Sechs Orgel-Trios für zwei Manuale mit dem obligaten Pedal
Werkverzeichnisnummer:
Allegro
Largo
Allegro
So schrieb der Berliner Musikaliensammler Georg Poelchau im frühen 19. Jahrhundert auf Bachs Originalhandschrift der sechs Triosonaten für Orgel, und er fügte eine Anmerkung hinzu:
„Sie sind für seinen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann von ihm aufgefasst, welcher sich damit zu dem großen Orgelspieler vorbereiten musste, der er nachher auch wurde. Man kann von ihrer Schönheit nicht genug sagen. Sie sind in dem reifsten Alter des Verfassers gemacht und können als das Hauptwerk desselben in dieser Art angesehen werden.
Die folgende Handschrift von 55 groß geschriebenen Seiten ist eines der schönsten Autographe, die wir von Bach besitzen. Um seinem damals sechzehnjährigen Sohn Wilhelm Friedemann das Lesen an der Orgel zu erleichtern, schrieb Bach wohl 1727 die drei Stimmen jeder Sonate in besonders großer und sauberer Schrift nieder. Dadurch sind auch die komplizierten Verzierungen der langsamen Sätze gut lesbar. Man könnte heute noch zu Dritt ohne Schwierigkeiten aus dem Autograf musizieren, wenn man die drei Stimmen nicht auf der Orgel, sondern auf drei Melodieinstrumenten spielen wollte.
Dafür gibt es gute Gründe: Die Bachforschung geht davon aus, dass alle sechs Sonaten auf verlorene Originale zurückgehen, die Bach ursprünglich als „echte“ Triosonaten für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo komponiert hatte. Für die ersten beiden Sätze der e-Moll-Sonate hat sich eine solche Frühfassung seiner Kantate BWV 76 erhalten, besetzt mit Oboe d’amore, Viola da gamba und Basso continuo. In den Sonaten Nr. 1, 5 und 6 deutet die Faktur der Stimmen eher auf eine reine Streicherbesetzung hin. Die erste Sonate hat sich tatsächlich als Concerto in C für Violine, Violoncello und Basso continuo in Berlin erhalten, wenn auch in anderer Tonart und mit einem anderen Mittelsatz.
Mittlerweile haben zahlreiche Originalklang-Ensembles alle sechs Orgeltriosonaten in rekonstruierten Urfassungen auf CD eingespielt. Besonders schön und überzeugend sind die Versionen der Camerata Köln, des King’s Consort und des Boston Baroque. Das Tel Aviv Wind Quintet dagegen spielt eine Bearbeitung der fünften Sonate für Bläser von Mordechai Rechtman.
Sonata V ist wie fast alle Orgeltrios eine „Sonate auf Concertenart“, das heißt sie folgt in der dreisätzigen Anlage dem Vorbild der Concerti von Vivaldi. Das erste Allegro ist ein rauschender Konzertsatz im Dreivierteltakt, der gebrochene Dreiklänge mit galanten Terz- und Sextparallelen alternieren lässt. Dieses Thema nimmt schon den Eingangschor zum fünften Teil des Weihnachtsoratoriums vorweg, „Ehre sei dir, Gott, gesungen“. Wie in diesem berühmten Chorsatz werden auch hier die „Ritornelle“ des Themas von Durchführungen eines Fugenthemas unterbrochen.
Das Largo in a-Moll steht im Sechsachteltakt einer Siciliana. Die Melodie ist aber in so extravagante Rhythmen und kleine Verzierungen aufgelöst, dass man diesen Rhythmus kaum noch erkennen kann. Das Linienspiel der beiden Oberstimmen über dem Bass ist von besonderer Schönheit und enthält einige der gewagtesten Dissonanzen, die Bach erfunden hat.
Das Finale ist ein Allegro im Zweivierteltalt mit einem kräftigen fugierten Thema von vier Takten, das sofort von der zweiten Stimme aufgegriffen wird. Der Bass darf freilich nur die ersten beiden Takte des Themas spielen, die er ständig wiederholt – bis in die letzten Takte des Satzes hinein. Plötzlich setzt ein zweites Thema aus aufsteigenden Sechzehnteln ein, das nun auch vom Bass imitiert wird. Aus dem Widerspiel der beiden Themen und ihrer kunstvollen Durchführung bezieht der Satz seinen mitreißenden „Drive“.