Joueurs de flûte, op. 27
Werkverzeichnisnummer:
Flöte
Pan
Tityre
Krishna
Monsieur de la Péjaudie
Albert Roussel kam spät zur Musik. Erst nach seiner Ausbildung zum Marineoffizier wurde er Schüler von Vincent d’Indy an der Pariser Schola Cantorum, wo er später selbst unterrichtete. Seine stilistische Entwicklung spiegelt diejenige der französischen Musik seiner Zeit wieder: von spätromantischen Anfängen über den Einfluss Ravels bis hin zum Neoklassizismus des gefeierten Altmeisters. Obwohl er heute weit weniger bekannt ist als seine Kollegen aus der „Groupe de Six“ war er im Paris der Zwanziger und Dreißiger Jahre ein überaus populärer Komponist und vor allem ein gesuchter Kompositionslehrer: Edgar Varèse und der Tscheche Bohuslav Martinu gehörten zu seinen Schülern.
Seine eigene Musik hat man eklektisch genannt, da sie einerseits die national-französischen Bestrebungen seines Lehrers d’Indy fortsetzte, andererseits auf die Formen- und Bilderwelt der Musik des 18. Jahrhunderts zurückgriff. Ästhetisch verband Roussel Einflüsse aus Indien mit Mythen der griechisch-römischen Antike, wie seine Opern zeigen. Beide Einflüsse fanden auch in dem Stück Joueurs de flûte ihren Niederschlag, das er 1924 komponierte. Darin kostete er nicht nur die Brillanz, Geschmeidigkeit und klangliche Rundung des Flötenspiels französischer Schule zur Gänze aus. Er setzte auch zweimal vier Flötenspielern ein Denkmal: Die Titel der vier Sätze verweisen auf Flötisten aus Mythos und Literatur. Jeder der Sätze ist einem anderen Flötenvirtuosen aus Roussels eigener Epoche gewidmet.
Im ersten Satz ist es Pan, der Gott der Natur und des Waldes, den wir in sehnsüchtigen chromatischen Läufen auf seiner Panflöte spielen hören. (Die traurige Vorgeschichte dazu hat Debussy in seiner Syrinx erzählt.) Im Mittelteil sehen wir den bocksbeinigen Gott bei seinen grotesken Sprüngen. Am Ende kehren die hohen Klagetöne im dorischen Modus wieder. Bestimmt waren sie für den legendären Marcel Moyse, den Propheten der „sonorité“ auf der Flöte und Lehrer von James Galway wie auch Jean-Claude Gérard.
Im zweiten Satz folgt auf die griechische Antike die römische: der Hirte Tityrus aus den Eklogen des Vergil. „Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi / silvestrem tenui musam meditaris avena“ lauten die berühmten Hexameter aus Vergils erster Ekloge, die jeder Lateinschüler früher auswendig lernen musste. Mit pastoralem Ausruhen hat Roussels Tityrus allerdings wenig im Sinn: Die schnellen, prickelnden Sprünge seiner Flöte verbinden sich mit den quasi hingetupften Akkorden des Klaviers zu einem Perpetuum mobile von kaum einer Minute Dauer. Vielleicht dachte Roussel dabei eher an den Flug des Schmetterlings, der nach Tityrus benannt wurde: an den Lycaena tityrus, den braunen Feuerfalter mit seinem gesprenkelten Muster. Bestimmt war dieser Satz für den Flötisten Gaston Blanquart.
Besinnlicher mutet das Flötenspiel des indischen Gottes Krishna an. Die Anlehnung an Hindu-Musik bleibt dabei eher dezent – ein Pariser Traum von Indien, wie ihn Roussel schon in seiner Hindu-Oper Padmâvatî von 1918 auf die Bühne gebracht hatte. Louis Fleury war der Widmungsträger dieses Satzes, jener Flötist, für den Debussy seine Syrinx geschrieben hatte und der auch Roussels Joueurs de flûte im Januar 1925 aus der Taufe hob.
Das Finale des neunminütigen Zyklus enthält eine literarische Anspielung, die außerhalb Frankreichs kaum verständlich ist. „Monsieur de la Péjaudie“ heißt der Flötist in Henri de Régniers Roman La Pécheresse (Die Fischerin). Seine Musik ist ein langsamer Walzer von geradezu koketter Manier. Komponiert wurde er für Philippe Gaubert, den Lehrer von Moyse und zahllosen anderen Schülern am Pariser Conservatoire, der auch als Erster Dirigent der Pariser Oper eine Institution war.