Drei Stücke für Streichquartett | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Igor Strawinsky

Drei Stücke für Streichquartett

Drei Stücke für Streichquartett

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Nr. 1 (Dance)
Nr. 2 (Excentrique)
Nr. 3 (Cantique)

Erläuterung

Mit den Drei Stücken für Streichquartett von 1914 wechseln wir von Österreich-Ungarn nach Paris, in die brodelnde Metropole der frühen Moderne, zu deren schillerndsten Gestalten Igor Strawinsky zählte. Durch seine Ballette für die berühmten Ballets russes hatte sich der junge Russe mit einem Schlag an die Spitze der Avantgarde katapultiert, zumal seit dem Uraufführungsskandal des Sacre du Printemps 1913. Im Jahre darauf, gleichsam als zartes Echo auf die wilden Klangentladungen und vertrackten Rhythmen seines Sacre, komponierte er die Drei Stücke, die er ursprünglich Grotesken nennen wollte, denn für jeden Satz schwebte ihm ein groteskes Bild vor. Im Original für Streichquartett gab Strawinsky sein Programm nicht durch Titel zu erkennen, wohl aber in der späteren orchestrierten Version.

Das erste Stück heißt dort Dance, also „Tanz“ – unüberhörbar ein rauer Volkstanz aus Russland, dessen Thema die erste Violine anstimmt. Dabei agiert sie über einem raffiniert verschobenen Klanggrund aus widerstreitenden Rhythmen: Bratsche und Cello spielen einen Ostinato, ein immer wiederkehrendes Motiv, das sieben Viertel umfasst. Dagegen verschoben spielt die zweite Violine am Frosch ein Motiv aus vier absteigenden Noten. Durch die Unterstimmen, wird „die Melodie metrisch interpretiert, gewissermaßen aus verschiedenen Richtungen beleuchtet; sie erhält auftaktige und volltaktige Töne. Das Verhältnis dieser Betonungen ändert sich natürlich bei den Wiederholungen, weil die 23 Viertel der Melodie sich mit den dreimal 7 des Ostinato überlappen … Dazu kommt außerdem noch das alternative Betonungsschema der Begleitschläge …, so dass ein Fließen der Melodie gar nicht entstehen kann. Sucht der Hörer nach einem metrischen Gefüge, so wird er ständig irritiert; es gibt für ihn während des ganzen Stückes keine spürbare Eins, keine stabile Zähleinheit.“ (Volker Scherliess)

Für das zweite Stück schwebten Strawinsky die Späße des Clowns „Little Tich“ vor. Seine langen Schuhe und seine sprunghaften Bewegungen, aber auch der abrupte Wechsel zwischen Lachen und Weinen scheinen sich in der Musik dieses Satzes wiederzuspiegeln, im plötzlichen Wechsel zwischen „weinerlichen“ Glissandi und gezupften Saiten, zwischen klagenden Melodiefragmenten und hart angerissenen Akkorden. Excentrique („exzentrisch“) lautete Strawinskys späterer Titel für diesen Satz.

Mit dem späteren Titel des dritten Stückes, Cantique, spielte Strawinsky auf die liturgischen Gesänge des alten Russlands an, die er hier wie so oft zitiert hat. Man denkt an einen liturgischen Gesang im Wechsel zwischen Kantor und Gemeinde.

Was die Ausführung der Drei Stücke betrifft, rechnete Strawinsky mit der raffinierten Klangkunst der damaligen französisch-belgischen Quartettschule, wie sie durch das in Lüttich ausgebildete Flonzaley Quartett verkörpert wurde. Dieses Ensemble spielte im November 1915 in Chicago die Uraufführung, wenig später übernahm auch das Pro Arte Quartett aus Brüssel die Drei Stücke in sein Repertoire.