Klavierquintett D-Dur op. 51 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Anton Arensky

Klavierquintett D-Dur op. 51

Klavierquintett D-Dur op. 51

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Klavier
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello

Satzbezeichnung

1. Allegro moderato
2. Variationen (über ein altes französische Volkslied)
3. Scherzo. Allegro vivace – Meno mosso
4. Finale (In modo antico). Allegro moderato

Erläuterung

Unter den russischen Komponisten der Generation eines Gustav Mahler und Richard Strauss zählte Anton Arensky zu den begabtesten: „Obwohl er ein Schüler von Rimsky-Korsakow war, geriet Arensky in den Bann Tschaikowskys – sehr zum Ärger seines früheren Lehrers, der schließlich prophezeite, er werde bald in Vergessenheit geraten. Das frühe Leben Arenskys beschrieb Rimsky-Korsakow in seinen Memoiren als ‚zügellos, zwischen Wein und Kartenspiel zerrinnend’ und bemerkte, er habe diese Lebensart auch beibehalten ¬– immerhin eingeschränkt –, als er 1894 in St. Petersburg Nachfolger von Balakirew als Leiter der Kaiserlichen Kapelle wurde. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Im Alter von 44 Jahren starb Arensky an Tuberkulose.“ (David Fanning)

Die Kammermusik nimmt in seinem Schaffen einen prominenten Platz ein. Sein 1. Klaviertrio in d-Moll, op. 32, gehörte seinerzeit, um 1900, zu den meist gespielten Trios überhaupt. Auch seine Streichquartette finden heute wieder stärkere Beachtung, besonders das a-Moll-Quartett für Violine, Viola und zwei Violoncelli, das er 1894 als Trauermusik auf Tschaikowsky geschrieben hat. Sein einziges Klavierquintett In D-Dur, op. 51, stammt aus dem Jahre 1900 – „ein Meisterwerk aus Arenskys Reifezeit“, wie es der Russe Belaiev nannte. Der englische Kammermusikkenner Walter Willson Cobbett bemerkte dazu: „Arensky wird stets all jenen attraktiv erscheinen, die sinnliche Schönheit für ein wesentliches Moment der Kunst halten. Typische Merkmale seiner Kompositionen sind die Kürze seiner Finalsätze und die Brillanz seiner Scherzos. Das Scherzo des Klavierquintetts ist einer der glänzendsten Sätze im gesamten Kammermusikrepertoire. Es funkelt wie Diamanten in der Sonne.“

Der erste Satz, Allegro moderato, beginnt mit einem triumphalen Marschthema im vollen Glanz der Tonart D-Dur. Der Rausch dieses Hauptthemas hält für 30 Takte an, dann setzt das Klavier in Fis-Dur mit einem schüchternen Terzenthema ein, untermalt vom Pizzicato des Cellos – das Seitenthema. Wenn die erste Geige dieses Thema aufgreift, zieht sich das Klavier auf begleitende „Arpeggi“ zurück. Erst auf dem Höhepunkt des Seitenthemas tritt es mit mächtigen Akkorden und einem donnernden Fortissimolauf wieder in den Vordergrund. Nach dieser kurzen Ekstase ebbt die hymnische Begeisterung ab. Cello und Bratsche setzen mit dem Hauptthema wieder ein, nun leise und in Moll – der Beginn der Durchführung. Das Hauptthema wandert regelgerecht durch die Tonarten, wobei mehr und mehr sein heroischer Charakter hervortritt, bis in schnellerem Tempo eine kämpferische Episode mit rasanten Streicherläufen einsetzt (Più mosso in d-Moll). Auf einem donnernden Tremolo im dreifachen Forte ist der Höhepunkt der Erregung erreicht, wonach die Musik rasch in ihr Gegenteil umschlägt: Ein sanftes Säuseln in den Streichern lockt das Seitenthema in F-Dur wieder heran. Von diesem Moment der Ruhe aus beginnt der lange Anlauf zur Reprise, die schließlich mit rasenden Läufen in den Streichern förmlich erzwungen wird. Endlich ist D-Dur erreicht, das Marschthema kehrt im vollen Glanz zurück und zieht auch das Seitenthema nach D-Dur hinüber. Der Satz endet in einem nicht mehr abreißenden Triumphgefühl, immer schneller und lauter werdend. So orgiastisch konnte ein Russe im Jahre 1900 das Hochgefühl des neuen Säkulums besingen.

Das Andante besteht aus Variationen über ein schlichtes Thema in d-Moll, das eigentlich im äolischen Kirchenton steht. Bei diesem volkstümlichen Lied handelt es sich um eine „vieille chanson“, eine alte französische Volksweise: „Sur le pont d’Avignon“. Die Zuhörer sollten dabei nicht an das weltbekannte „Sur le pont d’Avignon, on y danse“ denken, sondern an das weit weniger bekannte Lied „Sur le pont d’Avignon, j’ai ouï chanté la belle“. Dessen Melodie wurde in Frankreich zum ersten Mal 1654 aufgezeichnet, damals noch in Dur. Die Mollversion findet sich zuerst in einer Volksmusiksammlung von 1724 unter dem Text „Sur les ponts d’Avignon“. Der Text lautet:

Sur les ponts d’Avignon,
J’ai ouï chanté la belle
Qui dans son chant disait :
„Et baise-moi tandis que tu me tiens,
Tu ne me tiendras plus guère.“

