96 für Violine, Viola und Violoncello
Werkverzeichnisnummer:
Allegro moderato
Menuetto. Allegretto – Trio
Adagio
Menuetto. Allegretto – Trio
Andante (con Variazioni)
Finale. Allegro
František Vincenc Kramář wurde drei Jahre nach Mozart, 1759, in Kamenice (Kamenitz) im böhmisch-mährischen Grenzland geboren, unweit jener Kleinstadt Jihlava (Iglau), in der hundert Jahre später der kleine Gustav Mahler aufwachsen sollte. Gestorben ist der Tscheche Kramář als „Franz Krommer“ 1831 in Wien, vier Jahre nach Beethoven und drei Jahre nach Schubert. Kramář war also alt genug, um noch als junger Geiger Mozart zu begegnen, und jung genug, um zu einem geachteten Konkurrenten Beethovens aufzusteigen. Unter dem Namen Franz Krommer wurde er in Wien Kaiserlicher „Kammertürhüter“ und begleitete Kaiser Franz’ I. 1815/16 auf dessen Reisen durch Italien und nach Paris.
Zu Beginn seiner Karriere war dieser steile Aufstieg nicht abzusehen: 1785 kam der junge Geiger in die kaiserliche Hauptstadt, die von böhmischen Musikern geradezu überschwemmt wurde. Doch Krommer hatte Glück: Graf Styrum aus Simonthurn warb ihn für seine ungarische Hauskapelle ab. Bis 1795 blieb er in Ungarn, wo er auch als Regimentskapellmeister wirkte. Dies erklärt, warum er späterhin geradezu als Spezialist für den Klang der Militärkapellen galt und etliche bedeutende Harmoniemusiken für Bläser veröffentlichte, obwohl er von Hause aus Geiger und Organist war. Nach der Rückkehr in die Kaiserstadt 1795 gehörte Krommer zu den Konkurrenten des jungen Beethoven um die Gunst des Publikums. Seine zahllosen Streichquartette und Flötenquintette, seine Bläserkonzerte und Sinfonien wurden bei den renommiertesten Verlagen gedruckt und verschafften ihm letztlich die privilegierte Stellung eines kaiserlichen „Kammerkomponisten“, die er bis zu seinem Tod 1831 behielt.
Sein Großes Trio für Violine, Viola und Violoncello in F-Dur wurde 1818 als sein Opus 96 gedruckt und zählt zu den bedeutendsten Streichtrios der Wiener Klassik. Es folgt im Aufbau getreu den beiden großen Vorbildern im Genre Streichtrio: Mozarts Divertimento Es-Dur KV 563 von 1788 und Beethovens Grand Trio Es-Dur Opus 3 von 1797. Die üblichen vier Sätze der klassischen Form – das einleitende Sonatenallegro, das Menuett, der langsame Satz und das Finale – sind durch zwei weitere Sätze zum „Divertimento“ erweitert, nämlich durch ein zweites Menuett und einen Variationensatz. Da auch Franz Schubert diese ausufernde Satzfolge für sein Oktett wählte, ergibt sich eine schöne Brücke, zugleich aber ein zeitliches Problem. Mit Rücksicht auf die stolze Länge des Schubert-Oktetts nach der Pause haben sich unsere Musiker entschlossen, in Krommers Streichtrio den Variationensatz vor dem Finale auszulassen.
Erster Satz, Allegro moderato: Auf der G-Saite, also in tiefer Lage, beginnt der Geiger mit einem mäßig schnellen F-Dur-Thema, das alsbald in Zweiunddreißigstel-Läufe übergeht. Das Cello übernimmt den Hauptgedanken in hoher Lage und lässt ebenfalls flinke Kaskaden folgen. Der Gegensatz zwischen ruhigen Melodiebögen und hektischer Passagen-Betriebsamkeit bleibt charakteristisch für den gesamten Satz, der im Zweivierteltakt eigenwillig notiert ist. Dabei folgt Krommer getreu den Pfaden der Wiener Sonatenform: Die Exposition wartet mit zwei Themen auf (das zweite chromatisch in hoher Cellolage) und mit einer besonders kontrastreichen Schlussgruppe (Violinmelodie auf der G-Saite, gefolgt von Tremoli im Fortissimo, die zwischen C-Dur und c-Moll schwanken). Zu Beginn der Durchführung erklingt das Hauptthema in d-Moll, wird bis nach As-Dur harmonisch verfremdet und lenkt dann zurück zur Reprise der Themen, worauf eine bedeutende Coda folgt. Der Satz schließt im Fortissimo.
Zweiter Satz, Menuetto, Allegretto: Burschikose Staccato-Achtel in der Geige prägen das erste Menuett, das überraschend von F-Dur nach a-Moll ausweicht. Das Trio ist hier ein zarter Ländler aus dem Wiener Umland.
Dritter Satz, Adagio: Über einem sehr ruhigen Achtelpuls des Cellos setzt die Violine mit einem feierlichen Es-Dur-Gesang in tiefer Lage ein. Im sehr weit gespannten Dreivierteltakt beschleunigen sich die Fiorituren des Geigers bis zu Zweiunddreißigsteln, die sich als virtuose Soli zwischen die Zeilen der hymnischen Melodie schieben. Dass Krommer Geiger war, ist diesem Satz unschwer anzuhören, ebenso, dass er Beethovens feierliche Adagios gründlich studiert hat.
Vierter Satz, Menuetto allegretto: Das zweite Menuett weicht nach g-Moll aus. Sein leise trippelndes Thema wird mehrfach von plötzlichen Fortissimos unterbrochen, die gegen den Takt verschoben sind. Man hat es mit einem Scherzo alla Beethoven zu tun, nicht mehr mit einem altertümlichen Menuett. Im Trio wechselt die Tonart von g-Moll nach G-Dur. Rustikale Doppelgriffe in der Geige und Oktavsprünge als Begleitung lassen an einen Dorftanz denken.
Finale, Allegro: Das leise Geigenthema zu Beginn wird durchweg im Legato gespielt und beruht auf dem absteigenden Bass der barocken Passacaglia. Dieser bewusst altertümliche Gedanke durchzieht als ruhender Pol das gesamte funkensprühende Finale in Sonatenform. Sowohl das Seitenthema als auch die Melodie der Schlussgruppe werden vom Geiger auf der G-Saite gespielt. Krommers Vorliebe für die tiefe Geigenlage wird in Bratsche und Cello durch Soli in hoher Klanglage kompensiert. Rauschende Klangflächen im Crescendo bereiten den triumphalen Fortissimo-Schluss vor.