Trio e-Moll, Wq 155
Werkverzeichnisnummer:
Allegretto
Andante
Allegro
Bachs zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel kam zwar 1714 in Weimar zur Welt, geriet aber als Jugendlicher in Leipzig deutlich in den Dunstkreis des Dresdner Hofes. Häufig und gerne gastierte sein Vater in der Residenzstadt an der Elbe, wo er – im Gegensatz zu Leipzig – geschätzt und gefeiert wurde. Auch Carl Philipp hat vor den hohen Herrschaften aus Dresden musiziert, wenn der Kurfürst mit Familie zur Messe nach Leipzig kam. Dann aber entschied sich Carl Philipp für Frankfurt an der Oder als Studienort und geriet so in den Dunstkreis des preußischen Kronprinzen Friedrich, der schon 1736 auf den hervorragenden Cembalisten in Frankfurt aufmerksam wurde. Schließlich zog der Kronprinz Bach an seinen Hof. 1740 hatte Carl Philipp die Ehre, das erste Flötensolo zu begleiten, das Friedrich als König in Preußen spielte.
Es war zwar nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern eher eines gespannten Verhältnisses: Der König mochte seinen ersten Kammercembalisten nicht wegen seines beißenden Humors und seiner übertriebenen finanziellen Forderungen, und er fand dessen Musik zu wenig italienisch, zu deutsch eigenwillig. Dennoch war auch dem König klar, welche Rolle Carl Philipp Emanuel Bach in seinen knapp drei Berliner Jahrzehnten spielte – als umsichtiger Begleiter des königlichen Flötenspiels und als Gallionsfigur der „Berliner Schule“.
Hunderte von Werken hat Carl Philipp in Berlin und Potsdam verfasst, wobei zwei Gattungen herausragen: das Cembalokonzert und die Triosonate. Liest man im gedruckten Nachlassverzeichnis des Komponisten nach, das zwei Jahre nach seinem Tod 1790 in Hamburg erschien, so ist die Liste an Werken gerade in diesen beiden Genres lang. Auf 130 Seiten kann man die Schätze bestaunen, die der Bachsohn im Laufe seines Lebens angehäuft hatte: zuerst natürlich seine eigenen Werke, gedruckte wie handschriftliche, dann zahlreiche Kompositionen seines Vaters, seines Patenonkels Telemann und vieler anderer Komponisten sowie den Katalog der Musikerporträts, die der Berliner Bach in Form von Stichen oder Gemälden gesammelt hatte. Die ersten 66 Seiten sind ganz den eigenen Werken vorbehalten. Allein sieben Seiten davon füllt die Liste seiner „Trii“. Zwischen 1746 und 1787 hat der Bachsohn nicht weniger als 46 Trios in verschiedenen Besetzungen geschrieben.
Dieser umfangreiche Bestand zerfällt in zwei Hälften: die Berliner Triosonaten Nr. 1 bis 30 und die Hamburger Claviertrios Nr. 31 bis 46. Bis zum Weggang aus Berlin konzentrierte sich Carl Philip Emanuel auf die Gattung der Triosonate – ein deutlicher Hinweis auf die Berliner Vorliebe für dieses Genre. Seine 30 Berliner Trios sind meist für zwei Violinen und Basso continuo geschrieben, manchmal auch mit Traversflöten. Häufig finden sich dazu alternative Fassungen für obligates Cembalo und Violine bzw. Traversflöte. Bei den Hamburger Trios handelt es sich dagegen durchweg um Werke für Clavier mit Violine und Violoncello – die direkten Vorläufer der Klaviertrios von Haydn und Mozart.
Satztechnisch anspruchsvoller war die Gattung der Triosonate, weil Bach hier zwei Oberstimmen mit einem selbständigen Bass im kontrapunktischen Satz vereinen musste. Das Schreiben solcher Trios hat¬te er einst im Un¬ter¬richt beim Va¬ter ge¬lernt, und zwar auf eigentümliche Wei¬se: In sei¬nem Nach¬lass¬ver¬zeich¬nis fin¬det man den Hin¬weis auf „ei¬ni¬ge Tri¬os für Vi¬o¬li¬ne, Brat¬sche und Bass, mit Jo¬hann Se¬bas¬ti¬an Bach ge¬mein¬schaft¬lich ver¬fer-tigt“. Vater und Sohn haben also in Leipzig Triosonaten gemeinsam verfasst – der Vater den Bass und der Sohn die Oberstimmen oder umgekehrt. Leider ist von diesen Studienarbeiten nichts erhalten, wohl aber einige früher Leipziger Trios des Sohnes, die er später in Berlin überarbeitet hat.
