Streichquartett Nr. 1 (1889) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Sergej Rachmaninow

Streichquartett Nr. 1 (1889)

Streichquartett Nr. 1 (1889) für 2 Violinen, Viola, Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Romanze. Andante espressivo g-Moll
Scherzo. Allegro D-Dur

Erläuterung

Die Romantik war die Epoche der jungen Genies. Der Spanier Arriaga, der schon mit 19 Jahren starb, schuf mit 17 seine wundervollen, frühromantischen Streichquartette. Der Russe Rachmaninow war so begabt, dass ihm seine strengen Lehrer am Moskauer Konservatorium die noch nie vergebene Große Goldmedaille zubilligen mussten. Sein hier gespieltes erstes Streichquartett hat er im Alter von 16 Jahren begonnen. Selbst Robert Schumann war noch keine 32 Jahre alt, er als in Leipzig seine drei Streichquartette schuf.

Beginnen wir mit Rachmaninow, dem nie lächelnden, tief melancholischen Genie der berühmten Klavierkonzerte und der pathetischen 2. Symphonie. Schon als junger Mann war er so von Leidenschaft durchfurcht, dass er sie unmittelbar aufs Notenpapier bannte: „Während ich daran arbeitete, widmete ich all meine Gedanken, all meine Kraft diesem Stück; … ich zitterte bei jeder Phrase, strich manchmal alles wieder aus und begann von Neuem.“ Dieses Bekenntnis des jungen Komponisten an seine Cousine Nathalia Skalon offenbart seine tief romantische Seele, wie er sie schon in seinen frühesten Werken offenbarte. 1892 absolvierte er das Klavierexamen am Moskauer Konservatorium glanzvoll und bestand auch die Kompositionsprüfung im Jahre darauf mit seinem Operneinakter Aleko nach Puschkin so makellos, dass man nicht umhin konnte, ihm die Große Goldmedaille des Instituts zu verleihen – ein Prädikat, das so gut wie nie vergeben wurde. Sein erstes Klavierkonzert und sein berühmtes cis-Moll-Prélude hatte Rachmaninow ebenfalls schon als Student geschrieben. Die Zeitgenossen waren konsterniert angesichts des jungen Genies, das hier heranreifte, allen voran Tschaikowsky. Er fand die Erstlingsoper Aleko so beeindruckend, dass er den jungen Mann großherzig förderte. Besonders Rachmaninows sinfonische Dichtung Der Fels nach Lermontov pries er in überschwänglichen Tönen.

Noch als Student am Moskauer Konservatorium begann Rachmaninow, Sätze für Streichquartett zu schreiben. Erhalten blieben eine Romanze in g-Moll und ein Scherzo in D-Dur. Als diese beiden Sätze 1947 posthum herausgegeben wurden, erklärte man sie zu einem fragmentarischen Streichquartett Nr. 1. Ob die Ecksätze jemals existiert haben, bleibt ebenso fraglich wie der Zusammenhang zwischen den beiden angeblichen Mittelsätzen.

Andante espressivo steht über der g-Moll-Romanze, die von allen vier Streichern mit Dämpfern auf den Saiten gespielt wird (con sordino). Daraus entsteht ein matte, wie in Watte gehüllter Klang, der dem Satz eine fast unwirklich schöne Aura verleiht. Die erste Violine setzt mit einem schmerzlichen, durch Synkopen gestauten Thema ein, das in seinen melodischen Wendungen an Tschaikowsky erinnert. Das Cello antwortet, woraus sich ein zartes Duett entspinnt, das zu Beginn ganz in einer lyrisch verträumten Sphäre verharrt. Erst nach dem etwas schnelleren Mittelteil (con moto), einer süßen Berceuse in B-Dur, die sich zu großer Emphase steigert, entfaltet plötzlich auch das erste Thema unerwartetes Pathos: Es kehrt als Cellosolo in hoher Lage im Fortissimo wieder, getragen vom Tremolo der hohen Streicher. Das Duett zwischen Geige und Cello nimmt nun leidenschaftliche Züge an – zweifellos ein Liebesduett unter tragischen Vorzeichen. Der Satz schließt mit resignierten Seufzern der ersten Violine.

Vor dem Scherzo werden die Dämpfer aufgehoben, die Dynamik bleibt aber leise. Die erste Violine stimmt einen munteren Walzer in D-Dur an, der seine Wurzeln in Tschaikowskys Ballettmusiken hat. Ein burschikoses Seitenthema in h-Moll sorgt für kraftvolle Farben. Das Trio klingt durch die gezupften Saiten der hohen Streicher (pizzicato) wie eine Serenade, die auf der Gitarre begleitet wird. Den Gesang stimmt das Cello an – gleichsam mit sattem Bariton. Seine wunderschöne Melodie erinnert daran, dass Rachmaninow auch ein großer Meister des russischen Liedes war und das Cello mehr liebte als die Geigen. An die Reprise des Hauptteils schließt sich eine meisterliche Coda an – mit chromatischen Gegenstimmen für Bratsche und Cello und mit einem dynamisch pointierten Schluss: erst dreifaches Piano, dann Fortissimo, zum Schluss zwei leise Pizzicato-Akkorde. Der junge Rachmaninow verstand sein Metier. Leider ist er nur noch einmal zum Genre des Streichquartetts zurückgekehrt.