Trio Nr. 1 für Klavier, Violine und Violoncello (1992/93) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Lera Auerbach

Trio Nr. 1 für Klavier, Violine und Violoncello (1992/93)

Trio Nr. 1 für Klavier, Violine und Violoncello (1992/93)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Prelude. Allegro moderato
2. Andante lamentoso
3. Presto – Adagio misterioso – Presto

Erläuterung

Obwohl sie gerade erst ihren 42. Geburtstag feierte, hat Lera Auerbach mehr internationale Uraufführungserfolge vorzuweisen als die meisten Komponisten und Komponistinnen der Gegenwart, nicht nur ihres Alters. So wurde ihre Oper Gogol am Theater an der Wien hoch gelobt. 2012 erinnerte die Stadt Dresden mit ihrer Ode an den Frieden offiziell an die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Die bedeutendsten Streichquartette der Welt hoben ihre bislang acht Quartette aus der Taufe. Weltbekannte Geiger wie Gidon Kremer und Vadim Gluzman greifen gerne zu ihrer Kammermusik, die zwar vom virtuosen Klavierpart aus konzipiert ist, aber ebenso sensibel mit den Klangfarben der Streicher umgeht.

Besondere Erfolge konnte sie mit ihren Balletten feiern: Als Pianistin auf der Bühne begleitete sie ihr Faust-Ballett, das vom Staatstheater Nürnberg in Auftrag gegeben wurde. Das Bayerische Staatsballett hob Heroes aus der Taufe, John Neumeier choreographierte Préludes CV zum 40. Geburtstag des Hamburger Balletts. Ihr Ballett Die kleine Meerjungfrau nach Andersen, ebenfalls für John Neumeier entstanden, wurde weltweit bereits mehr als 150 Mal aufgeführt und gewann 2012 den ECHO Klassik Preis.

Lera Auerbach lebt in New York, seit sie mit 17 Jahren von einer Konzertreise in die USA nicht in ihre russische Heimat zurückgekehrt war. Die in Sibirien Geborene wurde bereits im Kindesalter als pianistische Sensation gefeiert und schrieb mit 12 ihre erste Oper. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion aber zog es sie in den Westen, zunächst an die Juilliard School in New York. Heute sagt sie von sich: „New York ist meine Heimat. Wenn ich heute nach Russland komme, könnte ich mir nicht mehr vorstellen, dort zu leben. Was mir fehlt, ist die russische Sprache, da ich ja auch eine Dichterin auf Russisch bin. Mir fehlt der Klang des Russischen auf der Straße … Vielleicht fühle ich mich am ehesten wie eine Amerikanerin in dem Sinn, dass die Vereinigten Staaten ohnehin ein Land der Immigranten sind und auf diesem Konzept beruhen. Gleichzeitig denke ich, dass ein Mensch seine Identität, seinen Sinn, zur Welt zu gehören oder nicht, mit sich trägt. Ich fühle mich dort zu Hause, wo ich bin … Ich bin jüdisch, also galt ich in Russland nicht als russisch, sondern als jüdisch. Ich fing erst an, als Russin zu gelten, als ich in die USA kam. Meine Identität ist also die einer Außenseiterin. Das kann sehr traurig klingen, aber ich empfinde es nicht so. Wieder erlaubt es mir, das, was mir in einer Kultur gefällt, auszuwählen und es mir anzueignen.“

Als New Yorkerin erlebte Lera Auerbach die Katastrophe des 11. September so traumatisch wie alle Bewohner der Stadt. Dieses Trauma hat sie in die Töne ihrer zweiten Violinsonate gekleidet, die sie mit einem Schlag berühmt machte. Ebenso wichtig war ihr Debüt in der Carnegie Hall 2002. „Seitdem ist die weltweite Karriere der Komponistin, Dichterin und Pianistin in Personalunion nicht mehr aufzuhalten“, schreibt ihr Verlag Sikorski. „Lera Auerbachs Musik scheint vordergründig traditionellen Einflüssen stark verpflichtet zu sein. Für sie ist es kein Widerspruch, Tonalität und klassische Formsprache zu nutzen, um neue Wege zu finden. Bei näherem Hinhören eröffnet sich ein ganzer Kosmos ungewohnter Klänge, Farben und Verfahrensweisen, der in vielerlei Hinsicht einen weit entwickelten Personalstil prägen.“

Als Pianistin trat Lera Auerbach in einigen der berühmtesten Konzertsäle der Welt auf: Carnegie Hall und Lincoln Center in New York, Herkulessaal in München, Konzerthaus Oslo, Kennedy Center in Washington und viele mehr.

