Im Walde Suite für Violoncello und Klavier Opus 50
Werkverzeichnisnummer:
1. Eintritt. Allegro moderato
2. Gnomentanz. Allegro ma non troppo
3. Andacht. Adagio
4. Reigen. Allegro moderato
5. Herbstblume. Andantino
6. Heimkehr. Allegro vivace
Der Tscheche David Popper war einer der großen Cellovirtuosen des 19. Jahrhunderts – für die Etüdenliteratur des Instruments ebenso unverzichtbar wie Czérny fürs Klavier oder Paganini für die Geige. Der Sohn eines jüdischen Kantors aus Prag wurde schon mit 25 Jahren Solocellist an der Wiener Hofoper und ging mit 30 auf Konzerttourneen durch Europa, die erst endeten, als er 1896 Professor an der Musikakademie in Budapest wurde. Als langjähriger Cellist des Hellmesberger Quartetts in Wien und des Hubay Quartetts in Budapest war er mit der klassischen Streichquartett-Literatur vertraut, aber auch mit Brahms und anderen Zeitgenossen, was seine Musik beeinflusste. Denn neben unzähligen Virtuosenstücken hat er auch anspruchsvolle Werke komponiert, unter anderem ein Requiem für drei Celli und Orchester, das 1891 in London uraufgeführt wurde.
Typischer sind seine Salonstücke, in denen sich cellistische Brillanz mit den rührenden Genrebildern der Trivial-Romantik verbindet. Manche dieser Stücke waren in den Konzertsälen gegen Ende des 19. Jahrhunderts so beliebt, dass es den Kritikern schon zuviel wurde. In London stöhnte George Bernard Shaw: „Ich hörte Poppers Mazurka-Caprice vierzehntausend Mal in zwei Saisons. Jedes Mal erklatschte das Publikum eine Zugabe – und jedes Mal war die Zugabe Poppers Papillons – ein netter Titel, aber einer, der mich jetzt mit Abscheu erfüllt.“ Wenn es nicht gerade um diese allzu oft gespielten Salonstücke ging, urteilte Shaw milder. Er fand Poppers Musik „elegant und fantasievoll in ihren leichteren Abschnitten, elegisch auf der gefühlvollen Seite.“
Dieses Urteil bestätigt die Suite Im Walde, die zu den ambitionierten Werken Poppers zählt. Ihr Originaltitel Suite für Orchester mit obligatem Solo-Violoncell deutet auf eine Rollenverteilung ähnlich dem Don Juan von Richard Strauss hin. Hört man die sechs Sätze freilich in der „neuen Ausgabe für Pianoforte und Violoncell“, so erscheinen sie als eher konventionelle Charakterstücke für Cello mit üppiger Klavierbegleitung. Entsprechend wurden sie vom Komponisten auch in Einzeldrucken angeboten – als typische Salonstücke.
Die bildhaften Titel der sechs Sätze suggerieren einen Spaziergang durch einen herbstlichen Wald. Als Spaziergänger dürfen wir uns eine junge Frau vorstellen, hat Popper die Suite doch einer gewissen Therese Henriques gewidmet.
Eintritt: Hoch gestimmt betritt die Spaziergängerin den Wald. Ein langsam aufsteigendes Thema in g-Moll stellt diesen feierlichen Moment dar, bevor die frische Waldluft sie umweht (Sechzehntel im Klavier, Es-Dur). Rauschend lässt sich das Wogen der Zweige im Wind vernehmen (Cellopassagen). Ein zweites Thema scheint von Liebesleid zu erzählen, von einem leisen Schmerz, den die junge Frau den Bäumen des Waldes anvertraut. Doch am Ende siegt die Hochstimmung in der freien Natur über alle Melancholie.
Gnomentanz: Im flackernden Sonnenlicht zwischen den Zweigen erscheint vor den Augen der Spaziergängerin ein Reigen von Waldgeistern. Stampfende Klavierachtel in g-Moll deuten ihre Schritte an, eine burschikose Gavotte-Melodie des Cellos eröffnet ihren grotesken Tanz, der immer wildere Züge annimmt. Wir hören gespenstische Klaviertriller, wuchtige Celloakkorde, Staccato in beiden Instrumenten. Eine zweite Tanzmelodie in G-Dur wechselt sich mit der ersten ab.
Andacht: Auf einer Lichtung macht unsere junge Heldin Rast, um sich andächtigen Gefühlen hinzugeben, ausgedrückt in einer einzigen, schier endlos langen Es-Dur-Melodie des Cellos im sanft wogenden Sechsachteltakt. Die Begleitung des Klaviers ist zunächst schlicht, wird aber im Verlauf des Stückes immer orgiastischer – ganz so wie die überschäumenden Gefühle der jungen Frau.
Reigen: Mitten im Wald gerät auch unsere Heldin ins Tanzen: Das zweite Scherzo der Suite ist ein Walzer in G-Dur aus lauter Achtel-Trippelschritten, mit einem sanft schwingenden Walzer in C-Dur als Trio.
Herbstblume: Beim Anblick einer schlichten, schönen Herbstblume muss unsere Spaziergängerin kurz verweilen. Ganze 27 Takte reinsten B-Durs genügten Popper für dieses rührende Genrebild.
Heimkehr: Gestärkt kehrt die junge Frau nachhause zurück, getragen vom Überschwang des Erlebten. Ein Es-Dur-Allegro im ungeduldig drängenden Sechsachteltakt, an Mendelsohn erinnernd, bildet das Finale der Suite.