Trio c-Moll, Av:XV:19
Werkverzeichnisnummer:
Adagio
Allegro
Allegro
Zu den Berliner Kollegen Carl Philipp Emanuel Bachs gehörten auch die beiden Gebrüder Graun: Der jüngere Bruder Carl Heinrich war von Hause aus Sänger (ein hochvirtuoser Tenor) und wirkte in Berlin als Hofkapellmeister. Im Auftrag des Königs schrieb er die Hofopern, die am Königlichen Opernhaus unter den Linden mit größtem Pomp aufgeführt und von den Zeitgenossen vergöttert wurden – insbesondere von König Friedrich selbst. Der ältere Bruder Johann Gottlieb Graun zählte zu den virtuosesten deutschen Geigern seiner Generation. An der Dresdner Kreuzschule hatte er seine Laufbahn begonnen, war dann beim Dresdner Konzertmeister Johann Georg Pisendel in die Lehre gegangen und später für einige Monate zum berühmtesten Geiger Europas nach Padua gereist: Giuseppe Tartini. Nachdem er 1726 „Konzertdirektor“ am Merseburger Hof geworden war, bekam er einen jungen Schüler aus Leipzig: Bach ältesten Wilhelm Friedemann. Der Thomaskantor schickte seinen sechzehnjährigen „Friede“ 1726/27 zu Graun, um sein Geigenspiel zu perfektionieren. 1728 spielte Graun vor dem jungen preußische Kronprinz Friedrich in Berlin. Dieser war von dem Tartini-Schüler so nachhaltig beeindruckt, dass er ihn 1732 zu sich nach Ruppin holte, in seinen Kronprinzensitz nördlich von Berlin. In Ruppin (noch nicht in Rheinsberg) engagierte Friedrich Musiker um Musiker für seiner zukünftige Hofkapelle. Schon bei der Übersiedlung nach Rheinsberg 1736 umfasste sie 17 Musiker – der Kern der später so berühmten Berliner Hofkapelle. Stets behielt Johann Gottlieb Graun den Posten des Konzertmeisters, auch später in Berlin und Potsdam, da der König nie vergaß, dass dieser Geiger sein erster Kammermusikpartner in Ruppin gewesen war.
So eng die beiden Gebrüder Graun in Berlin auch zusammenwirkten – sie hatten sogar zwei Damen Schmiel geheiratet, allerdings nicht zwei Schwestern, sondern Mutter und Tochter! –, so wenig hätte man normalerweise ihre Musik verwechseln können: Carl Heinrich war der Spezialist für Opern, Oratorien und Kantaten, Johann Gottlieb für Sonaten, Concerti und Sinfonien. Dennoch wurde die Musik der beiden Brüder ständig verwechselt – bis heute. Darüber schrieb der Dresdner Konzertmeister Pisendel, Johann Gottlieb Grauns früherer Geigenlehrer, 1750 an Georg Philipp Telemann: „Mit denen Herren Grauns wird gemeiniglich eine Confusion; die schönsten und feurigsten, mit Douceur melierten Sinfonien sind nicht von dem berühmten Herrn Capellmeister Graun, sondern von seinem Bruder, dem Herrn Concertmeister.“
Schön und feurig, dabei aber „mit Süßigkeit vermischt“ klingt auch die c-Moll-Triosonate unseres Programms, die natürlich von Johann Gottlieb Graun stammt, nicht von Carl Heinrich. Sie ist typischerweise in einem Dresdner Manuskript überliefert, denn Pisendel sammelte die Triosonaten seines früheren Schülers Graun systematisch. Die Satzfolge scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich: Das Adagio steht am Anfang, nicht in der Mitte, gefolgt zunächst von einem moderat schnellen Allegro, dann vom feurigen Allegro-Finale. Man kennt diese dreisätzige Anlage aus den Flötensonaten Friedrichs des Großen, der sie von seinem zeitweiligen Kompositionslehrer Graun übernommen hat. Dieser wiederum übernahm sie von seinem italienischen Geigenlehrer Tartini, dessen Geigensonaten fast sämtlich mit einem ausdrucksvollen Adagio beginnen, gefolgt von zwei Allegrosätzen. In Grauns c-Moll-Trio verbinden sich also Eindrücke aus Italien mit deutscher Gründlichkeit und dem galanten Stil Dresdens zu einer typischen „Berliner Melange“.