Streichquartett Nr. 3 Es-Dur | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Juan Crisóstomo de Arriaga

Streichquartett Nr. 3 Es-Dur

Streichquartett Nr. 3 Es-Dur für 2 Violinen, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro
Andantino (Pastorale)
Menuett
Presto. Agitato

Erläuterung

Am 27. Januar 1806, auf den Tag genau 50 Jahre nach Mozart, kam im baskischen Bilbao Juan Crisóstomo de Arriaga zur Welt. Nur wenige Tage vor seinem 20. Geburtstag ist das größte Genie der spanischen Romantik in Paris verstorben. Beides – der Geburtstag wie der frühe Tod –, verleiteten die Nachwelt dazu, ihm den Beinamen „der spanische Mozart“ zu verleihen. Dabei gehörte er gar nicht mehr in die Epoche des großen Salzburgers, sondern war eines jener früh vollendeten Genies der Romantik, wie sie die Epoche auch in der Dichtung prägten – man denke nur an Novalis, Keats, Shelley und viele andere. Wenn überhaupt, dann sollte man Arriaga den „spanischen Mendelssohn“ nennen, denn dem drei Jahre jüngeren Felix Mendelssohn steht seine Musik deutlich näher als Mozart – oder dem neun Jahre älteren Franz Schubert.

Der Sohn aus musikalischem Elternhaus imponierte seinen baskischen Landsleuten bereits im Alter von zwölf Jahren mit seiner ersten (leider auch einzigen) Oper. Zum Studium ging er nach Paris, wo seine Lehrer Fétis und Reicha von dem rasch sich entfaltenden Genie ihres Schülers begeistert waren. Neben einer einzigen Symphonie blieben die drei Streichquartette sein großes künstlerisches Vermächtnis. Komponiert wurden sie zwischen 1822 und 1824, also in denselben Jahren, in denen Schubert und Beethoven in Wien ihre späten Quartette begannen. Mit diesen absoluten Meisterwerken sind Arriagas Quartette zwar nicht zu vergleichen, doch zielen sie in eine ähnliche, romantisch experimentelle Richtung. Stilistisch erinnern sie an die Streichquartette von Gaetano Donizetti: als eine Synthese aus Opernstil und klassischem Quartettsatz, aus Wiener Klassik und anbrechender Romantik.

In der Anlage der Sätze und in vielen Motiven lassen sie die großen Vorbilder durchschimmern – Haydn und Mozart, gelegentlich Beethoven, häufig Rossini und sicher Anton Reicha, den böhmischen Beethovenfreund und Arriagas Lehrer in Paris. Auch die in Paris aufgeführten Streichquartette der Frühromantik dürfte Arriaga studiert haben: die Werke eines Rode, Fesca, Jadin und Spohr. Aus diesen vielfältigen Quellen gespeist, überraschen seine Quartette durch ihren Reichtum an Einfällen, an harmonischen und klanglichen Schattierungen.

Das Quartett Nr. 3 in Es-Dur beginnt mit einem feurigen Allegro im Dreiertakt. Unüberhörbar diente ein berühmter Satz Beethovens als Vorbild: der Kopfsatz des Streichquartetts Opus 18 Nr. 1. In der melodischen Kontur wie auch im Unisono erinnert das Thema auffällig an den Beginn jenes Beethovenquartetts, von dem der Spanier auch die großflächige Ausarbeitung übernahm. Dass er als Seitenthema eine Variante des Hauptthemas benutzte, mutet zunächst haydnesk an. Doch gewinnt gerade diese Variante des Themas durch die nach Moll ausweichende Harmonik und den expressiven „Belcanto“ frühromantische Züge. Dieser melancholische Zug beherrscht auch die Durchführung, die zudem reich an kontrapunktischer Arbeit ist.

Mit dem Andantino schuf Arriaga ein kammermusikalisches Gegenstück zur Szene am Bach aus Beethovens 6. Sinfonie, der Pastorale. Auch er nannte diesen Satz Pastorale. Das wiegende Metrum, die idyllischen, ländlich anmutenden Klänge und eine öfter wiederkehrende empfindsame Wendung der Melodie stammen aus dem berühmten Orchestersatz Beethovens. Anders als der Klassiker aus Bonn beließ es Arriaga aber nicht bei der Schilderung einer Idylle. In die zarte Szene fügte er die Darstellung eines Gewitters ein, wie sie Beethoven bekanntlich erst im Scherzo seiner Sinfonie vorsah. Das Gewitter kann man zunächst nur erahnen: Fernes Donnergrollen zeichnet sich in einem zarten Tremolo ab. Die Idylle scheint zunächst noch ungetrübt. Plötzlich aber türmen sich die so unschuldigen Motive des Satzes zu einer bedrohlichen Wolkenfront auf, und der Sturm bricht los. Der eruptive Ausbruch erinnert in manchem an ähnliche Stellen in Schuberts Quartetten. Am Ende klingt das Gewitter ab, und die Idylle des Anfangs kehrt gleichsam unter einem Regenbogen wieder.

Das Menuett zeigt, wie weit der junge Arriaga schon in die Klangwelt der Romantik vorgestoßen war. Statt eines höfisch vornehmen Tanzes handelt es sich in Wahrheit um ein romantisch düsteres, wild bewegtes Scherzo. Ins teils melancholische, teils unruhig flackernde Moll-Scherzo aus dem Es-Dur-Quartett mischt sich als Trio ein Ständchen im Stile einer Belcanto-Arie ein.

Für das Presto-Finale stand ebenfalls die frühe Belcanto-Oper der Zeit um 1820 Pate. Paris war für alle italienischen Komponisten ein Fixstern ihrer Karriere, so dass der junge Arriaga hier die Opern Rossinis, Pacinis und Spontinis hören konnte. Agitato steht über diesem Satz: „aufgewühlt, erregt“. So wie die erste Geige zu Beginn einsetzt, stürzen sich die Tenöre der italienischen Oper in die bewegten Finali. Dass aus diesem singenden Thema durch kontrapunktische Kunstgriffe echte Kammermusik wird, zeugt einmal mehr vom Genie des viel zu früh gestorbenen Basken.