Auf den Brücken von Avignon,
Hörte ich meine Schöne singen,
Die in ihrem Lied sagte:
„Küsse mich so, dass du mich hältst!
Du wirst mich für immer behalten.“

Ob der Text dieses Hochzeitsliedes für Arensky eine autobiographische Bedeutung hatte, ist nicht bekannt. Sicher reizte ihn aber die melancholische Melodie, die gewisse Anklänge an Themen seines verehrten Lehrers Tschaikowsky aufweist. „In manchen melodischen Wendungen erinnert das Thema an jenes ukrainische Volkslied, das Tschaikowsky in seinem ersten Streichquartett verwendet hatte, sowie an Tschaikowskys Legende aus den Kinderliedern op. 54, die Arensky in seinem a-Moll-Quartett reizvoll variierte. Die Variationen wechseln zwischen stürmischem und nachdenklichem Gestus ab, sie wirken einfallsreich und einnehmend. Die eindrucksvollste Umformung erfährt das Thema vielleicht in einem anmutigen Walzer—eine Spezialität Arenskys.“ (David Fannings) Aufmerksamen Hörern könnte auffallen, dass die Triole im ersten Takt des Variationenthemas an jene Triole erinnert, die schon im Hauptthema des ersten Satzes eine zentrale Rolle spielte. Dieser Anklang ist kein Zufall. Arensky versetzte das französische Chansonthema eigens vom geraden Takt in den Sechsachtel, um die besagte Triole zu erhalten. Es ging ihm dabei um thematische Vereinheitlichung: Das gesamte Quintett sollte durch das Triolenmotiv zusammengeschweißt werden. Deshalb spielen nach der erwähnten Walzervariation die Streicher eine Variante des Chanson-Themas, die sich schon hörbar dem Hauptthema des ersten Satzes annähert, bis dieses plötzlich im Marschrhythmus wieder erscheint, nun aber nicht mehr in D-Dur, wie im ersten Satz, sondern in d-Moll – als tragischer Höhepunkt der Variationen. Rasende Streicherläufe verdichten die Spannung, die sich in einem Tremolo-Absturz über zweieinhalb Oktaven auf erschütternde Weise löst. Zurück bleibt ein leises A in Klavier und Cello, über dem ganz zart und verhalten das französische Liedthema wieder einsetzt. Die Streicher setzen ihre Dämpfer auf und spielen das Liedthema nun ihrerseits ganz leise und immer langsamer werdend bis zum Schluss.

Das Scherzo (Allegro vivace) wird dem Lob, das ihm Walter Willsom Cobbett zollte, vollauf gerecht: Seine brillanten Läufe und sein eingängiges Thema funkeln in der Tat „wie Diamanten in der Sonne“. Die brillante Tonart A-Dur im Hauptteil weicht im Trio wieder der Grundtonart D-Dur, nun leise und lyrisch. Wieder hört man eine Variante der notorischen Triole aus dem ersten und zweiten Satz, nun als sanftes Liedthema der Streicher. In die Wiederholung des Scherzo-Hauptteils hat Arensky kurz vor Schluss einen kurzen Anklang an das Trio eingeschoben.

Über dem Finale steht als Untertitel „in modo antico“, „im Alten Stil“. Gemeint ist damit der Fugen-Kontrapunkt Bachscher Prägung. „Arensky unterrichtete Fugensatz und Harmonielehre am Konservatorium. Zu seinen Studenten gehörte auch der junge Rachmaninow, der seine Kurse unerträglich trocken fand und erleichtert war, als Tanejew die Klasse übernahm.“ (David Fanning) Im Finale des Klavierquintetts wirkt Arenskys Fugensatz alles andere als trocken. Es beginnt mit einer Fuge über das Marschthema des ersten Satzes, nun aber – wie schon am Ende der Variationen – in d-Moll statt in D-Dur. Die Tonart d-Moll war für die Romantiker eine Bachtonart – man denke nur an die Kunst der Fuge, die d-Moll-Toccata, das d-Moll-Klavierkonzert, die „Dorische Toccata“, die Chromatische Fantasie und Fuge oder die Chaconne – alles berühmte Bachstücke in d-Moll. Die Tonart hat hier also Symbolwert. Durch Oktaven in der linken Hand des Pianisten und Unisono mit den Streichern verlieh Arensky dieser vierstimmigen Fuge die Wucht des Orgelklangs. Nach einem Ritardando in d-Moll setzt eine zweite Fuge ein, und zwar über das französische Liedthema aus dem langsamen Satz – nun leise angeführt von den Streichern. Zum triolischen Rhythmus des Liedes treten duolische Achtel. Die ganze zweite Fuge lebt vom Gegensatz zwei gegen drei. Wenn das Klavier mit dem Chanson im Bass hinzutritt, beginnt eine langsame, hymnische Steigerung, die mit einem mächtigen „Kirchenschluss“ im dreifachen Forte endet. Wie ein Doppelpunkt steht diese Wendung im Raum. Was folgt, ist der Umschlag nach D-Dur und der Rücksprung in die Coda des ersten Satzes. Arensky ersparte seinen Zuhörern alle weiteren Fugenkünste über düstere d-Moll-Themen und zeigte sein Hauptthema zum Schluss in jener strahlenden Schönheit, wie er sie schon am Ende des Kopfsatzes gefeiert hatte.