Violinsonate Nr. 2 G-Dur, op.13
Werkverzeichnisnummer:
Lento doloroso – Allegro vivace
Allegretto tranquillo
Allegro animato
Ähnlich wie der junge Richard Strauss, wie Saint-Saëns oder Johannes Brahms näherte sich auch der Norweger Edvard Grieg der Gattung Violinsonate vom Klavier aus. Als einer der besten Pianisten seiner Generation trat er immer wieder mit virtuosen Geigern auf, so etwa mit dem Russen Adolf Brodsky, der seit 1880 Professor am Leipziger Konservatorium war. Obwohl Grieg an dieses Institut aus seiner eigenen Studienzeit keine guten Erinnerungen hatte, besuchte er Brodsky mehrmals in Leipzig.
Am Neujahrstag 1888 kam es in der Leipziger Wohnung Brodskys zu einer denkwürdigen Begegnung: Johannes Brahms probte mit dem Geiger und einem Leipziger Cellisten sein neues Klaviertrio c-Moll, op. 101. Pjotr I. Tschaikowsky musste notgedrungen zuhören, da er seinen alten Freund Brodsky, den Widmungsträger seines Violinkonzerts, ebenfalls zum neuen Jahr einen Besuch abstattete. Freilich mochte Tschaikowsky die Musik von Brahms überhaupt nicht, weshalb es nach der Probe des Trios zu einer bedeutungsschweren Pause kam: Als man ihn um seine Meinung fragte, hüllte sich der Russe in betretenes Schweigen. Gerade noch rechtzeitig vor einem Brahmsschen Wutanfall trafen Grieg und seine Frau ein, die überall, wo sie hinkamen, gute Laune verbreiteten. So konnte dieser Neujahrstag gerettet werden und in einem vergnüglichen Abendessen ausklingen, an das sich Brodsky noch Jahre später erinnerte: „Die drei großen Komponisten saßen beisammen, und alle waren guter Dinge. Ich sehe noch Brahms vor mir, wie er nach einem Schälchen mit Erdbeermarmelade greift und verkündet, dass dies alles für ihn sei und niemand etwas abhaben könne. Es wirkte eher wie ein Kinderfest als wie die Zusammenkunft großer Komponisten.“
Zur Krönung des Abends spielten Grieg und Brodsky dann auch Violinsonaten des Norwegers: die gerade vollendete Sonate Nr. 3 in c-Moll und die heitere Nr. 2 in G-Dur. Sie passte so recht zur ausgelassenen Stimmung jenes Neujahrsabends, denn sie ist durchdrungen von fröhlichen norwegischen Volkstänzen. Als Grieg im Januar 1890 in einem Brief an einen Dichterfreund seine drei Violinsonaten charakterisierte, bezeichnete er die zweite als die am stärksten „nationalistische“, also volksmusikalische: „Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, meine drei Violinsonaten mit Frau Neruda-Hallé vor einem sehr anspruchsvollen dänischen Publikum zu spielen, von dem wir sehr warmherzig empfangen wurden. Ich kann Dir versichern, dass wir sehr gut spielten, was für mich eine besondere Bedeutung hatte, weil diese drei Werke zu meinen besten gehören und verschiedene Stadien meiner Entwicklung verkörpern: Die erste Sonate ist naiv und reich an Ideen, die zweite nationalistisch, die dritte mit einem breiteren Horizont.“
Die folkloristischen Elemente der G-Dur-Violinsonate beschrieb der Griegforscher Øivind Norheim folgendermaßen: „Rhythmisch gebrauchte Grieg einen bekannten Volkstanz namens Springdans als Vorlage für den ersten wie für den letzten Satz. Dies ist einer der Gründe, warum die Sonate so norwegisch klingt wie kaum ein anderes seiner Kammermusikwerke. Nachdem der dänische Komponist Nils Gade das Werk gehört hatte, ermahnte er Grieg, die nächste Sonate nicht ganz so norwegisch anzulegen. Grieg antwortete ironisch: ‚Ganz im Gegenteil, Herr Professor, die nächste wird noch norwegischer sein!`“ (Øivind Norheim)
