Quintett Es-Dur | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Felix Mendelssohn-Bartholdy

Quintett Es-Dur

Quintett Es-Dur (Bearbeitung nach dem Streichquartett, op. 12)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Adagio non troppo – Allegro non tardante
2. Canzonetta. Allegretto – Più mosso
3. Andante espressivo
4. Molto allegro e vivace

Erläuterung

Kein anderes musikalisches Wunderkind außer Mozart hat einen so stürmischeren Anlauf zum Ruhm genommen wie Felix Mendelssohn. Schon mit 12 Jahren legte er seine ersten voll ausgereiften Werke vor, mit 15 hatte er Sinfonien und Konzerte geschrieben, mit 16 die berühmte Ouvertüre zum Sommernachtstraum. Mit diesem Werk und dem Oktett für Streicher aus dem folgenden Jahr 1825 hatte er sich als vollgültiger Komponist an die Spitze der beginnenden Berliner Romantik gestellt.

Mit 18 und 20 vollendete Mendelssohn seine ersten beiden Streichquartette: das früher komponierte, aber später gedruckte Quartett in a-Moll, op. 13 (1827) und das spätere in Es-Dur, op. 12 (1829). Beide Werke zeugen von einer Phase in seiner Entwicklung, die ganz von den Quartetten des späten Beethoven geprägt war. Gemeinsam mit seiner Schwester Fanny harrte der jugendliche Felix in Berlin ungeduldig auf die Stimmen der neuesten Beethovenquartette, die zwischen 1825 und 1827 in den Verlagen Schott und Schlesinger erschienen. Gemeinsam haben die beiden Geschwister die letzten Werke des angebeteten Meisters förmlich „verschlungen“. „Sie ist doch gar zu rührend“ meinte Fanny Mendelssohn noch Jahre später von der Manier des späten Beethoven.

Dieses „Rührende“ hat auch in den frühen Streichquartetten ihres Bruders Spuren hinterlassen: Das a-Moll-Quartett wurde deutlich von Beethovens Quartett in derselben Tonart Opus 132 beeinflusst. Das etwas spätere Es-Dur-Quartett zeigt Züge, die an Beethovens späte Quartette Opus 130 und Opus 127 gemahnen, aber auch an das „Harfenquartett“ Opus 74.

Mendelssohns Quartett ist hier in einer Bearbeitung für Bläserquintett zu hören- Es beginnt mit einer innigen langsamen Einleitung im Stil eines Lieds ohne Worte. Dahinter verbirgt sich nicht nur eine Anspielung auf Beethovens Opus 74, sondern auch eine Huldigung an eine schöne, junge Londonerin: Betty Pistor. Während seines ersten Aufenthalts in England 1829 hatte sich der junge Mendelssohn in das vornehme Mädel mit der schönen Stimme verliebt, seine Gefühle wurden aber nicht erwidert. Im Überschwang seiner Begeisterung komponierte er im Sommer 1829 in London das Es-Dur-Quartett und widmete es „B.P.“. Miss Pistor aber verlobte sich mit dem Juristen Adolph Rudorff. Die Widmung des Quartetts ließ Mendelssohn kurzerhand in „B.R.“ abändern, damit war das Kapitel „Betty“ für ihn abgeschlossen. In den Tönen des Es-Dur-Quartetts lebt seine Liebe aber bis heute fort. Besonders das liebliche erste Allegro zeugt von zarter Zuneigung. Hinter den Noten seines ersten Themas hat der Mendelssohn-Biograph Larry Todd eine geheime Anspielung auf Bettys Namen ausgemacht. Auch hier finden sich wieder Bezüge zu Beethoven, besonders zum Quartett Opus 127.

Anstelle eines Scherzos schrieb Mendelssohn hier ein bezauberndes Intermezzo und stellte es an die zweite Stelle im Quartett: die Canzonetta, was italienisch so viel bedeutet wie „kleines Lied“ – eine Vorahnung seiner bald darauf angetretenen Reise nach Italien. Durch die Noten dieses Satzes weht schon der Zauber des Landes, „wo die Zitronen blühen“. Federleicht setzen (im Streicheroriginal) die beiden Geigen mit Staccatonoten ein. Gezupfte Saiten der Bratsche und des Cellos verleihen dem Volksliedthema einen geradezu duftigen Klang – wie die Gitarrenbegleitung eines Ständchens, was naturgemäß von den Bläsern nur mit Staccato imitiert werden kann. Im Trio wird die Bewegung schneller, der Klang heller (in G-Dur statt g-Moll), die beiden Stimmenpaare werfen einander prickelnde Staccatonoten zu. Danach kehrt der Gitarrenklang der g-Moll-Canzonetta wieder. In einer Art Synthese aus Lied ohne Worte und Serenade beschwor der junge Mendelssohn hier den Zauber südlicher Nächte. Nicht zufällig brachte es dieser Satz zu beachtlicher Popularität und wurde schon zu Lebzeiten des Komponisten in zahlreichen Bearbeitungen verbreitet.

Den langsamen Satz hat Mendelssohn unverkennbar der Cavatina aus Beethovens Opus 130 nachempfunden. Zur dichten Begleitung der übrigen Instrumente stimmt die Oberstimme ein Andante espressivo an, das in jedem Takt auf einen Vorhalt mündet – wie die Kavatine einer Primadonna in der großen Oper, aber innig, ganz im Stil von Kammermusik. Nach nur zwölf Takten wird der Gesang noch pathetischer und breiter (Largo), getragen von wiederholten Achteln der Mittelstimmen – eine Reminiszenz an die „Seufzerstelle“ im Opus 130. Con fuoco (Mit Feuer) schwingt sich die „Arie“zu hohem Pathos auf, beruhigt sich wieder (tranquillo), kehrt zum Thema des Anfangs zurück, um erneut in Gemütswallung zu geraten (nochmals con fuoco). Die erregte Deklamation der Solistin hakt sich auf Vorhalten in g-Moll fest, mündet in eine verzweifelt fragende Kadenz (Fortissimo, espressivo), um ganz plötzlich umzuschlagen in einen himmlisch schönen, leisen Tranquillo-Schluss. Rückhaltlos scheint Mendelssohn hier seine aussichtslose Liebe zu Betty Pistor in Töne gekleidet zu haben.

Das Finale schließt sich attacca an: Fortissimo-Akkorde, die wild in den Schluss des Andante hineinfahren. Staccatotriolen münden über ein erregtes Crescendo im stürmisch bewegten Finalthema. Es steht in c-Moll statt in Es-Dur und ist eine Art Saltarello, wie ihn Mendelssohn später ans Ende seiner Italienischen Sinfonie stellen sollte. Offenbar hat die Erregung des Andante Spuren hinterlassen: Nervöse Triolenbewegung, wilde Akkordschläge und Kontrapunkt durch alle Stimmen verleihen dem Satz einen ungestümen Duktus, der nur im lieblichen Seitenthema vorübergehend gebändigt wird. Im großen Bogen ist es dem jungen Mendelssohn dann gelungen, zum Hauptthema des ersten Satzes zurückzuleiten. Die Wogen der Erregung glätten sich, und das Quartett schließt in innigem Es-Dur und zartestem Klang – mit jenem Thema, das Mendelssohn Miss Pistor zugedachte.