Carl Phi¬lipp Ema¬nu¬el Bach
Trio e-Moll, Wq 155
Erst 1745 – gegen Ende des Zweiten Schlesischen Krieges – begann Carl Philipp in Berlin, neue Triosonaten zu schreiben, erst eine in C-Dur, gefolgt von vier Trios im Jahr 1747. Das e-Moll-Trio Wq 155 ist das vierte und letzte dieser Serie. 1747 war jenes Jahr, in dem Johann Sebastian Bach dem königlichen Dienstherrn seines zweitältesten Sohnes im Potsdamer Stadtschloss seine Aufwartung machte. Bekanntlich wurde Bach noch im Reisemantel von Friedrich dem Großen ins Musikzimmer beordert. Dort spielte ihm seine Majestät höchstpersönlich auf dem Hammerflügel ein „königliches Thema“ zur Fugenimprovisation vor. Vater Bach hat dieses Thema Regium in Potsdam aus dem Stehgreif und später in Leipzig schriftlich ausgearbeitet – in Form etlicher Kanons und zweier großer Fugen, die er Ricercar nannte. Außerdem fügte er diesem Musicalischen Opfer für den Preußenkönig eine große Triosonate für Flöte, Violine und Bass über das Thema des Königs ein – eine unverhohlene Huldigung an den Flötenspieler von Sanssouci.
Tatsächlich war Friedrich im Mai 1747 in sein neues Lustschloss Sanssouci eingezogen. Dort könnten Vater Bachs Triosonate in c-Moll und das e-Moll-Trio seines Sohnes durchaus gespielt worden sein, es ist nämlich eine Mär, dass König Friedrich bei seinen allabendlichen Konzerten in Sanssouci lediglich seine eigen Musik und die seines Lehrers Quantz aufgeführt habe. Regelmäßig gastierten die Kastraten der Berliner Hofoper im Schloss, um dort Arien zu singen, sicher dürften sich auch die Streicher und Cembalisten dort mit eigener Musik vorgestellt haben, freilich im intimen Rahmen. Bekanntlich wurde die königliche Flöte an diesen Abenden nur von solistischen Streichern, einem Fagottisten und dem Kammercembalisten begleitet. Wer Menzels Gemälde Flötenkonzert in Sanssouci kennt, dem dürfte diese Szenerie vertraut sein. Auf dem Gemälde kann man die königlichen Konzertmeister Johann Gottlieb Graun und Franz Benda ebenso erkennen wie Carl Philipp am Cembalo.
Durch dessen e-Moll-Trio weht also der Zauber von Sanssouci. Zugleich kann man im ersten Satz ein Echo auf das Musicalische Opfer des Vaters hören. Deutlich folgt dieses Allegretto im Zweiertakt dem Vorbild des zweiten Satzes aus der Triosonate im Musicalischen Opfer. Ähnliche melodische und harmonische Wendungen erinnern ebenso an das berühmte Vorbild wie der weiträumige Aufbau und die spannungsreiche Verzahnung der drei Stimmen. Der Mittelsatz ist ein idyllische Andante im Dreiertakt, das nach C-Dur ausweicht – eine Sommermusik aus Sanssouci. Im Finale spürt man wieder den langen Arm des Thomaskantors: Den Anfang übernahm Carl Philipp aus dem Finale der d-Moll-Orgeltriosonate seines Vaters – Dreiertakt, absteigender Bass, die gleiche melodische Wendung zu Beginn. Dank zahlreicher Synkopen und punktierter Rhythmen geht der Satz dann aber eigene Wege – die eigenwilligen Wege des Berliner Bachsohnes.
Die Werkverzeichnis-Nummer „Wq 155“ weist übrigens auf so genannte „Wotquenne-Verzeichnis“ hin: 1905 legte der Belgier Alfred Wotquenne, Bibliothekar am Brüsseler Konservatorium, sein „Thematisches Verzeichnis der Werke von Carl Philipp Emanuel Bach“ vor – immerhin 45 Jahre, bevor das erste „Bachwerkeverzeichnis“ für die Musik Johann Sebastian Bachs erschien. Jene Werkliste nennt man heute noch das „Wotquenne-Verzeichnis“ (abgekürzt Wq), während das Wort „Bachwerkeverzeichnis“ (BWV) für Vater Bach reserviert blieb.