Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 „Rheinische“ | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Robert Schumann

Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 „Rheinische“

Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 „Rheinische“ (für Klavier zu vier Händen von Theodor Kirchner)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Lebhaft
Scherzo. Sehr mäßig
Nicht schnell
Feierlich
Lebhaft

Erläuterung

Am 2. September 1850 traf in Düsseldorf der neue Musikdirektor der Stadt ein. Es war kein Geringener als Robert Schumann samt Frau Clara und der Kinder. Der Empfang war von rheinischer Herzlichkeit und von hohen Erwartungen geprägt, die man dem „bedeutendsten aller lebenden deutschen Instrumentalkomponisten“ entgegen brachte. Schumann war gerührt, rühmte „das heitere, ungezwungene Wesen“ der Rheinländer und den „frischen künstlerischen Geist“, von dem er sich „angeweht“ fühlte. Das erste Weihnachtsfest am Rhein verbrachten die Schumanns im Kreis herzlicher Freunde von der Düsseldorfer Kunstakademie. Derweil legte der Komponist letzte Hand an eine große Sinfonie, die er als Tribut an den Rhein in den letzten beiden Monaten des Jahres 1850 entworfen und sofort ausgearbeitet hatte: die dritte Sinfonie in Es-Dur, op. 97. Nicht zufällig dirigierte er die Uraufführung mitten im Karneval, am 6. Februar 1851. Der populäre Beiname „Rheinische Sinfonie“ wurde allerdings erst 1858, zwei Jahre nach seinem Tod, von seinem Biographen Wasielewski kreiert.

Im Schaffensüberschwang der „Rheinischen Sinfonie“ und der Warmherzigkeit des ersten Düsseldorfer Weihnachten war kaum zu ahnen, wie bald schon sich Risse im idyllischen Bild zeigen sollten. Die Düsseldorfer Chorsänger kamen mit Schumanns Dirigat nicht zu recht, bald regte sich auch im Orchester Widerstand, die Administration vergällte dem Musikdirektor sein Amt von Monat zu Monat mehr. Psychische Störungen stellten sich immer häufiger ein, so dass Schumanns Zustand bedenklich wurde. Zu Weihnachten 1853 kehrten die Schumanns erschöpft von einer Konzertreise in die Niederlande zurück, doch der alte Schaffensdrang wollte sich nicht mehr einstellen. Schumann komponierte nicht mehr. Am Rosenmontag 1854, drei Jahre nach der umjubelten Uraufführung der „Rheinischen“, verließ der psychisch schon äußerst labile Komponist in Morgenmantel und Filzpantoffeln seine Düsseldorfer Wohnung, ohne dass es seine Frau Clara und die besorgten Freunde bemerkten. Er stürmte auf die Rheinbrücke und stürzte sich in die Fluten, nachdem er zuvor seinen Ehering abgezogen und in den Rhein geworfen hatte. Glücklicherweise hatten einige Fischer die Szene beobachtet, da Schumann kein Geld bei sich hatte und statt des üblichen Brückenzolls sein Taschentuch als Pfand hinterließ. Die Männer zogen den Lebensmüden ins Boot und hielten ihn davon ab, sich ein zweites Mal in den Strom zu stürzen. „Fürchterlich muss sein Heimweg gewesen sein; transportiert von acht Männern und einer Masse Volks (es war Karneval), das sich nach seiner Weise belustigte.“ So beschrieb der Konzertmeister des Düsseldorfer Orchesters die Szene. Am 4. März wurde Schumann in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn eingeliefert, die er bis zu seinem Tod zweieinhalb Jahre später nicht mehr verlassen sollte außer für kurze Spaziergänge auf dem Bonner Friedhof. So endete das Leben des größten Romantikers der deutschen Musik an den Ufern des Rheins, der zum Schicksalsstrom seines Lebens wurde.

