Concerto da camera F-Dur, RV 100
Werkverzeichnisnummer:
Allegro
Largo
Allegro
Ein Hirtenkonzert für Mantua
Vor genau 300 Jahren, im Dezember 1718, begann für Antonio Vivaldi kein geruhsamer Advent in seiner Heimatstadt Venedig, sondern ein turbulenter Monat voller Opernvorbereitungen in der Stadt Mantua. Die alte Residenzstadt der Gonzaga in der Poebene stand seit 1706 unter kaiserlicher Verwaltung. Im Spanischen Erbfolgekrieg hatten sich die Gonzaga auf die Seite Frankreichs geschlagen und waren von den Kaiserlichen aus ihrer Residenzstadt vertrieben worden. Als Statthalter hatte der Kaiser den Landgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt eingesetzt, der nicht nur ein großer Kriegsmann, sondern auch ein Opernliebhaber war. Er stammte zwar aus einem lutherischen Herrscherhaus, war aber vor seiner Hochzeit zum katholischen Glauben konvertiert und hatte sich als Befehlshaber der Kaiserlichen Italienarmee bewährt. Kaum war er 1714 in Mantua eingetroffen, schon streckte er seine Fühler nach Venedig aus. 1718 gelang es ihm endlich, Vivaldi für seine Hofkapelle zu verpflichten – hauptsächlich, um Opern zu schreiben.
Im Advent 1718 musste Don Antonio, der geweihte Priester mit den roten Haaren und den virtuosen Geigenkünsten, wieder eine neue Oper für das Teatro Arciducale komponieren und einstudieren: Il Teuzzone, eine Intrigengeschichte vom chinesischen Hof, was sich zwar in den Dekorationen und Kostümen niederschlug, aber nicht in der Musik. Gesungen wurde natürlich auf Italienisch im reinsten venezianischen Stil, den Vivaldi beherrschte wie kein Zweiter. Neben dieser Oper scheint Vivaldi im selben Advent ein kleines Concerto da camera für die Kammermusiker des Hofes komponiert zu haben: das Concerto F-Dur, RV 100. Thematische Anklänge an die Oper legen dies nahe. Wenn man will, kann man dieses pastorale Konzert als Hirtenmusik zu Weihnachten verstehen.
Flöte und Violine eröffnen das erste Allegro mit rustikalen Klängen. Leicht kann man sich dazu die Aufregung der Hirten auf den Feldern von Bethlehem vorstellen, nachdem ihnen der Engel die Geburt des Erlösers verkündet hat. Die drei „Hirten“ – Flöte, Violine und Cello – stacheln sich gegenseitig an, um möglichst schnell zur Krippe zu gelangen: „Und da die Engel von Ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem“. Kaum dort angekommen singt die Flöte im Mittelsatz dem Jesuskind ein Schlaflied über dem wiegenden Bass des Cellos: „Und sie kamen eilend, und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen.“ Im rasend schnellen Finale eilen die Hirten aufgeregt von der Krippe fort und verbreiten die freudige Kunde im ganzen Land: „Da sie aber das Kind gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, verwunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.“
Ob dieses Concerto tatsächlich eine Weihnachtsgabe des rothaarigen Priesters Vivaldi an seinen deutschen Dienstherren in Mantua war, weiß man nicht. Es hätte aber gut in den Advent 1718 hineingepasst.