Sonate b-Moll, op. 8
Werkverzeichnisnummer:
1. Allegro ma non troppo
2. Scherzo. Vivace assai
3. Adagio non troppo –
4. Tema con variazioni. Allegro moderato
Im Kammermusikführer des englischen Mäzens Walter Willson Cobbett von 1929 widmete der große englische Musikwissenschaftler Sir Donald Tovey der damals zeitgenössischen Musik des Ernö von Dohnányi eine ausführliche Würdigung. Zur Cellosonate heißt es:
„Die b-Moll-Sonate Opus 8 ist ein bedeutendes Werk. Der erste Satz ist der gewichtigste und majestätischste. Seine Themen sind sehr wohl geeignet, ihre Ausarbeitung im Stile von Brahms zu tragen. Ein lebhaftes Scherzo in g-Moll mit einem ruhigen Trio in Es-Dur zeigt, dass die Absicht das Werkes keineswegs tragisch ist. Im Variationenthema des Finales treffen wir schon auf jenen geistreichen Humor, wie er zu einem Markenzeichen des reifen Dohnányi werden sollte. Die Idee, alle Themen der anderen Sätze im Variationenfinale zu verwenden, und zwar weder als Erscheinungen, die plötzlich über das Finale hereinbrechen, noch als rhetorische Anspielung auf dem Höhepunkt des Satzes, sondern vielmehr als integraler Bestandteil der Variationen, stammt aus dem B-Dur-Streichquartett Opus 67 von Brahms. Von dort hat die Dohnányi übernommen und auf durchaus eigene, ungezwungene Art entwickelt.“
Einige Bemerkungen zu den vier Sätzen seien ergänzt:
Der erste Satz, Allegro ma non troppo, beginnt ganz so wie das Klavierquintett von Brahms: mit dem melancholisch absinkenden Hauptthema im leisen Unisono der Stimmen. Wie bei Brahms tritt ihm ein rhythmischer Impuls im Klavier gegenüber, hier ein Staccatomotiv in Triolen. Aus diesem Gegensatz hat der zweiundzwanzigjährige Komponist eine Verdichtung des Materials zu höchstem Pathos gewonnen, die einem Brahms alle Ehre gemacht hätte. Während das liebliche zweite Thema Episode bleibt, kosten Durchführung, Reprise und Coda den Affektgegensatz im ersten Thema meisterhaft aus. Am Ende versinkt das Hauptthema, umhüllt von leisen Klangwogen des Klaviers, in der Tiefe.
Das Scherzo spielt zu Beginn mit dem Gegensatz zwischen einem hohen Tremolo im Cello und tiefen Klavierakkorden. Später treten Klavier-Staccati durch alle Lagen und Läufe dem ständigen Tremolo des Cellos gegenüber, das seinerseits in die tiefe Lage wandert – ein geniales Klangspiel. Das Trio unterbricht diesen gespenstischen Reigen als eine Art Berceuse, ein Wiegenlied des Cellos über vier ständig wiederholten Klavierakkorden.
Das Adagio non troppo beginnt wie ein Claire de lune: Träumerische Klavierakkorde in E-Dur senken sich sanft auf den Hörer herab wie Mondlicht über eine Landschaft. Dazu stimmt des Cello eine wunderbar schlichte, Brahmsische Melodie an – offensichtlich ein Gegenstück zum Andante des dritten Klavierquartetts von Brahms (inklusive der harmonischen Ausweichung nach C-Dur). Der gesamte Satz dient einzig der Ausarbeitung dieses wunderschönen Themas und ist dabei nicht mehr als ein lyrisches Innehalten vor dem Finale. Denn schon nach 50 Takten geht er attacca ins Variationenthema des letzten Satzes über.
Das Variationenthema ist so schlicht gebaut wie einfach gehalten, eine semplice-Melodie in B-Dur in der hohen Lage des Cellos. Mit dem Pizzicato der ersten Variation beginnt seine Verwandlung. Dolce und singend tritt es in Variation II auf. In Variation III wird es zu mächtigen Klavierakkorden gesteigert, gefolgt von rasanten Läufen beider Instrumente. Ruhig und majestätisch erklingt es in Variation IV. Mit den Triolen der fünften Variation beginnen die Reminiszenzen an den ersten Satz. In Variation VI folgt dessen Hauptthema, nun in B-Dur statt b-Moll – hörbar ein Verwandter des Variationenthemas. Variation VII greift den Duktus des Scherzos wieder auf, Variation VIII das Thema des Adagios, diesmal in Es-Dur und im Klavier. Wenn in der abschließenden Variation IX das Finalthema wiederkehrt – im delikaten Klang gezupfter Cellosaiten zu furiosen Arpeggi des Klaviers –, dann spätestens ist der Hörer davon überzeugt, dass in dieser Sonate die Themen aller Sätze auf geheimnisvolle Weise miteinander verwandt sind.