Die „Rheinische Sinfonie“ weiß noch nichts vom tragischen Ende des Komponisten, sie ist ganz vom Überschwang der ersten Düsseldorfer Monate getragen: „Alle Freudenhimmel des Wonnelebens liegen vor mir ausgebreitet“, hatte schon der junge Schumann über den Anblick des Rheins geschrieben. 21 Jahre später in Düsseldorf setzte er diesem Erlebnis sein sinfonisches Denkmal in fünf Sätzen.

Die „Rheinische“ gilt als die am dicksten instrumentierte Schumannsinfonie: Fast ständig gehen die Bläser mit den Streichern in Oktavkopplungen und begleiten die Themen meistens sogar im gleichen Rhythmus. Diese Eigenart besonders des ersten Satzes prädestiniert das Werk für eine vierhändige Klavierbearbeitung. Babette Dorn und Filippo Faes spielen die Fassung von Theodor Kirchner, den auch Brahms für die Feinheit seiner vierhändigen Arrangements rühmte. Im jubelnden Thema des ersten Satzes hat Schumann keineswegs nur schunkelnden, rheinischen Frohsinn porträtiert, sondern seiner eigenen Begeisterung bei der Ankunft in Düsseldorf Ausdruck verliehen. Der Dreiertakt, die Tonart Es-Dur und der Duktus des Hauptthemas lassen als großes Vorbild Beethovens Eroica durchscheinen. Freilich hat Schumann den Dreiertakt durch Hemiolen gleichsam gebremst, um anschließend in einen jovial schunkelnden Duktus zu verfallen. Als Kontrast wird ein kräftiger Achtelaufgang eingeführt, der den ganzen Satz ebenso permanent durchzieht wie die Quarten des Hauptthemas. Nur das zarte Seitenthema (usrprünglich dan Holzbläsern anvertraut) verbreitet zarte Melancholie in einem Satz, der vom Forte und Fortissimo reichen Gebrauch macht.

Umso zarter wirken die beiden folgenden Sätze: Das Scherzo in C-Dur ist ein rheinländischer Walzer mit gleichsam schenkelklopfendem Humor, der durch neckische Sechzehntel mit pikanten Pointen gespickt wird. Der langsame Satz ist kein pathetisches Adagio, sondern eine freundliche Idylle in As-Dur: Ein sanftes Thema wird von wogenden Akkorden getragen wie von den Wellen des Rheins. Befriedigt stellte Clara Schumann fest, dass „auch für den Laien die Symphonie, vorzüglich der zweite und dritte Satz sehr leicht zugänglich seien.“

Der vierte Satz dagegen gab Clara wie manchem anderen Zuhörer Rätsel auf: In die Idylle brechen plötzlich die tragischen Töne der Posaunen ein. In der tiefschwarzen Tonart es-Moll spielen sie ein archaisches Thema in kontrapunktischer Ausarbeitung, wie aus einem Requiem des 16. Jahrhunderts. Tatsächlich hatte Schumann im Programm der Uraufführung zu diesem Satz einen besonderen Titel abdrucken lassen: Im Character der Begleitung einer feierlichen Ceremonie. Möglicherweise diente ihm dabei eine selbst erlebte katholische Festmesse als Vorbild: die Kardinalserhebung des Kölner Erzbischofs Johannes von Geissel am 12. November 1850 im Kölner Dom. Wie die gotische Architektur des damals noch unvollendeten Doms schichten sich die dissonanten Vorhalte in diesem Satz übereinander und weisen gleichsam in Weihrauchschwaden in die Höhe.

Das Finale vertreibt diese düsteren Vorboten von Schumanns tragischem Schicksal im Tonfall des schönsten rheinischen Frohsinns. Ein wahrhaft joviales Tanzthema wird in den Formen eines großen Sonatenrondos bis zum jubelnden Schluss ausgeführt. Fast scheint es, als habe Schumann hier die Töne des rheinischen Karnevals vorweggenommen. Nicht wenige Zuhörerinnen und Zuhörer werden direkt von der Uraufführung der „Rheinischen Sinfonie“ zum nächsten Karnevalsball aufgebrochen sein.

Karl Böhmer