Ihrem frühen ersten Klaviertrio hat Lera Auerbach lange Zeit keine weiteren Trios in der klassischen Besetzung für Klavier, Violine und Violoncello folgen lassen. Erst 2012 und 2013 hob sie ihre Trios Nr. 2 und 3 aus der Taufe, reife Werke ihres aktuellen Stils. Das Trio Nr. 1 dagegen entstand 1992 bis 1994 – das Werk einer Zwanzigjährigen, uraufgeführt 1999 bei den Schwetzinger Festspielen. Geige spielte damals der israelische Weltklassegeiger Vadim Gluzman, der seit dieser frühen Begegnung zu Lera Auerbachs begeisterten Interpreten zählt. Er spielte ihre Sonate 11. September, ihre Solosonate und die 24 Präludien für Violine und Klavier, die ihm gewidmet sind.

Das zwölfminütige Trio Nr. 1 ist in drei Sätze gegliedert: ein Präludium in mäßig schnellem Tempo, ein klagendes Andante als Mittelsatz und ein rasendes Presto-Finale, das von einem geheimnisvollen Adagio unterbrochen wird.

Das Präludium beginnt wie ein Klavierpräludium von Bach: mit zweistimmiger Gegenbewegung in gleichmäßigen Achteln, allerdings „mysteriös und scherzend“ vorzutragen (misterioso scherzando). Die Streicher greifen das Achtelmotiv nacheinander auf, klanglich verfremdet durch das Spiel am Steg (sul ponticello). Nach 20 Takten taucht im Cello ein neues Motiv auf, giocoso – ein heiterer Kontrapunkt zur unausgesetzten Achtelbewegung. Weitere 20 Takte später wechselt der Cellist plötzlich zu Glissandi, die „ähnlich wie Möwengeschrei“ klingen sollen. Zehn Takte später verschwinden die pikanten Achtel plötzlich im Pianissimo und Pizzicato.

Das Andante lamentoso stammt aus einer ganz anderen Welt: Über einem schweren, dunklen „Basso sostenuto“ des Klaviers erhebt das Cello seine Stimme in klagenden Terzen und weitgespanntem Gesang. Die Violine tritt mit „sehr ausdrucksvollen“ Achtelbögen hinzu, die dramatischen Ausdruck annehmen. Ein Klavierzwischenspiel in „gläsernem Klang“ kündigt den zweiten Teil des Satzes an, der von fast unwirklicher, träumerischer Schönheit ist. Die Geige setzt den Dämpfer auf die Saiten und spielt mit flötenartigem Klang, das Cello lässt sich äußerst leise und zart auf einen Zwiegesang ein, während das Klavier unbeirrbar seinen Basso sostenuto fortsetzt. Der Satz klingt „ersterbend“ aus (morendo).

Das Presto-Finale wird von rasenden Sechzehnteln des Klaviers eröffnet. Die Streicher werden in diesen hemmungslosen Rausch hineingezogen, der nach 40 Sekunden in wilden repetierten Akkorden gipfelt. Der letzte mächtige Akkord verklingt langsam, worauf leise und geheimnisvoll eine klagende Melodie im Klavier einsetzt, untermalt von liegenden Klängen der Streicher. Langsam und leise kündigen sich im Cello die Sechzehntel vom Beginn wieder an. Sie scheinen in einem großen Crescendo und Accellerando machtvoll wiederzukehren, werden aber plötzlich von einem neuerlichen Misterioso kurz aufgehalten. Letztlich setzt sich aber doch der rasende Sechzehntelsturm wieder durch. Mitten im Rausch der Passagen leuchtet plötzlich ein reiner F-Dur-Dreiklang auf, bevor sich alle drei Spieler in die noch wildere Coda stürzen.