Quintett e-Moll | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Giuseppe Verdi

Quintett e-Moll

Bläserquintett e-Moll (nach dem Streichquartett)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro
Andantino
Prestissimo
Scherzo fuga. Allegro assai mosso

Erläuterung

Das einzige Streichquartett von Giuseppe Verdi für fünf Bläser zu arrangieren, mag verwegen erscheinen, handelt es sich doch um ein Heiligtum der italienischen Kammermusik. Freilich ist das Quartett unter dem Eindruck der Oper Aida entstanden und zeigt so viele orchestrale Züge, dass auch Bläserklangfarben dabei quasi mitgedacht sind. Deshalb mag das Experiment dieser Bearbeitung reizvoll erscheinen.

Verdi schrieb sein einziges Streichquartett mit 59 Jahren im Frühjahr 1873 in Neapel. Als sich durch eine Krankheit der Primadonna die geplante italienische Erstaufführung seiner Aida um etliche Wochen verzögerte, hatte er viel freie Zeit in seinem Hotel in Neapel. In aller Stille arbeitete er sein e-Moll-Quartett aus, ließ es im Hotel vor ein paar geladenen Gästen einmal spielen und dann in der Versenkung verschwinden. Erst drei Jahre später konnte ihn sein Verleger Ricordi doch noch zur Publikation überreden. In einem Brief spielte Verdi die Bedeutung des Werkes wie üblich herunter: „Ich habe es in meinen Mußestunden geschrieben. Eines Abends habe ich es in meinem Haus aufführen lassen, ohne ihm die geringste Bedeutung zu geben. Ob das Quartett schön ist oder hässlich, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass es ein Quartett ist.“

Wesentlich an Ricordis Entscheidung, das Streichquartett seines wichtigsten Opernkomponisten ins Verlagsprogramm aufzunehmen, war die erste öffentliche Aufführung des Werkes in Mailand. Sie wurde vom Streichquartett des Mannheimer Geigers Jean Becker (1833-1884) bestritten. Angeregt von Abramo Basevi, dem Leiter der Società del Quartetto di Firenze, hatte Becker 1867 ein Streichquartett gegründet, das sich in Italien Quartetto di Firenze nannte, in Deutschland Florentiner Quartett. In der Urbesetzung spielte es mit Jean Becker an der ersten Geige, Enrico Masi an der zweiten Geige, Luigi Chiostri an der Bratsche und Friedrich Hilpert am Cello. 1869 hatten diese vier Musiker bei einem Besuch in Baden-Baden die Ehre, die beiden noch ungedruckten Streichquartette von Johannes Brahms aus dem Manuskript durchzuspielen, in Gegenwart des Komponisten, der außerordentlich zufrieden war. 1876 waren es wieder dieselben Musiker, die Verdis Streichquartett dem Mailänder Publikum vorstellten. Sie ernteten das uneingeschränkte Lob des Verlegers Ricordi, der seinem Freund Verdi brieflich Bericht erstattete: „Die Ausführung war nicht nur gut, sie war optimal in jeder Hinsicht, da die vier Künstler wahrhaft über jedes Lob erhaben sind … Dem ersten, dritten und letzten Satz wurde am meisten applaudiert, das Prestissimo wurde wiederholt, und bei der großartigen Phrase des Cellos, die auf stupende Weise ausgeführt wurde, konnte das Publikum seinen Enthusiasmus nicht zügeln.“ (Brief von Giulio Ricordi an Giuseppe Verdi vom 5. Dezember 1876). Diese Aufführung zeigte Verdi, dass sein Quartett auch vor dem Publikum bestehen konnte. Endlich stimmte er der Publikation zu.

