Intermezzi für Klavier (2010) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jörg Widmann

Intermezzi für Klavier (2010)

Intermezzi für Klavier (2010)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

I Viertel = 66
II Zart singend
III Mit dunkler Glut (agitato sempre)
IV „Wiegenlied“ (ruhig fließend)
V Lento, un poco andante

Erläuterung

Mit dem späten Brahms hängen auch die zeitgenössische Klavierstücke in unserem Programm zusammen. Jörg Widmann hat sie in jenem Geist der Reduktion auf knappste Motive und der melancholischen Abkehr geschaffen, wie ihn Brahms in seine späten Intermezzi und Fantasiestück hinein legte, die berühmten Opera 116 bis 119. Im Vorwort zur gerade erst erschienene Erstausgabe seiner Klavierstücke beim Schottverlag in Mainz wies Widmann auf die „verstörende Reduktion und lapidare Kürze“ in jenen späten Brahmswerken hin:

„Aus fast nichts entstehen hier latent bedrohliche Gebilde von wehmütiger Schönheit. Diesem Ton des späten Brahms möchte ich in meinen eigenen, natur- (und alters-)gemäß ganz anderen Intermezzi nachlauschen. Und damit auch meiner Jugendliebe Brahms huldigen, die dann von Schumann lange überschattet wurde, aber momentan wieder neu aufflammt. Das Geheimnis nach einem Klingen, auch das antizipierende Vor-Klingen, der Raum des dazwischen macht für mich das Wesen der Musik aus. Also: Intermezzi.“

Die fünf Stücke sind in Ausdehnung und Gestus extrem kontrastiert: Mikrobisch kurz kommt das erste Intermezzo daher, acht Takte luzider Zweistimmigkeit, die „leuchtend“ mit einem Des der rechten Hand schließen, darunter geheimnisvolles „Echo“ in der linken.

„Zart singend“ beginnt das zweite – mit jenen typischen fallenden Melodielinien, die beim späten Brahms wie überreife Trauben an der Rebe hängen, die vom leisen Schmerz genährt wird. Die Brahmssche Oberstimme tritt bei Widmer „stets etwas hervor“, derweil bleibt die Begleitung wehmütig dissonierend im Pianissimo.

Ungestüm bricht der Schmerz im dritten Stück hervor: „Mit dunkler Glut“, eine Entladung die „durchweg aufgeregt“ zu spielen ist (agitato sempre). Mitunter reichten dem Komponisten für die wilden Klangballungen zwei Notensysteme nicht aus.

Ein Brahmssches „Wiegenlied“ in G-Dur schwebt im vierten Stück über der zart querständigen Begleitung wie ein schöner Traum. „Wiegenlieder meiner Schmerzen“ nannte Brahms einige seiner späten Klavierstücke, und so ist die Überschrift auch bei Widmann zu verstehen – ohnehin in Anführungszeichen.

Die fünf Stücke sind András Schiff gewidmet, der sie bei den Salzburger Festspielen 2010 ur Uraufführung brachte. Oliver Triendl spielt im heutigen Konzert die deutsche Erstaufführung.

Schreiende Riesensprünge eröffnen das letzte Stück, Lento un poco andante: die kleine None, Tritonus über Oktav etc. Nach dem wuchtigen Beginn verebbt die Musik langsam, wird „weniger bewegt“ und „ruhig“. Wiegende Triolenrhythmen in den von Brahms so geliebten Hemiolen treten den wie in Stein gemeißelten Motiven des Beginns entgegen – ein poetischer Epilog.