Il favorito („Das Lieblingskonzert“) Violinkonzert e-Moll, RV 277 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonio Vivaldi

Il favorito („Das Lieblingskonzert“) Violinkonzert e-Moll, RV 277

Il favorito („Das Lieblingskonzert“)
Violinkonzert e-Moll, RV 277

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Erläuterung

Das Lieblingskonzert des Kaisers

Am 10. September 1728 hielt Kaiser Karl VI. seinen feierlichen Einzug in Triest – ein Ereignis, das sich bis heute in der Marmorstatue des Kaisers auf der Piazza dell’Unità d’Italia widerspiegelt. Wie seine Tochter Maria Theresia und seine Enkel Joseph und Leopold baute auch Karl die Hafenstadt an der Adria zum Marine-Bollwerk und zur Handelskonkurrenz gegen Venedig aus. Diesem Anliegen sollte sein Staatsbesuch Nachdruck verleihen, weshalb schon drei Monate später in Lubljana ein italienischer Bericht von der Reise erschien: Relazione della venuta e permanenza in Trieste della S. C. Real Cattolica Maestà di Carlo Sesto von Giovanni Casimiro Donadoni. Dort taucht das Wort „musica“ selten genug auf, immerhin aber an zwei wichtigen Stellen, die vom Empfang der venezianischen Botschafter berichten. Die Republik Venedig hatte ein gesteigertes Interesse daran, den mächtigen Nachbarn bei Laune zu halten und ihn auf venezianische Weise zu beeindrucken. Zu diesem Zweck war die Musik eines Antonio Vivaldi genau das rechte Mittel:

„Am Abend [des 10. Septembers] tafelte Seine Majestät öffentlich und gewährte die Gnade, nicht nur von Edeldamen der Region, sondern auch von Adelsherren bedient zu werden, zur Melodie einer exquisiten Musik. Anschließend ließ er all zum Handkuss zu sowie auch viele Fremde, die herbei geeilt waren, um die Üppigkeit und Größe eines solchen Monarchen und seines Hofes zu bewundern. Nicht weniger Verwunderung lösten die Pracht und der Glanz aus, die von den Herren Gesandten Venedigs verbreitet wurden.“ Bei dieser ersten Begegnung des Kaisers mit der venezianischen Delegation muss auch Vivaldi zum Handkuss vorgelassen worden sein. Es darf angenommen werden, dass die „esquisitissima musica“ bei der Tafel von Vivaldi komponiert und geleitet wurde. Schon am nächsten Tag, dem 11. September, gewährte der Kaiser den venezianischen Botschaftern eine prunkvolle Audienz mit anschließendem Mittagsmahl. Auch dabei erklang ein „concerto di squisitissima musica“, was wohl kaum ein Zufall war: Die venezianischen Diplomaten wussten um die Liebe des Kaisers zur Musik und besonders zu Vivaldis Concerti. Also setzten sie den Geigenvirtuosen als Geheimwaffe im diplomatischen Poker jener Tage ein. Den Wiener Höflingen dagegen war die Aufmerksamkeit, die Ihre Majestät einem venezianischen Musiker schenkte, suspekt. Missmutig hielten sie fest, der Kaiser habe mit Vivaldi in zwei Tagen mehr gesprochen als mit seinen Ministern in zwei Jahren.

Bei einer der beiden kaiserlichen Tafelmusiken in Triest muss Vivaldi jenes Violinkonzert in e-Moll aus der Taufe gehoben haben, das Chouchane Siranossian in unserem Konzert als Solistin spielt: das e-Moll-Concerto Il favorito, RV 277. Als nämlich Vivaldi dem Kaiser zum Abschied von Triest die Noten von zwölf Violinkonzerten überreichte, die sich noch heute in Wien befinden, stand das e-Moll-Konzert an zweiter Stelle. Und als im Jahr darauf in Amsterdam die gedruckte Fassung erschien, erhielt es den Titel Il favorito, was man zusammen mit dem Wort „concerto“ lessen muss, also: „Das bevorzugte Konzert“. Offenbar gefiel dieses Werk dem Kaiser so gut, dass es Vivaldi an die zweite Stelle seiner Wiener Sammlung stellte und später als „Lieblingskonzert“ des Kaisers veröffentlichte.

Was dem Habsburger-Kaiser am e-Moll-Konzert RV 277 so besonders gefiel, wird schon beim ersten Hören deutlich: die Griffigkeit des Dreiklangsthemas im ersten Allegro, verbunden mit kunstvoller Chromatik, für die Kaiser Karl eine Vorliebe hegte. Dem stehen die virtuosen Geigensoli gegenüber, die meist nur von den hohen Streichern ohne Bass begleitet werden und sich fast schwärmerisch bis in die hohen Lagen aufschwingen. Im Andante hat Vivaldi durchweg auf den Basso continuo verzichtet und eine Art schwereloser Passacaglia geschrieben: Über dem ständig wiederkehrenden Thema der Bratsche im feierlichen Dreiertakt entfaltet die Solo-Violine ihre weiten Melodiebögen, die sie immer mehr mit Verzierungen anreichert. Nach diesem träumerischen Intermezzo sorgt das letzte Allegro ein mitreißendes Finale im Tanzrhythmus. Sein Springtanz-Thema ist das Moll-Gegenstück zum Jagdfinale des Herbstkonzerts aus den Vier Jahreszeiten.