Klavierquintett E-Dur op. 15
Werkverzeichnisnummer:
Mäßiges Zeitmaß, mit schwungvoll blühendem Ausdruck
Adagio. Mit großer Ruhe, stets äußerst ausdrucksvoll
Finale. Gemessen, beinahe pathetisch
Erich Wolfgang Korngold wurde in der Stadt geboren, die dank Janáček zu musikalischem Weltruhm gelangte: in Brno (Brünn). Aufgewachsen ist er allerdings in Wien, wo er bereits mit zehn Jahren als pianistisches, wenig später auch als komponierendes Wunderkind gefeiert wurde. Für drei Jahrzehnte gehörte er zu den schillerndsten Figuren der Wiener Moderne, bis ihn die Machtübernahme der Nationalsozialisten ins amerikanische Exil trieb. Dort hatte er längst eine zweite Karriere als Filmkomponist begonnen. Am bekanntesten ist er heute aber für seine Opern.
Korngold kam 1897, im Todesjahr von Brahms, als Sohn des Musikkritikers Julius Korngold zur Welt, der bereits 1901 nach Wien übersiedelte. „Als Zehnjähriger von Gustav Mahler bei persönlichem Vorspiel eigener Stücke zum Genie ausgerufen, ging der junge Korngold auf Mahlers Empfehlung zu Alexander von Zemlinsky in die Lehre und wurde neben Arnold Schönberg der wohl wichtigste Zemlinsky-Schüler. Bereits 1909 (mit 13 Jahren!) war Korngold mit Klavierwerken hervorgetreten, deren Modernität und Reife international Aufsehen erregten und rasch prominente Fürsprecher fanden. Richard Strauss äußerte 1910 seine Bewunderung für ‘diesen jungen Erzmusikanten’, dessen Kompositionen ihn ‘mit Schrecken und Furcht’ erfüllten.” (Olaf Kiener) Ohne Übertreibung durfte man diesen jungen Mann als den „Mozart des 20. Jahrhunderts” apostrophieren, was er wenig später durch seine Bühnenwerke bestätigte.
Violanta (1916), Das Wunder der Heliane (1927) und Die tote Stadt (1920) galten im Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg als die Modeopern schlechthin – neben den Bühnenwerken von Richard Strauss und Franz Schreker. Doch dann kamen die Nazis und mit ihnen das amerikanische Exil. Obwohl er bereits 1934 für Max Reinhardts Inszenierung des Sommernachtstraums in der Hollywood Bowl die Musik komponiert hatte, blieb er zunächst in Wien – bis zum „Anschluss“ Österreichs 1938. Als er dann doch in die USA emigrieren musste, war er dort längst ein Star der Filmmusik. Die Partituren zu dem Seeräuberfilm Captain Blood (mit Erroll Flynn), zu Anthony Adverse und anderen Hollywood Klassikern hatten ihn bekannt gemacht. In seinen orchestral üppigen Filmmusiken hatte er „das in diesem Genre Übliche weit übertroffen; mit Wagnerscher Leitmotivik und spätromantischer Melodik gab er der Musik einen hohen Stellenwert. Die sinfonisch durchkomponierte, fast ständig Handlung und Dialoge untermalende Filmpartitur … wurde bei Korngold zum Grundprinzip. Der Hollywood-Film wurde damit zum Opernersatz.” (Dümling)
Nach dem Zweiten Weltkrieg freilich wurde ihm sein Erfolg in der Filmindustrie zum Verhängnis, „ein eher zweischneidiger Ruhm, der hinterher noch lange als Makel haften blieb … 1949 kehrte Korngold nach Wien zurück. Aber seine Hoffnung, an vornazistische Erfolge anknüpfen zu können, wurde enttäuscht. Seine melodische Musik, die bei aller Dissonanz nie der Tonalität und Schönheit abschwor, traf nun der Bannstrahl der Nachkriegs-Avantgarde. Verbittert ging Korngold, dessen Schaffen untrennbar mit Wien verwurzelt war, 1955 endgültig nach Amerika, wo er 1957 in Los Angeles starb.” (Kiener)
Das Klavierquintett in E-Dur gehört – wie der Rest von Korngolds Kammermusik – in die erste, die Wiener Hälfte seines Lebens und Schaffens. Unfreiwillig denkt man aber auch hier an die Üppigkeit seiner amerikanischen Filmpartituren oder an die großen, leidenschaftlichen Szenen seiner Opern. Selbst in seiner Kammermusik ist Korngold ganz Dramatiker.
„Der erste Satz beginnt mit einem leidenschaftlichen Thema von typischem Korngold-Charakter und zeigt die vertrauten Eigenheiten seines Stils. Die Atmosphäre ist gesättigt von Leidenschaft, verändert sich aber mit der Einführung des lyrischen Seitenthemas, das in der Durchführung eine große Rolle spielt. Obwohl dieser Satz durchaus seine Verdienste hat, kann er doch kaum den Vergleich mit dem zweiten Satz bestehen: mit den herrlichen Variationen über eines von Korngolds Liedern des Abschieds. Das Thema wird vom Klavier in mächtigen Akkorden angekündigt, dann von den Streichern in Variationen aufgegriffen, die von neuen, überraschenden Klangeffekten Gebrauch machen. Das burleske Finale in Rondoform zielt zweifellos darauf ab, eine fröhliche Faschingsnacht darzustellen. Besonders eindrucksvoll ist der Schlussabschnitt geraten: Die Streicher sind mit Läufen in Sextolen und Septolen vollauf beschäftigt, während das Klavier mit Glissandi begleitet. Kurz vor Schluss kehrt noch einmal das erste Thema des ersten Satzes wieder, freilich eher aus programmatischen denn aus formalen Gründen.“ (Rudolf Felber)
Diese Beschreibung des 1923 gedruckten Quintetts wurde nur sechs Jahre später geschrieben, 1929. Der Zeitgenosse Rudolf Felber hörte aus dem Werk also eine Art Programm heraus: Leidenschaft und zärtliche Liebe im ersten Satz, im Mittelsatz den schmerzlichen Abschied, verkörpert durch das Liedthema der Variationen, zum Schluss ein Sich-Hineinstürzen in neuen Lebensgenuss, bis plötzlich die Erinnerung an die alte Liebe wieder aufleuchtet. Ob sich Korngold Dergleichen beim Komponieren gedacht hat, sei dahin gestellt. Wie sehr es dem Komponisten allerdings um Ausdruck ging, in jedem Satz dieses großen Quintetts, das verraten seine ausführlichen deutschen Vortragsanweisungen: „Mäßiges Zeitmaß, mit schwungvoll blühendem Ausdruck“ für den ersten Satz, „Mit großer Ruhe, stets äußerst ausdrucksvoll“ für das Adagio, „Gemessen, beinahe pathetisch“ für das Finale.
Karl Böhmer