Flötenkonzert G-Dur, Wq 169
Werkverzeichnisnummer:
Allegro di molto
Largo
Presto
Die friderizianischen Residenzen Potsdam und Berlin waren „Flötenland“ – ganz so wie Mozart drei Jahrzehnte später Wien als „Clavierland“ bezeichnete. Im Dunstkreis des Königs erfreute sich die Traversflöte größter Beliebtheit. Dafür sorgte schon allein der königliche Flötenlehrer Johann Joachim Quantz durch die Autorität seiner Musik und seiner Lehrmethode. Carl Philipp verspottete das strenge Regiment seines Kollegen gelegentlich mit einem Berliner Witz, wenn er fragte, „welches wohl das fürchterlichste Thier in der preußischen Monarchie sei? Alles schwieg, um von dem Fragenden die Antwort zu vernehmen, dass dies … der Schooßhund der Madame Quantz sei. Denn diese selbst fürchte ihn, vor Madame aber fürchte sich Herr Quantz, und vor Herrn Quantz wieder der größte Monarch der Welt.“ Der König kommentierte den Witz seines ersten Cembalisten auf seine Weise: „Daß Quantz diese Geschichte nur nicht erfährt, sonst jagt er uns noch alle aus dem Dienst.“ (Ferdinand Meyer, Berühmte Männer Berlins und ihre Wohnstätten, Bd. II, Berlin 1876, S. 521f.)
Im Studienbuch von Quantz sind Fragmente aus dessen Unterrichtsstunden erhalten geblieben, darunter auch einige Passagen aus dem hochvirtuosen Flötenkonzert in d-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach. Wer immer der Schüler in der betreffenden Stunde gewesen sein mag: Er hatte keine Scheu vor den horrenden Schwierigkeiten der Bachschen Flötenkonzerte. In den meisten dieser Werke erklären sich die unbequemen Passagen aus einem einfachen Umstand: Sie waren ursprünglich für Cello bzw. Orgel bestimmt. Nur die Konzerte in D-Dur und d-Moll hat Carl Philipp original für die Flöte geschrieben. Seine drei Cellokonzerte wurden von unbekannter Hand arrangiert, sein Orgelkonzert in G-Dur von ihm selbst. Die Handschrift dieser Umarbeitung ist erhalten und zeigt, wie überlegt er dabei zu Werke ging: Überall dort, wo die rechte Hand der Orgel den Umfang der Traversflöte überschreitet oder rein orgelmäßige Passagen ausführt, notierte er alternative Stimmführungen und flötengerechte Passagen.
Seit seinen Leipziger Jugendtagen kannte Carl Philipp die Möglichkeiten der Traversflöte genau – dank seines 14 Monate jüngeren Bruders Johann Gottfried Bernhard und seines Studienfreundes Jacob von Stählin. Letzterer erinnerte sich noch 1784 an die Freundschaft mit den Bachsöhnen in Leipzig und an das gemeinsame Flötenspiel: „Von den drei Bach-Brüdern meiner Bekanntschaft kehrte der in Dresden [recte: in Berlin] verstorbene älteste den etwas affektierten Elegant heraus, der 2. (der Ihrige in Hamburg) natürlich, tief, nachdenklich und in Gesellschaft nichtsdestoweniger lustig, hieß Carl und zum Unterschied von seinen Brüdern ‚der Schwarze’, und der 3. der ‚Windige’ spielte häufig mit mir Querflötenduette.“ (Aus einem Brief Stählins an seinen Sohn, Petersburg, 20.7.1784)
Dank dieser Freundschaft mit zwei leidenschaftlichen Flötisten und dank seiner eigenen Versuche auf dem Instrument war Carl Philipp bestens gerüstet, als er 1740 „bei Antritt der Regierung Sr. Preußischen Majestät, förmlich in Dessen Dienste trat und die Gnade hatte, das erste Flötensolo, was Sie spielten, in Charlottenburg mit dem Flügel ganz allein zu begleiten.“ So heißt es in seiner kurzen Autobiographie, die er 1773 für den Engländer Charles Burney aufschrieb. Im Duo mit dem König blieb es bekanntlich beim Begleiten: Die Sonaten und Concerti seines ersten Cembalisten schätzte Friedrich nicht besonders, er spielte lieber eigene Werke und die Musik von Quantz. Umso eifriger griffen die Berliner die Bachschen Flötenkonzerte auf, die in der Hauptstadt vom Streichorchester begleitet werden konnten, nicht nur von wenigen solistischen Streichern wie die Flötenkonzerte in Sanssouci.
Mit dem G-Dur-Konzert schuf Carl Philipp Emanuel ein Musterbeispiel des friderizianischen Stils. Ein prachtvolles Ritornell der Streicher eröffnet den ersten Satz. Zwischen der großen Geste des Anfangs und leisen Unisono-Einschüben im Marschrhythmus erzeugt es gespannte Erwartung vor dem Einsatz des Solisten und liefert zugleich das gesamte Material für den lebhaften Dialog zwischen Solist und Orchester. Die Flöte erhält ihr eigenes, galantes Solothema. Thematische Einwürfe der Streicher unterbrechen es regelmäßig, ebenso die virtuosen Passagen, die jedes der vier langen Soli krönen. Die Kadenz muss der Solist improvisieren. Als Mittelsatz schrieb Bach ein Largo in e-Moll mit einem unvergesslich schönen, seufzenden Geigenthema über dem absteigenden Bass. Die Flöte greift diesen klagenden Duktus auf. Im engen Dialog mit den ersten Geigen entspinnt sich ein tief bewegender Trauergesang. Umso heiterer kommt das Finale daher, ein Contretanz mit etlichen humoristischen Wendungen, die an einen „Schüler“ des Berliner Bach denken lassen, der damals in Wien dessen Werke eifrig studierte: Joseph Haydn. Die haydnesken Pointen in der Verarbeitung des Themas paaren sich hier mit besonders effektvollen Solopassagen. Um die Solostimme so flötenmäßig wie möglich zu arrangieren, hat der Komponist hier häufig verändert. Leider hat er dabei auch einige Passagen mit Sextsprüngen eingefügt, die zum Schwersten in der klassischen Flötenliteratur gehören.