Nonett Nr. 2 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Bohuslav Martinů

Nonett Nr. 2

Nonett Nr. 2 für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Flöte
Oboe
Klarinette
Horn
Fagott
Violine
Viola
Violoncello
Kontrabass

Satzbezeichnung

1. Poco Allegro
2. Andante
3. Allegretto

Erläuterung

Martinů blieb in Paris, bis der deutsche Einmarsch in Frankreich 1940 dem tschechisch-jüdischen Musiker keine Alternative als die Flucht ließ. Im Juni 1940 floh er vor den Nazis nach Südfrankreich, wo er auf Bahnhöfen übernachtete, dann nach Lissabon, wo seine Emigration lange am seidenen Faden hing. Im März 1941 kam er schlussendlich in New York an, unter den „ungünstigsten Umständen“ (Yves Lenoir), denn er war mit Bartók, Tansmann und Tailleferre „einer der letzten europäischen Musiker, die sich in den USA niederließen, und er fand nicht mehr dieselben Integrationsbedingungen vor, wie sie noch zu einem früheren Zeitpunkt bestanden. Wenn man Arnold Schönberg, Ernst Toch, Kurt Weill u. a. noch die Tore der wichtigsten Universitäten und Musikhochschulen geöffnet hatte, so musste sich das Land nun … auf die massenhafte Ankunft von Millionen Einwanderern gefasst machen, und die finanziellen Kürzungen trafen künstlerische Aktivitäten und universitäre Forschung in besonderem Maße.“

Martinů, der kein Englisch sprach und viele Partituren in Paris hatte zurücklassen müssen, wäre in dieser Situation hilflos gewesen, hätte ihm nicht der Dirigent Koussevitzky den Auftrag zu einer Sinfonie erteilt. Sie wurde ein großer Erfolg, weitere Kompositionsaufträge schlossen sich an. Dennoch blieb Martinůs Leben in den USA von ständiger Sehnsucht nach der Heimat überschattet.

Davon zeugt unüberhörbar das zweite Nonett des Komponisten. Von dem bereits krebskranken Komponisten kurz vor seinem Tod vollendet, gilt es als „Martinůs kammermusikalisches Vermächtnis”. So nannte es sein französischer Biograph Harry Halbreich, dem wir auch eine subtile Beschreibung des Werkes verdanken:

„Wie beim späten Mozart verstecken sich hier tiefstes Gefühl und die Weisheit eines ganzen Lebens hinter der Fassade graziösen Divertissements und lächelnder Reinheit des Ausdrucks. Es ist das ‘tschechischste’ Werk seines Komponisten, nicht nur wegen seiner Bestimmung für tschechische Musiker, sondern auch, weil es in seiner tiefen Nostalgie, die unerfüllte Sehnsucht des totkranken Exilmusikers nach seiner Heimat widerspiegelt. Man kann dieses Werk nicht hoch genug veranschlagen: trotz seiner scheinbaren Bescheidenheit übertrifft es fast alle anderen Werke Martinůs an Bedeutung.

Das einleitende Poco Allegro entwirft beinahe mit der Direktheit eines Smetana das Bild einer fröhlichen Dorfkapelle, die einen kraftvollen Marsch zum Besten gibt. Das Andante ist erschütternd in des Wortes eigentlicher Bedeutung: auf den schönen Traum folgt die harte Realität. An seinem Lebensabend versucht der erschöpfte und kranke Musiker, einem quälenden Leiden ausgeliefert, die Heimat seiner Kindheit wiederzufinden. Doch sogar hier vermeidet Martinů alles Pathos, und das Stück erstirbt in der friedlichen Betrachtung der ewigen Schönheit. Mit kleinen Schritten, fast zögernd, schließt sich das Tanzfinale (Allegretto) an, das von einem Violinsolo eröffnet wird. Das ist ein Dorfspielmann, der seine Landsleute mit einem lebhaften Tanz in Rondoform unterhält. Das rhythmisch intrikate Stück schließt mit einer Hymne auf die Fluren und Haine von Policka, dem Heimatdorf Martinůs. Welche Poesie in dem zarten Pianissimo des letzten Taktes, als ob das schöne, ideale Bild auf sanfte Weise entschwinden würde.”

Äußerer Anlass für die Komposition des Nonetts war das 35jährige Bestehen des Tschechischen Nonetts, das zu den wichtigsten europäischen Kammerensembles des 20. Jahrhunderts gehörte. 1923 von dem Geiger Emil Leichner gegründet, hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Gattung des Nonetts in der von Louis Spohr 1817 begründeten Form zu popularisieren. Im Laufe von 40 Jahren hob das Ensemble 125 Werke von 102 Komponisten aus der Taufe, fast ausschließlich in der klassischen Nonettbesetzung mit Bläserquintett und vier Streichern. Viele der Komponisten kamen aus Tschechien, so etwa Alois Hába, Rudolf Karel, Bohuslav Foerster und eben Bohuslav Martinů. Die Erfolgsgeschichte des Tschechischen Nonetts und seines Repertoires gehört zu den glanzvollsten Kapiteln böhmischer Musikgeschichte überhaupt.

Karl Böhmer