Ouverture zur Oper Rinaldo, HWV 7
Werkverzeichnisnummer:
Largo – Allegro
Adagio
Allegro
Eine Ouvertüre für London
Im Advent 1710 setzte Georg Friedrich Händel zum ersten Mal seinen Fuß auf englischen Boden. Noch konnte er nicht ahnen, dass er einmal als naturalisierter Brite namens George Frideric Handel in London den Großteil seines Lebens verbringen und dort 1759 hoch geachtet sterben würde. Zunächst war die englische Hauptstadt für ihn nur eine Etappe seiner gerade begonnenen Karriere als Komponist italienischer Opern. Nach dem sensationellen Erfolg seiner Agrippina im venezianischen Karneval 1710 hatte ihn Kurfürst Georg von Hannover als Kapellmeister angeworben. Da der Hannoveraner gleich nach seiner hoch betagten Mutter Sophie der nächste Anwärter auf den englischen Thron war, schickte er seinen neuen, weltgewandten Kapellmeister umgehend ins Inselreich, um schon einmal unauffällig die Lage zu sondieren, während Händel sein Operngenie in den Dienst der gerade aufblühenden italienischen Oper an der Themse stellte.
Noch nie hatte Händel eine Stadt von solchen Dimensionen gesehen wie London – trotz seiner zwei Jahre in Rom, seiner beiden Winter in Venedig und seines Ausflugs nach Neapel. Alles war neu für ihn: die schiere Größe der 500.000-Einwohner-City und die sich drängenden Menschenmassen, der mörderische Verkehr und das schlechte Wetter, die Sprache und die Essgewohnheiten, ja sogar der Kalender. Im Gegensatz zu den Italienern und Deutschen zählten die Engländer ihre Tage immer noch nach dem julianischen Kalender. Händel war zwar nach dem selben Kalender am 23. Februar 1685 in Halle zur Welt gekommen, musste sich aber wie alle deutschen Protestanten im Jahr 1700 auf den gregorianischen Kalender umstellen und seinen Geburtstag elf Tage später feiern. Nun durfte er in England die Uhren bzw. den Kalender wieder zurückdrehen. Also hatte seine erste Londoner Oper einen Tag nach seinem 26. Geburtstag Premiere: am 24. Februar 1711. Gespielt wurde der Rinaldo am Haymarket, im einzigen reinen Opernhaus Londons, das noch „Queen’s Theatre“ hieß, solange Queen Anne regierte. Erst mit der Thronbesteigung des Hannoveraners George I. wurde es zum „King’s Theatre“. Dessen Mutter Sophie starb praktischerweise vor der englischen Königin, so dass George direkt zum Zuge kam!
Der Rinaldo war ein rauschender Erfolg – so rauschend, das Händel auf einen Schlag seinen Ruf als Genie der italienischen Oper an den Ufern der Themse begründete. Mit der Komposition hatte er vorsorglich schon im Advent begonnen, ging es doch um die Geschichte des Kreuzritters Rinaldo, der gegen alle Zauberkünste der Magierin Armida Jerusalem von den Ungläubigen befreit. Entsprechend aufwendig waren Musik und Inszenierung: voller Zaubereien im Harry-Potter-Stil.
Schon in der Ouvertüre stellte Händel sicher, dass ihm die Londoner die volle Aufmerksamkeit zollten: Majestätische punktierte Rhythmen dienen als feierliche Einleitung zu einer riesigen Fuge, deren Thema nicht nur rhythmisch in die Beine geht, sondern auch italienischen Glanz verbreitet. Virtuose Soli für Flöte und Violine tun ein Übriges, um den Hörer zu beeindrucken. Auch sich selbst am Cembalo gönnte Händel eine virtuose Einlage. Ein Adagio mit Bläsersolo und eine muntere Gigue erweitern diese Ouvertüre beinahe zur Suite.