Schon das erste Allegro des Quartetts zeigt deutlich die Nähe zur Musik der Aida. Die charakteristische Achtelwendung, die das Hauptthema eröffnet, findet sich schon im Vorspiel zur Aida. Es ist jene h-Moll-Wendung der ersten Geigen in Takt 8, die Verdi gegen Ende des Preludio machtvoll in Dur gesteigert hat, um sie dann leise ausklingen zu lassen. Bei der ersten Begegnung zwischen Amneris und Radames kehrt das Motiv wieder, von der Solo-Klarinette gespielt, als Symbol für die Liebe des Helden zu Aida. Die besagte Wendung mündet hier – in e-Moll, der Tonart des Quartetts – unmittelbar in den eifersüchtigen Ausbruch der Amneris: „Aida! A me rivale“, der von bohrenden kleinen Sekunden untermalt wird. Offenbar war es dieser kurze Moment, der Verdi das wundervolle erste Thema des Quartetts eingab. Ein nervöses Staccato-Motiv untermalt das Thema und wird zum eigentlichen Motor des Satzes. Dieses typische Verdi-Motiv tritt in der Überleitung erstmals kraftvoll hervor. Unter der Oberfläche eines lieblichen Einschubs schwelt es weiter, bricht dann erneut aus und wird mit dem Hauptthema kombiniert, bis die Erregung plötzlich abklingt und die Bühne freigibt für das zweite Thema. Es ist ein liebliches Arioso in G-Dur, ganz im Geist der Aida entworfen, ein seliger Moment der Ruhe, der bald wieder vom Staccato verdrängt wird. Auch ein drittes Thema, das aus federnden Achteln besteht, kann die Erregung der Staccati nicht bändigen, die dem Satz bis zum dramatischen Schluss ihren Stempel aufdrücken. So prallen schon im ersten Satz die Temperamente aufeinander: die Lyrik der Gesangsthemen, der strenge Kontrapunkt des Quartettstils und die dramatischen Entladungen in scharfen, wilden Staccato-Läufen.

Auch das Andantino folgt dieser Dramaturgie, so zart er auch beginnen mag: Con eleganza setzt eine Canzonetta im Dreiertakt an, in reinem C-Dur – ein Thema wie aus der heiteren, höfischen Welt des „Fontainebleau-Akts“ im Don Carlos. Ein trauriger a-Moll-Gesang folgt, wieder grundiert von einer nervösen Bassfigur, deren düstere Energie erst später deutlich wird. Zunächst kehrt die Canzonetta in der fernen Tonart Ges-Dur wieder, dann aber bricht – in enharmonischem fis-Moll – die düstere Staccato-Energie des ersten Satzes wieder hervor. Auf eine traurige cis-Moll-Melodie folgt ein wehmütiges As-Dur-Thema, bevor sich die Staccati wieder in den Vordergrund drängen. Auf dem Höhepunkt der Erregung brechen die rasenden Läufe plötzlich ab, ein Fis bleibt liegen, und ganz zart wird das Thema der Canzonetta wieder herangelockt. Die Reprise der Canzonetta wirkt nur anfangs unschuldig, bald mischen sich herbe Molltöne ein, und die Staccati in den Begleitstimmen flackern wieder auf. Erst in den letzten Takten beruhigt sich das Bild, so dass der Satz leise und wehmütig ausklingen kann.

Die letzten beiden Sätze erreichen zusammen nur die Ausdehnung des Andante und stehen beide in rasend schnellem Tempo. Im Prestissimo des dritten Satzes klingen von ferne die düster-romantischen Zigeunermelodien aus dem Trovatore an, während im Trio eine schöne Melodie von gitarrenhaft leichten Akkorden begleitet wird. Das Finale ist bekanntlich eine Fuge, wobei Verdi vorsichtshalber Scherzo Fuga darüber schrieb, um keine Assoziationen an ernste Schlussfugen deutscher Prägung aufkommen zu lassen. Eher schon mag er an das furiose Fugenfinale in Beethovens Opus 59 Nr. 3 gedacht haben. Auch bei Verdi ist das Fugenthema ein Perpetuum mobile, staccato, leggiero und pianissimo zu spielen. Es löst einen Wirbelsturm der Rhythmen und Kontrapunkte aus, der sich erst kurz vor Schluss vom dramatischen e-Moll ins leuchtende E-Dur hinüberwendet.