Klaviersonate A-Dur op. 101
Werkverzeichnisnummer:
Etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung
(Allegretto ma non troppo)
Lebhaft, marschmäßig
(Vivace alla Marcia)
Langsam und sehnsuchtsvoll
(Adagio ma non troppo con affetto) – Zeitmaß des ersten Stücks –
(Tempo del primo pezzo) – Geschwinde, doch nicht zu sehr und mit Entschlossenheit
(Allegro)
In den schwierigen Jahren zwischen 1812 und 1817 vollzog sich in Beethovens Musik der mühevolle Übergang von der „mittleren“ zur „späten“ Stilphase. Er ging mit etlichen Krisen in seinem Leben einher: Im Juli 1812 unternahm er im böhmischen Teplitz den letzten Versuch, eine Frau zu ehelicher Gemeinschaft zu überreden, wie seine geheimnisvollen Briefe „an die unsterbliche Geliebte“ beweisen. Chronische Krankheiten stellten sich ein, der juristische Streit um die Vormundschaft für seinen Neffen Karl belastete ihn zusätzlich. Am meisten aber machten ihm die finanziellen Probleme zu schaffen, die das „österreichische Finanzpatent“ von 1811 durch die allgemeine Geldentwertung ausgelöst hatte. Im Jahr darauf verlor er zwei seiner drei entscheidenden Wiener Mäzene: Fürst Kinsky starb, und auch Fürst Lobkowitz konnte seine Beiträge zur lebenslangen Rente für Beethoven nicht mehr leisten. So blieb nur Erzherzog Rudolph übrig, dessen großzügige Zuwendungen die Auslagen des Komponisten aber nicht deckten.
Dies erklärt, warum in den Jahren 1813 bis 1817 so wenige bedeutende Werke entstanden: Beethoven musste sie den misslichen Umständen förmlich abtrotzen und oft genug hinter Geldarbeiten zurückstellen, wie etwa den Trio-Bearbeitungen schottischer und irischer Lieder für George Thomson. Mit den wenigen großen Werken jener Periode wie etwa dem f-Moll-Streichquartett oder der „Hammerklaviersonate“ teilt die A-Dur-Sonate, op. 101, die Gedrungenheit der Sätze, die Verkürzung der Themen auf fast lakonische Wendungen und deren Entwicklung im polyphonen Satz.
Die A-Dur-Sonate, op. 101, hat Beethoven im November 1816 abgeschlossen, erste Skizzen reichten aber wohl schon ins Jahr 1813 zurück. Die Sonate beginnt „etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung“, wie Beethoven vor dem ersten Satz demonstrativ auf Deutsch notierte, in der Sprache des neuen, patriotischen Deutschland. Auch die Überschriften der anderen Sätze nehmen Zentralbegriffe der deutschen Romantik vorweg: im Adagio „langsam und sehnsuchtsvoll“, im Finale „mit Entschlossenheit“. Das Tor zur romantischen Klaviermusik hat Beethoven hier weit aufgestoßen, indem er die Sonate nicht mit einem Allegro in ausladender Sonatenform begann, sondern mit einem lyrischen Charakterstück in einfacher Liedform. Es verharrt fast durchweg im Piano – bis auf ein bizarres Fortissimo kurz vor Schluss – und folgt den Bahnen seiner wiegenden Melodie ohne Anstrengung. Dabei hat Beethoven mit den Sostenuto-Klängen ausgehaltener Akkorde in allen Lagen experimentiert, um die Innigkeit des Themas noch zu steigern.
Auf die zarte Klangaura dieses Satzes folgte der zweite als Totalkontrast: ein kraftvoller Militärmarsch in F-Dur mit bizarrer Chromatik und einem seltsam kontrapunktischen Trio in B-Dur. Fast scheint es, als habe Beethoven hier die schal gewordenen militärischen Ehren der ehemaligen Befreiungskrieger aus den Jahren 1813 bis 1815 karikieren wollen, die nun – nach dem Wiener Kongress und der Wiederherstellung der alten, despotischen Ordnung in Europa – ihren Sinn und ihren Elan verloren hatten.
Tiefe Melancholie prägt den langsamen Satz, eine Art „unendliche Melodie“ in a-Moll, die über ganze 20 Takte von ungestillter Sehnsucht zeugt. Ihr Ziel erreicht diese Sehnsucht nicht. Über eine kurze Kadenz und einen Anklang an den ersten Satz mündet das Adagio attacca ins Finale, ohne dass sich der doppelte Übergang beim ersten Hören erschlösse.
Das Finale beginnt mit großer Geste: Aus einem hohen Triller auf E löst sich das Hauptthema in kraftvollem zweistimmigem Kontrapunkt, dem Oktaven in beiden Händen einen quasi orchestralen Klang verleihen. Zu dem hohen Triller des Anfangs korrespondiert am Schluss des Satzes ein Triller auf E in der Basslage, über dem sich die letzte aberwitzige Verwandlung des Kopfmotivs abspielt. Dazwischen hat Beethoven alle Aspekte dieses knappen Motivs ausgelotet: die schiere rhythmische Energie zu Beginn, das Tänzerische im Seitenthema, den Opera-buffa-Charakter in der Schlussgruppe. Sein wahres Wesen aber offenbart das Motiv erst in der Durchführung: Die Fuge, die man von Beginn an schon erahnt hat, stellt sich nun ein: eine sperrige dreistimmige Fuge in C-Dur, die sich über eine grandiose Steigerung allmählich der Reprise in A-Dur annähert. Unmittelbar vor dem Wiedereintritt der Grundtonart hat Beethoven die Klangweitung auf dem Pianoforte ins Extrem getrieben: Er ließ sich eigens einen Flügel mit Contra-E bauen, um vor der Reprise die Dominanttonart mit dem kräftigsten denkbaren Basston zu unterstreichen. In seiner Handschrift und im Erstdruck steht an dieser Stelle ausdrücklich der Hinweis „Contra-E“. So sprengt diese Sonate, die so lyrisch verhalten begann, im Finale auf geradezu orgiastische Weise den Klangraum des Klaviers über seine damaligen Grenzen hinaus.