Neben den fröhlichen Rhythmen des Springdans in der heiteren Tonart G-Dur prägen auch wehmütige Melodien in Moll das Werk. Die erste erklingt zu Beginn als langsame Einleitung, ein Lento doloroso in g-Moll, das ganz leise vom Klavier angestimmt wird. Auf diese zarte norwegische Ballade antwortet die Violine alleine mit einem Ausbruch von Schmerz im Fortissimo, in Tönen, die auch auf Hardangerfiedel gespielt sein könnten, der volkstümlichen Geige der Norweger. Das Klavier verharrt im leisen Schmerz des Anfangs, bis eine hohe, weiche Kantilene allmählich die Wendung nach Dur bringt. Daraus geht schließlich das quicklebendige Hauptthema des Allegro vivace hervor, jenen „Springtanz“, den die Griegforscher regelrecht als „Grieg-Motiv“ bezeichnen: „Das Grieg-Motiv ist in seiner ursprünglichen, simplen Form keine Erfindung Griegs, sondern findet sich in der norwegischen Volksmusik wie bei anderen Komponisten. Für gewöhnlich kreist die volkstümliche Instrumentalmusik Norwegens um kleine melodische Zellen, die ständig mit kleinen Varianten wiederholt werden. Aus diesen Zellen werden dann größere Einheiten zusammengebaut. Zu jener Zeit war Grieg der einzige Komponist, der dieses Bauprinzip in die klassischen Formen übertrug, in diesem Fall auf einen typischen Sonatensatz.“ (Øivind Norheim) Dieses Sonaten-Allegro ist mustergültig klar gegliedert. Auf das fröhliche Hauptthema und dessen kraftvolle Steigerung folgt nach einer Generalpause ein melancholisches Lied in e-Moll im Walzertakt. Nach einem kessen Intermezzo in Springtanz-Rhythmen wird dieses zweite Thema plötzlich in strahlendem G-Dur wiederholt, woraus die Schlussgruppe entsteht. Die Durchführung beginnt nach einer weiteren Generalpause mit skurrilen Mollvarianten des „Grieg-Motivs“ aus dem Hauptthema, wobei das Klavier mit brillantem Legato in hoher Lage glänzen darf. Nach dem langen Anlauf zur Reprise wird erst das zweite Thema in seiner hymnischen G-Dur-Fassung wiederholt, dann das Hauptthema – einer der vielen originellen Züge dieser Sonate. Am Ende des Satzes verscheuchen Tremoli der Geige und kraftvolle Klavierakkorde den letzten Anflug von Melancholie. Der Satz gipfelt in einem jubelnden Presto.
In der Mitte steht zwar ein langsamer Satz, er trägt aber die relativ zügige Tempobezeichnung Allegretto tranquillo. Grund dafür ist die schlichte Volksmelodie im Dreiertakt, die Grieg hier verwendet hat, eine in Terzen sanft absteigende e-Moll-Weise, die nicht zu langsam gespielt werden darf. Johannes Brahms merkte sich dieses Thema für seine eigene zweite Violinsonate, wo er sie im Mittelsatz in Form eines schnellen Scherzo-Einschubs zitiert hat. Offenbar haben er und Grieg auf dieselbe norwegische Volksweise zurückgegriffen. Der schlichte Duktus des Themas wird bald von einem majestätischen Fortissimo aus lauter Arabesken verdrängt. Auf diese heroische Variante des e-Moll-Themas folgt als Mittelteil ein unendlich süßes Tranquillo in E-Dur, dessen zarte Klänge im dreifachen Piano ausklingen, bevor der A-Teil wiederholt wird. Ein Anklang an den Mittelteil, nun in G- statt E-Dur, beschließt diesen schönen Satz.
Allegro animato hat Grieg über das Finale geschrieben. Wie die ersten beiden Sätze steht es im Dreiertakt, wieder scheinen die Rhythmen des Springdans auf. Ansonsten aber geht dieses Rondo seine eigenen Wege als quirliger Schlagabtausch der beiden Instrumente. Gegen Ende wird das Tempo immer zügiger, bis ein ungehobeltes Presto die Sonate laut und munter beendet.
Der fröhliche Charakter des Werkes erklärt sich übrigens aus einem einfachen Umstand: Grieg komponierte sie während seiner dreiwöchigen Hochzeitsreise im Sommer 1867. Sie ist zugleich eine Liebeserklärung an seine Frau Nina Hagerup und ein Hymnus auf die Hochzeitsfeiern des ländlichen Norwegens. Die Uraufführung fand noch im selben Jahr in der Hauptstadt Kristiania statt, dem heutigen Oslo. Gudbrand Bøhn spielte den Geigenpart, Grieg saß am Klavier. Schon 16 Monate später, im März 1867, brachten Breitkopf & Härtel in Leipzig die gedruckte Ausgabe auf den Markt – im Europa der 1860er Jahre ein konkurrenzlos gute Violinsonate. Dass sich Johannes Brahms ein paar Jahre später entschloss, seine drei Violinsonaten mit einem Werk in G-Dur zu eröffnen, hängt sicher mit dem Vorbild Griegs zusammen.