Quintett für Bläser (2003) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Rihm

Quintett für Bläser (2003)

Quintett für Bläser (2003)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Adagio – Moderato
Fetzen. Sehr rasch (so schnell wie möglich)
Valse lente. Lento (quasi Sarabanda)
Cantabile. Fließend

Erläuterung

Die Spalten der Gazetten und die Programme der Rundfunkanstalten sind derzeit voll von seiner Musik: Wolfgang Rihm, der wohl bedeutendste zeitgenössische Komponist in Deutschland, feierte am 13. März seinen 60. Geburtstag. Die Cité de la Musique in Paris holte die bedeutendsten Streichquartette der Welt an die Seine, um alle seine 19 Streichquartette aufzuführen. Seine Heimatstadt Karlsruhe widmet ihm seit dem 16. März ein eigenes Musikfest. Der Südwestrundfunk ehrt ihn mit vielen Sendungen, Features wie Interviews. Sein Verlag, die Universal Edition Wien, verweist in knappen Worten auf seine Bedeutung als Vorreiter der „Jungen Wilden“ in den Siebziger Jahren und die breite Entwicklung seines Schaffens seitdem: „Als sich Wolfgang Rihm zu Beginn seiner Karriere mit seiner Musik, aber auch seinen Schriften von den Avantgardebewegungen der 50er und 60er Jahre absetzte, war noch nicht abzusehen, in welche Richtung sich dieser so ungemein produktive Komponist entwickeln wird. Nun feiert Rihm seinen 60. Geburtstag und es hat sich gezeigt, dass er sich in viele Richtungen entwickelt hat. Sein umfangreiches Werk gleicht einer riesigen, zerklüfteten Landschaft, und wer sich die Mühe macht, in sie einzudringen, dem eröffnen sich weite Perspektiven.“ Die Villa Musica ehrt ihn mit der Aufführung seines Bläserquintetts von 2003 – herbe Kost vielleicht für manchen Zuhörer im heutigen Konzert, doch das gehört sich so. Denn Wolfgang Rihm gehörte selbst einmal zur Villa Musica: In den Anfangsjahren der Stiftung war er Mitglied im Gründungsvorstand.

Unter den vielen Texten, die zu seinen Ehren erschienen sind, haben wir uns für zwei Beiträge entschieden, die am Ende dieser Werkerläuterungen abgedruckt sind: für Rihms eigene skeptische Worte über Programmhefttexte und für den knappen, sehr persönlichen Beitrag von Dorothea Enderle auf der SWR2-Homepage. Die Musikchefin des Südwestrundfunks ist seit vielen Jahren Mitglied im Vorstand der Villa Musica. Sie hat die Persönlichkeit Rihms in ungewohnter Nahaufnahme beschrieben – in ihrem Text „Einer von uns“.

Sein bislang einziges Bläserquintett in der klassischen Besetzung für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott schrieb Rihm 2003 im Auftrag des Lucerne Festivals für das Ensemble Wien-Berlin. Dieser Zusammenschluss einiger Bläsersolisten der führenden Berliner und Wiener Orchester – darunter der Fagottist Milan Turkovic aus Wien und der Hornist Stefan Dohr aus Berlin – brachte das Quintett in Luzern zur Uraufführung. Die vier Sätze lehnen sich durchaus an den herkömmlichen Aufbau eines klassisch-romantischen Quintetts an: langsame Einleitung (Adagio) und Moderato-Hauptsatz; ein „Fetzen“ genannter Scherzosatz, der „so schnell wie möglich“ zu spielen ist; ein langsamer Walzer als langsamer Satz, zugleich geprägt vom barocken Rhythmus der Sarabande; und anstelle eines schnellen Finales ein Cantabile zum Abschluss. All dies wirkt in der Beschreibung harmlos, gemessen an den furiosen Entladungen von Klang und Dissonanz, die Rihm in jene vier Sätze hineingelegt hat.

Der erste Satz beginnt geheimnisvoll, mit einem Quarten-Quintenthema der Flöte, eingebettet in Pianissimo-Kontrapunkt. Zu Beginn des Moderato wird dieses Thema in Oboe und Horn weiterentwickelt, getragen von Terztrillern der anderen Instrumente. Es durchläuft eine Metamorphose in wechselnden Gestalten und Tempi.

Der Titel „Fetzen“ beschreibt anschaulich die irritierenden Klänge des kurzen zweiten Satzes, seine Klangfetzen aus Flatterzunge und Flageolett, Sforzato- und Staccato-Aufregungen. Majestätisch setzt danach der Sarabandenrhythmus des dritten Satzes ein, über dem sich eine ausdrucksstarke Melodie der Oboe erhebt. Im weiteren Verlauf changiert der Satz zwischen dem Pathos der Sarabande und dem Duktus einer Valse lente – bis hin zum verhauchenden Schluss.

„Wie eine ferne kleine Pauke“ eröffnet die Flöte das Finale. Ihr „Paukenmotiv“ auf den Tönen G und D wird von der Klarinette übernommen und verfremdet, es klingt später noch einmal kurz in der Flöte an. Ansonsten lebt der Satz vom Zauber der langen, „kantablen“ Bläserlinien, die sich überlagernd den ganzen Satz prägen. Auch hier verklingt der Schluss leise.